Barrosos steiniger Weg zur zweiten Amtszeit

Von der Benennung Barrosos bis zur Wahl seiner Kommissare durch das Europaparlament sind inzwischen mehr als ein halbes Jahr vergangen. Eine Leidensgeschichte.

, von  Thomas Heimstaedt

Barrosos steiniger Weg zur zweiten Amtszeit
Ein zufriedener Barroso im Europäischen Parlament ©European Parliament/Pietro Naj-Oleari available on Flickr: http://www.flickr.com/photos/european_parliament/4343430722/

Eine Woche voller Entscheidungen läuft derzeit in Brüssel, sogar von einem Mini-Neustart ist die Rede. Neben einem EU-Sondergipfel zur wirtschaftlichen und institutionellen Zukunft der EU (die Causa Griechenland, das schon fast lächerliche Kompetenzgerangel der zahlreichen „EU-Außenvertreter“ und die etwas unbeholfen daherkommende Strategie EU 2020 lassen grüßen) stand im Europaparlament die Wahl der neuen EU-Kommission an. Endlich, so ist man versucht zu sagen.

Bis zum 9. Februar 2010 musste Europa eine längere Durststrecke überwinden. Ein deutlich europakritischer Kommentar in der FAZ beschreibt noch einmal das „Elend“, wie es dort wörtlich heißt. Im Nachgang zur Europawahl im Juni vergangenen Jahres verzichteten die Mitgliedstaaten darauf, eine neue Kommission einzusetzen. Ein Grund: Der damals noch gültige Vertrag von Nizza hätte den Verzicht auf mindestens ein Dossier bedeutet. Lieber wartete man also auf den Vertrag von Lissabon, der zumindest noch bis 2014 (danach wird die Zahl der Kommissare von 27 auf 15 reduziert) jedem Mitgliedsstaat einen Spitzenposten in der Behörde sichert. Mit dem Verweis auf notwendige inhaltliche Debatten weigerte sich das Europaparlament schließlich, Barroso noch vor der Sommerpause für eine zweite Amtszeit zu bestätigen. Der wiederum harrte der Dinge und konnte sein neues Kabinett erst zusammenstellen, nachdem Anfang Oktober auch die tschechischen Einwände gegen den neuen Lissaboner Vertrag beseitigt waren.

Beifall oder Ablehnung?

Der anstrengende Teil der Übung schien erledigt zu sein, doch dann ließ das Europaparlament im Januar dieses Jahres noch einmal seine Muskeln spielen und attackierte mehr oder weniger rüde die bulgarische Anwärterin für das Ressort „Internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe“, Rumiana Jeleva. Die Gründe ihrer Ablehnung – es wurden ihr beispielsweise unerlaubte Nebeneinkünfte, aber auch mangelnde fachliche Kompetenz vorgeworfen – sind in Teilen der Presselandschaft enorm kritisch beurteilt worden (exemplarisch) und entsprechend umstritten. Aber sei es drum. Zumindest von der neuen bulgarischen Kandidatin Kristalina Georgiewa zeigten sich die Abgeordneten dann jedenfalls beeindruckt. Was am Ende bleibt, sind eine Nachnominierung mit zusätzlicher Anhörung und die Erkenntnis, dass die vermeintliche Macht der Mitgliedsstaaten (schließlich nominieren diese jeweils ihren Kandidaten für die Kommission) gegenüber dem Parlament konterkariert werden kann, wenn der politische Wille da ist.

Masse statt Klasse? Der Proporz zwischen den Mitgliedsstaaten schwächt das Portfolio der Kommission

Den noch bis 2014 im Lissaboner Vertrag vorgesehen Proporz erfüllend, findet sich unter den designierten Kommissaren auch Baden-Württembergs scheidender Ministerpräsident Günther Oettinger. Seine Nominierung überraschte nicht nur ihn selbst, sondern sorgte auch in Brüssel für Erstaunen. Geschlagen hat er sich trotz aller Kritik im Vorfeld gut, so zumindest die parteiübergreifende Ansicht in Brüssel.

Und dennoch: Die in deutschen Hinterzimmern getroffene Entscheidung für Oettinger genauso wie das Hick-Hack um die bulgarische Kandidatur offenbaren die wesentliche Schwäche bei der Bestellung der Kommission. So wissen die Redakteure von „Die Presse.com“ zu berichten, dass Bulgarien nach dem ursprünglichen Willen von Kommissionspräsident Barroso weder von Jeleva noch von Georgiewa vertreten worden wäre, sondern für weitere fünf Jahre von Meglena Kunewa, die bisher für Konsumentenschutz zuständig war. Sie jedoch wurde 2006 von Bulgariens damaliger Regierung aufgestellt und hatte unter dem neuen Premier Borissow keine Chance auf erneute Nominierung. Und das, obwohl Sie als EU-Ministerin die Beitrittsverhandlungen Bulgariens zur EU entscheidend vorangetrieben hat.

