Polen

Bronislaw Geremek :Porträt eines europäischen Polen.

Vom Warschauer Ghetto zum Europaparlament…

, von  Übersetzt von Thomas Raff, Jean-Baptiste Mathieu

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Bronislaw Geremek :Porträt eines europäischen Polen.

Am 20. Juli 2004 wurde der katalanische Sozialist Josep Borrell mit 388 Stimmen zum Präsidenten des Europäischen Parlamentes gewählt. Diese Wahl war einmal mehr das Ergebnis eines „technischen Kompromisses“ zwischen den Konservativen der EVP und den Sozialdemokraten der SPE.

Dennoch und trotz des Einflusses dieser beiden größten Fraktionen des Europäischen Parlamentes hatte damals eine Alternativkandidatur aufkommen und eine mehr als ehrbare Stimmenanzahl bekommen können.

Und dies, obwohl sie anfangs lediglich von den Grünen (44 Sitze) und der ALDE (Allianz für Liberale und Demokraten in Europa: 88 Abgeordnete) unterstützt worden war.

Unter den Unterstützern der Alternativkandidatur waren auch Abgeordnete, die nicht dem faulen Kompromiss folgen wollten, den ihnen ihre Fraktion vorgesetzt hatte, nein, sie zogen es vor, für eine Persönlichkeit mit mehr Format zu stimmen: für Bronislaw Geremek, Historiker und polnischer Politiker, ein moralisches Vorbild, den wir hiermit ein wenig vorstellen wollen.

Unter den Unterstützern der Alternativkandidatur waren auch Abgeordnete, die nicht dem faulen Kompromiss folgen wollten, den ihnen ihre Fraktion vorgesetzt hatte. Sie zogen es vor, für eine Persönlichkeit mit mehr Format zu stimmen: für Bronislaw Geremek, Historiker und polnischer Politiker, ein moralisches Vorbild, den wir hiermit vorstellen wollen.

Vom Warschauer Ghetto an die Universität

Bronislaw Geremek wird im März 1932 in Warschau geboren. Er stammt aus einer jüdischen Familie, die ihre Ursprünge am östlichen Rand Polens hat.

Seine jungen Jahre werden durch den Zweiten Weltkrieg geprägt. Nachdem er einen Teil seiner Kindheit im Warschauer Ghetto verbracht hat, schafft er es mit seiner Mutter 1943 zu flüchten. Seine Familie wird allerdings nicht verschont: sein älterer Bruder, der nach Bergen-Belsen deportiert worden war, kann entkommen, sein Vater stirbt dagegen in Auschwitz.

1948 kommt er in seine Geburtsstadt zurück, macht dort Abitur und beginnt ein Studium an der Universität von Warschau. Als Student hat er mehrmals die Gelegenheit, nach Paris zu fahren (1956, 1957 und 1962), um dort an der Ecole pratique des hautes études zu studieren.

Vom Historiker (Spezialität : Mittelalter)…

Und so folgt eine brillante Universitätslaufbahn: 1954 erhält er sein Diplom an der Universität von Warschau und bald danach (1960) schließt er am Historischen Institut der Akademie der polnischen Wissenschaften seine Promotion ab. Daraufhin wird er Direktor des Zentrums der Polnischen Zivilisation an der Universität von Paris von 1960 bis 1965.

Er entwickelt sich zum Experten für Mittelalterfragen, und seine Recherchen finden in einem Bereich statt, der damals wenig bekannt ist: die Untersuchung von Armut, wobei er insbesondere auf die Geschichte der Kriminalität, der Ausgrenzung und des Pauperismus Schwerpunkte setzt. 1972 habilitiert er sich (über das Thema des Pauperismus in Paris im XIV. und XV. Jahrhundert: die Arbeiten wurden 1976 in Frankreich veröffentlicht).

Der brillante Akademiker und anerkannte Sprachenkenner hat seine Karriere im Umkreis von Fernand Braudel (die berühmte Annales Schule , die von den Historikern Lucien Febvre und Marc Bloch begründet worden war) und an der Seite von Jacques Le Goff und Georges Duby begonnen. Seine Veröffentlichungen in diesem sehr spezifischen Bereich machen aus ihm einen Spezialisten von Weltruf der europäischen Zivilisation im Mittelalter.

