Die neue Volksabstimmung in Irland : DAS ist Demokratie!

, von  Stéphane du Boispéan

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Die neue Volksabstimmung in Irland : DAS ist Demokratie!

Der Europäische Rat hat beschlossen, eine neue Volksabstimmung in Irland zu organisieren. Thema ist der Vertrag von Lissabon und die hinzugefügten Protokolle, in denen alle Nachteile des Vertrages, die während der Kampagne in Irland angefeindet wurden, offiziell abgeschafft werden. Das ist Demokratie!

Klar ist, dass dieser Prozess nicht perfekt ist. Der Vertrag von Lissabon könnte natürlich demokratischer durchgesetzt werden. Etwa durch eine Volksabstimmung auf europäischer Ebene, mit einer echten europäischen Debatte, und nicht nur nationalen Debatten, in denen sich der Franzose fragt, ob seine Laizität verboten wird, oder sich der Ire fragt, ob er die Abtreibung weiter verbieten darf.

Ja, es hätte besser sein können

Wie würden wir als Bürger reagieren, wenn für eine neue deutsche Verfassung eine Volksabstimmung in jeder Gemeinde organisiert würde, in der der Kölner sich fragt, ob die Verfassung gut für den Verkehr in seiner Straße ist?

EU-Verträge betreffen die Bürger nicht als Deutsche oder als Italiener, sondern als Europäer, und müssen in Zukunft von unseren direkten Vertretern, nämlich vom Europäischen Parlament verabschiedet und dann von allen EU-Bürgern als Europäer am selben Tag durch eine einzige Volksabstimmung ratifiziert werden. Das ist die europäische Demokratie, die wir wollen: Mehr Demokratie heißt mehr Europa, mehr Europäisches Parlament, weniger Staaten, weniger Rat, und keine nationalen, sondern ausschließlich europäische Volksabstimmungen. So muss eine europäische Demokratie aussehen.

Und was macht man mit den Staaten, die in einem solchen Prozess gegen einen Vertrag stimmen? Die dürfen wählen, ob sie trotzdem in der europäischen Union bleiben oder es vorziehen, wieder unabhängig zu werden. Das ist einfach die Applikation des Rechtes der Völker zur Selbstbestimmung.

Was macht man aber in der heutigen Lage?

So kann es heute aber nicht geschehen, weil die Mitgliedstaaten eine noch zu große Rolle in der Union haben. Jeder Vertrag wird diplomatisch verabschiedet und ratifiziert. Von vornherein wurde die Idee einer europäischen Volksabstimmung abgelehnt. Verantwortlich dafür sind auf keinen Fall die EU, sondern die Staats- und Regierungschefs. Als „antidemokratisch“ darf eine Versammlung von demokratisch legitimierten Regierungen aber dennoch nicht bezeichnet werden. Es sei denn, wir wollen unsere Parlamente abschaffen.

Und nach dem Scheitern des Vertrages in Irland hat der Europäische Rat versucht, eine Lösung zu finden. Eine Alternative gab es nicht. Wie vor drei Jahren: Die Befürworter des Nein waren unfähig, dieses „andere Europa“ konkret vorzuschlagen, von dem so viel die Rede war. Ein „anderer Vertrag“ ist vom Lager des Nein nicht gekommen. Der Europäische Rat war also der Einzige, der hätte handeln können.

Warum eine zweite Volksabstimmung demokratisch ist

Die Iren haben nationale Argumente angewendet, um den Vertrag abzulehnen. Man darf sich fragen, ob solche Argumente eine Legitimität auf der europäischen Ebene haben. „Europa kann man nicht gegen die Völker machen“, wurde mehrfach gesagt.

Doch mit „Völker“ wird die Souveränität der Mitgliedstaaten gemeint. Und genau auf diese Anmaßung der Souveränität muss verzichtet werden. Ziel der europäischen Union ist nicht Staaten, sondern Menschen, Bürger zu einigen!

Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass nur die Iren gewählt haben. Ein Franzose beispielsweise, der in Irland wohnt, durfte seine Meinung nicht äußern. So etwas kann man kaum als europafreundlich betrachten....

Eine Antwort zu jedem Argument des „Neins“

Politisch wäre es aber unvorstellbar, das Ergebnis einer Volksabstimmung zu ignorieren. Die Iren haben gesprochen. Was haben sie gesagt?

 Sie wollen nicht auf ihre Neutralität verzichten? Ein Protokoll wird die Neutralität Irlands garantieren.
 Sie wollen die Abtreibung weiter verbieten? Ein Protokoll wird dieses Recht bewahren.
 Sie wollen die niedrige Fiskalität bewahren? Kein Problem, wir garantieren es auch.
 Sie wollen einen Kommissar behalten? Auch akzeptiert.

Auf jedes Argument des Lagers des „Neins“ wurde eine juristische Antwort gegeben. Wie kann man noch wagen, von einer Missachtung der Volksabstimmung zu reden?

Und dann ist es völlig normal, die Iren zu fragen, ob sie finden, dass der Europäische Rat eine gute Antwort auf die Befürchtungen gegeben hat. Die Staats- und Regierungschefs haben die Nachricht aus Irland erhört und respektiert. Deswegen ist dieser Prozess demokratisch.

Eine Lehre für die Zukunft

Ja, es hätte noch demokratischer sein müssen, und zwar nur auf EU-Ebene. So muss es in der Zukunft geschehen. Aber die Befürchtungen der Iren werden respektiert, und alles, was vom Lager des „Nein“ gesagt wurde, ebenso.

Diese neue Volksabstimmung in Irland muss also als völlig demokratisch erachtet werden. Es wäre aber auch interessant, dass die Befürworter des „Nein“ uns jetzt erklären, was für konkrete Gründe sie jetzt vorgeben, um den Vertrag abzulehnen...

Bild : Wahlplakaten der Young Fine Gael für das letzte EU-Referendum in Irland. Quelle : euforus

Der Autor bedankt sich bei Luise Papcke

Ihr Kommentar
  • Am 6. Januar 2009 um 20:25, von  obelix Als Antwort Die neue Volksabstimmung in Irland : DAS ist Demokratie!

    Endlich mal ein Beitrag, der den Stier bei den Hörnern nimmt und mit dem dauernden Demokratie-Totschlagsargument aufräumt: Nicht jede Abstimmung, bei der viele ein Kreuzchen machen, ist auch demokratisch, es kommt sehr auf das politische Umfeld und die Fragestellung an. Bravo!

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