Ratspräsidentschaft der Europäischen Union

Die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft

1. Halbjahr 2007 : Wiederbeleben des Verfassungsprozesses?

, von  Übersetzt von Nina Henkelmann, Pierre-Marie Giard

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Die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft

„Europa gelingt gemeinsam“. Der Slogan des Programms für die deutsche Ratspräsidentschaft fasst gut zusammen, unter welchem Motto, die deutsche Regierung ihren Vorsitz angeht.

Am 1. Januar 2007 übernimmt Deutschland für sechs Monate die Führung der Europäischen Union. [1] Es wird eine schwierige Präsidentschaft, da besonders hohe Erwartungen an sie gestellt werden. Bei einer Konferenz am 19. Dezember 2006 präsentierte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Brüssel die Hauptanliegen. Drei Schlüsselherausforderungen geben demnach den Rhythmus für die deutsche Ratspräsidentschaft vor: die Europäische Union aus der Krise führen, sie auf der internationalen Bühne mit einer Stimme sprechen lassen und eine zukunftsichernde Politik definieren.

Präsidentschaft auf die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses ausgerichtet

Die Mission Nummer eins, die ihr anvertraut wurde und die ihre Aufmerksamkeit am stärksten in Anspruch nehmen wird, ist die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses. Dieser ist das „Symbol für die Selbstblockade Europas“, bedauerte Bundesaußenminister Steinmeier.

Laut offiziellem Programm wird der deutsche Vorsitz „ausführliche Konsultationen mit allen EU-Partnern und den Organen der EU führen und mit Nachdruck darauf hinarbeiten, gemäß den Beschlüssen auf europäischer Ebene den Reformprozess der EU fortzusetzen.“

Die deutsche Regierung wird zwei Vertreter damit beauftragen, mit jedem einzelnen Mitgliedsstaat sowie mit der Europäischen Kommission Gespräche zu führen.

Diese Anstrengungen sollen vor allem zwei Ergebnisse hervorbringen: erstens die für den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, am 24. und 25. März vorgesehene Verabschiedung einer „Berliner Erklärung“ über die Werte und Aufgaben der Europäischen Union, die „für alle verständlich“ ist; zweitens die Vorstellung eines „Vorschlags“ für das weitere Vorgehen im Verfassungsprozess beim Treffen Europäischen Rates im Juni 2007. Eines ist sicher: Deutschland wünscht sich die Beibehaltung der Hauptbestandteile des Verfassungsvertrags.

Die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft beschränken sich jedoch nicht auf die Verfassungsfrage.

Die wirtschaftliche, soziale und ökologische Zukunft Europas entwerfen

Die andere große Herausforderung an den deutschen Vorsitz besteht in wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Das Programm ist ehrgeizig. Die zukünftige Ratspräsidentschaft möchte auf folgende Frage, die sich die Bürger stellen, antworten: „Was bringt mir Europa?“ Sie will sich zunächst daran machen, den Binnenmarkt zu vollenden und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu stärken. Auf diese Weise sollen die Innovationskräfte angeregt, „Fortschritte bei der vollständigen Liberalisierung des europäischen Markts für Postdienstleistungen und bei der Überarbeitung des Rechtsrahmens für Telekommunikation“ erreicht, die Harmonisierung des Zivilrechts erfolgreich zum Abschluss gebracht und ein Aktionsplan für Finanzdienstleistungen verwirklicht werden. Auf der Tagesordnung des europäischen Rates am 8. und 9. März wird auch ein weiteres zentrales Thema stehen: Energie. Diesbezüglich hat sich die deutsche Ratspräsidentschaft die Verabschiedung eines ehrgeizigen Aktionsplans zum Ziel gesetzt: Entwicklung erneuerbarer Energien und energieeffizienter Technologien sowie Stärkung der Kooperation zwischen Lieferanten-, Transit- und Verbraucherländern.

Flexicurity, Galileo und GMES

Im sozialen und gesellschaftlichen Bereich lautet das Ziel Förderung der „Flexicurity“. Dies bedeutet, „die für den Arbeitsmarkt notwendige Flexibilität mit sozialem Schutz und sozialer Sicherheit zu verbinden“, wie das Programm ankündigt. Deutschland möchte insbesondere den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten in Sachen Chancengleichheit intensivieren. Es wird daher eine interministerielle Konferenz zur Zukunft des europäischen Sozialmodells organisiert, um der Debatte mehr Inhalt zu geben. Darüber hinaus plant sie eine systematische Evaluierung der europäischen Gesetzgebung hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Situation am Arbeitsmarkt. Zwei große Projekte werden ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen:

 Galileo .Dies ist ein Satellitennavigationssystem, das die Abhängigkeit Europas vom amerikanischen System, GPS, beenden soll.
 GMES (Global Monitoring for Environment and Security). So heißt das System zur weltweiten Überwachung von Umwelt und Sicherheit, das Weltraum- mit terrestrischer und Flugzeugtechnik verbindet.

Stärkung der EU-Nachbarschaftspolitik

Außenpolitisch wird die deutsche Ratspräsidentschaft an der Annäherung und Stabilisierung des westlichen Balkans arbeiten. Sie wird wichtige Initiativen zur Vertiefung und Stärkung der europäischen Nachbarschaftspolitik ins Leben rufen. Eines ihrer Hauptziele in diesem Bereich ist die Definition einer Strategie für Zentralasien. Sie wird außerdem auch von den Neuverhandlungen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit Russland profitieren, um „die Beziehungen zwischen der EU und Russland in allen wichtigen Bereichen auf eine neue Grundlage zu stellen.“ Vor allem im Energiebereich. Schließlich möchte sie auch an der Wiederbelebung des Quartetts Quartetts (UNO, USA, EU und Russland) für den Nahen Osten teilnehmen.

„Man darf nicht vergessen, dass viele Europäer vergessen haben, dass Europa, um in einem internationalen Umfeld, das sich schnell verändert, überleben zu können, vereint sein muss“, erklärte Klaus NEUBERT, Botschafter der Bundesrepublik in Frankreich, gegenüber der EU-Delegation des französischen Senats anlässlich seiner Anhörung über die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft am 29. November 2006.

Das Programm der deutschen Ratspräsidentschaft ist verlockend. Die Erwartungen an diesen Vorsitz sind groß, genau so groß wie die Herausforderungen, mit welchen wir innerhalb und außerhalb Europas konfrontiert sind. Wetten, dass Deutschland mit Mäßigkeit und Realismus handeln wird. Man muss sich nur erinnern, dass viele Europäer vergessen haben, dass Europa, um in einem sich rasch wandelnden internationalen Umfeld überleben zu können, „vereint sein muss“.

Abbildung: Das Logo unseres Artikels ist das offizielle Logo der deutschen Ratspräsidentschaft.

Quellen:
 Bulletin quotidien der Société Générale de Presse vom 20. Dezember 2006, S. 8 und 9.
 Bericht der Anhörung von Botschafter Klaus NEUBERT vor der EU-Delegation des Senats am 29. November 2006 zu den Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft

Anmerkungen

[1Originelartikel erschienen am 30. Dezember 2006

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