Als brillanter Akademiker und bekanntes Sprachentalent hat er seine Karriere im Umkreis von Fernand Braudel (die bekannte « Ecole des Annales », die von den renommierten Historikern Lucien Febvre und Marc Bloch gegründet worden war) und an der Seite von Jacques le Goff und Georges Duby begonnen. Seine Veröffentlichen auf den genannten sehr spezifischen soziologischen und historischen Gebieten machten aus ihm einen Spezialisten von Weltruf der europäischen Zivilisation im Mittelalter.

Der bekannte Forscher unterrichtet an zahlreichen Universitäten auf der ganze Welt und wird an einigen gar Doktor h.c. Er ist Inhaber des internationalen Lehrstuhles „Sozialgeschichte: Ausgrenzung und Solidarität“ des Collège de France von 1992-1993. 2002 wird ihm der Grand Prix de la francophonie für sein Gesamtwerk in französischer Sprache verliehen.

… zum Politiker

Der Beginn seines politischen Engagements findet zunächst im Rahmen der kommunistischen Partei PZPR (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza oder Vereinte polnische Arbeiterpartei, die als Einheitspartei seit 1948 an der Macht war) statt, der er 1950 beitritt. Er verlässt die Partei 1968 nach dem Aufkommen antisemitischer Tendenzen, die auf die Unterdrückung des Prager Frühlings gefolgt waren.

Er kehrt Anfang der 80er Jahre in die Politik zurück: und zwar im Rahmen der demokratischen Opposition, wo seine Teilnahme am Kampf für die Freiheit, der so die Allianz zwischen Intellektuellen und Danziger Werftarbeitern besiegelt, ihn zu einem der Unterzeichner des Danziger Vertrags macht, der zur Gründung der freien Gewerkschaft Solidarnosc führt. Er wird Berater von Lech Walesa und sitzt zwischen 1981 und 1982 in Gefängnissen des kommunistischen Regimes.

Im Augenblick des Übergangs zur Demokratisierung (und des berühmten Runden Tisches – zwischen Februar und April 1989 – an dem sich Vertreter der kommunistischen Diktatur und der demokratischen Opposition zusammensetzen) ist Geremek als Experte der Opposition Teilnehmer dieser Verhandlungen.

Ein unbestreitbarer europäischer Tropismus…

Geremek beschäftigt sich intensiv mit internationalen Fragen: er ist zunächst Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Sejm, dann Außenminister Polens von 1997 bis 2000. 1998 wird er Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und spricht sich in dieser Zeit nachdrücklich für einen schnellen Beitritt Polens zur Europäischen Union aus.

Als überzeugter und engagierter Anhänger der politischen Mitte macht er 2004 Wahlkampf für die Europawahlen. Er ist Spitzenkandidat der Partei „Union der Freiheiten/ Demokratische Partei“ (Unia Wolnosci/ Partia Demokratyczna: UW/ PD), die er seit 2001 anführt. Er wird Abgeordneter im EP und kandidiert bald darauf – wenn auch vergeblich – für das Amt des Parlamentspräsidenten.

Im Rahmen des Europaparlamentes agiert er auch heute: als Abgeordneter der Fraktion ALDE und insbesondere als Mitglied des Ausschusses für Auswärtiges und Verfassungsfragen und als Mitglied der Delegation für die Kommission der Parlamentskooperation zwischen der EU und Russland.

Als Demokrat und vorbildlicher Europäer, Dozent am College d’Europe in Brügge und Mitgründer des College d’Europe im polnischen Natolin (bei Warschau) ist Bronislaw Geremek einer großen intellektuellen und moralischen Akteure im aktuellen Europaparlament.

Und genau deswegen hat er 1998 den Internationalen Karlspreis verliehen bekommen, ein Preis, der jährlich von der Stadt Aachen an bedeutende Persönlichkeiten vergeben wird, die sich für die Vereinigung Europas einsetzen.

Für unsere Leser: Dieser Artikel ist in der Originalversion bereits am 16. November erschienen.

- Abbildung:

Foto aus der Webseite der Partei Bronislaw Geremeks Unia Wolnosci www.uw.org.pl.

- Zum Lesen:

Eine kurze Biographie von Bronislaw Geremek, auf Wikipedia.

Seine Vostellung auf der Webseite des Europaparlaments.

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