Brüsseler Machtspiele

Im Brüsseler Kosmos sind dies alles keine schlagkräftigen Argumente. Obwohl Barroso bei der Masse an globalen Problemfeldern immer kompetentere Kommissare bräuchte, schicken die Mitgliedstaaten oft nur Kandidaten, die bisher bestenfalls in der zweiten politischen Liga mitspielten. Ein Schelm wer hier Methode vermuten würde. Und trotzdem: Solange der Kommissionspräsident seine Dossier nicht frei zuschneiden kann, besteht immer die Gefahr, dass die Kommission zu einem Sekretariat der Mitgliedstaaten verkümmert. Und selbst wenn es vielleicht nicht ganz so weit kommt, so wird schon bei nächster Gelegenheit sicher wieder heftig um die Machtverteilung zwischen Kommission, Rat und Parlament gerungen werden.

Den jüngsten Schlagabtausch jedenfalls hat das EU-Parlament für sich entschieden. Vor der Bestätigung der Kommissare haben die Abgeordneten Barroso noch einige wichtige Zugeständnisse (pdf) abgerungen. Er verpflichtete sich dazu, dem EU-Parlament künftig ein Art indirektes Initiativrecht im Gesetzgebungsprozess zuzugestehen. Die Kommission wird fortan nicht mehr jede Anregung aus dem Parlament unkommentiert ignorieren können. Wir dürfen gespannt sein, ob das Parlament diesen – zumindest politisch – ernst zu nehmenden Handlungsdruck innerhalb der Kommission für sich nutzen kann.

Ihr Kommentar
  • Am 9. Februar 2010 um 22:05, von  Niklas Als Antwort Barrosos steiniger Weg zur zweiten Amtszeit

    Vielen Dank für den Artikel. Ja hab den Kommentar auch heute auch in der FAZ gelesen. Länger als ein halbes Jahr nach der Europawahl darf nun die neue Kommission ran. Nun muss man eingestehen, dass der Lissbonvertrag, die neuen Ämter etc. dazwischen kamen, trotzdem ein Unding. Und das in Zeiten der Finanzkrise usw.! Der Vertrag hat ja auch leider keine Fristenregelung für die Konstituierung der Kommission. Wobei es bei der jetztigen Bundesregierung vllt auch nicht schlecht gewesen wäre, sich länger Zeit zu lassen mit den Koalitionsverhandlungen. Naja bleibt es bei dem Fazit deines anderen Artikels. Man wird erstmal mit dem jetztigen Vertrag leben müssen und muss v.a. anfangen Politik für die Bürger zu machen, anstatt sich mitsich selbst zu beschäftigen.

  • Am 10. Februar 2010 um 22:12, von  Cédric Als Antwort Barrosos steiniger Weg zur zweiten Amtszeit

    Sehr nützlicher Rückblick auf die letzten, langen und relativ enttäuschungsreichen 8 Monate!

    Die Kommission wird als Sekretariat der Mitgliedstaaten unverändert fortbestehen solange ihr Präsident dafür gewählt wird. Und solange der Europäische Rat einen Konkurrenten zur Kommission entwickelt. Das gleiche kann man feststellen im Bezug auf den Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik.

    Hätte man als Präsident einen legitimierten Politiker mit klarem Programm und starker Überzeugungskraft gewählt, sähen die Kommission und ihre Prioritäten anders... Schade, dass fast alle Deutsche EU-Abgeordnete der Ernennung Barrosos zugestimmt haben!

    Zum Glück hat die SPD akzeptiert, dass die SPE ihre/en Kandidatin/en zur Kommissionspräsidentschaft vor den nächsten EU-Wahlen von 2014 nominiert wird, und hiermit dass alle SPD-Kandidaten in 2014 diese/n Kandidatin/en unterstützen werden. Hoffentlich treffen die anderen Europäischen Parteien und ihre Deutschen Mitgliederparteien ähnliche Entscheidungen.

    Wie sieht es aus bei der ELDR, EPG, EVP, VEL?

    Aber wer kann absichern, dass diese Kandidaten ehrgeiziger und entschlossener als Mister B. sein werden? Dass sie nicht nur brav ihre Ideen und Visionen vor den üblichen eifrigen EU-Anhängern erklären, sondern auch die ganze Wählerschaft ansprechen, die Formierung der künftigen EU-Regierung ihrem Programm nach bestimmen, einschließlich den Hohen Vertreter, und sogar die Präsidentschaft des Europäischen Rats für sich verlangen würden. Reuelos.

    Wären die Deutschen Parteien aufgeschlossen auf die Idee von Europaweiten Vorwahlen innerhalb der EU-Parteien?

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