Die unfaire Währungsunion

, von  FM Arouet, Übersetzt von Ansgar Skoda

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Die unfaire Währungsunion
„Feuer den Banken“ lauten Graffiti an einer Filiale der Bank of Cyprus, des größten zypriotischen Geldinstituts. Zyperns überdimensionierter Bankensektor wird als Ursache für die prekäre Lage des Landes angesehen. Foto © xamogelo (www.flickr.com/photos/xamogelo/2747469474/in/photostream/) / creative commons

Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) stellt fest, dass die Deutschen zu den ärmsten Mitgliedern der Eurozone gehören. Die Zyprioten zählen hingegen zu den reichsten. Damit wäre das Hilfspaket für den angeschlagenen Inselstaat, das der Deutsche Bundestag am Donnerstag gewährte, unsolidarisch und unfair. Teile der Studie sind fragwürdig, aber sie regt zu einer Neudefinition der Idee von Gerechtigkeit an.

Fehlerhafte Studie

Der erste Vermögensbericht der EZB zu den europäischen Haushaltseinkommen zeigt, dass der Besitz einer Familie mittleren Einkommens in Deutschland bei 51.000 Euro, in Zypern bei 267.000 Euro liegt. Diese Zahlen scheinen alarmierend zu sein, besonders im Lichte der aktuellen Krise. Aber es gibt zahlreiche Ambivalenzen.

Erstens zeigt die Studie in anderen Kategorien, wie etwa bei mittelgroßen Einkommen, dass beide Länder auf einer gleichen Vermögensebene liegen. Zweitens variiert besonders die Zahl des Eigenheimbesitzes (Zypern: etwa 77 Prozent, Deutschland: 44 Prozent), was großen Einfluss auf die Ergebnisse hat. So bläht sich der zyprische „Reichtum“ unter anderem durch die Hauspreise auf. Drittens sind einige, in der Studie enthaltene Vermögenswerte nur geschätzt, was nicht besonders präzise zu sein scheint. Viertens könnten andere kulturelle Eigenheiten die Differenz der Haushaltseinkommen erklären: größere Haushalte mit einem hohen Anteil an Erwachsenen, wie in Zypern üblich, sind eher dafür prädestiniert, ein größeres Vermögen anzuhäufen. In Deutschland sind kleinere Haushalte die Regel. Fünftens stehen deutsche Vermögen immer noch unter dem Einfluss der Wiedervereinigung und gedrückter Häuserpreise in Ostdeutschland. Zudem lässt die Studie „öffentlichen Reichtum“ außer Acht: Die Zyprioten könnten Vermögenswerte anhäufen, weil sie der Regierung nicht zutrauen, sie im Alter oder bei Krankheit zu unterstützen.

Die Eliten des Landes sind Schuld

Trotz dieser Ambivalenzen vermittelt die EZB-Studie eine klare Botschaft: die Zyprioten sind reicher als die Deutschen. Dieser Fakt ist nützlich, weil er den gefährlichen Mythos von der „deutschen Dominanz in Europa“ konterkariert. „Merkel stiehlt uns unsere Ersparnisse“ und andere Botschaften zyprischer Demonstranten werden als unsinnig entlarvt.

Die Zypern-Krise ist längst nicht vorüber, besonders weil kürzlich bekannt wurde, dass das Land anstatt 17 nun 23 Milliarden Euro benötigt. Schuld an der Misere ist das vollkommen überdimensionierte Bankensystem des Landes, welches nun bankrott ist. Zyprische Kontoinhaber (besonders diejenigen mit Ersparnissen bis zu 100.000 Euro) sollten Angela Merkel danken, dass sie immer noch ihr Geld besitzen, und zwar in Euro und nicht in einer entwerteten neuen Währung. Wenn die Zyprioten jemanden die Schuld geben wollen, sollten sie ihren Blick auf die politischen und wirtschaftlichen Eliten ihres Landes richten. Diese haben eine internationale Steueroase erschaffen, die sich in schwierigen Zeiten nicht selbst aufrechterhalten konnte. Die ärmeren deutschen Steuerzahler und andere europäische Staaten müssen aushelfen – sei es auch nur, um das Scheitern der gemeinsamen Währung und das damit verbundene Chaos zu verhindern. Gerechtigkeit sieht anders aus. Wie lässt sich das in Zukunft verhindern?

Europäische Solidarität: Eine neue Idee von Fairness

Eine faire Rechtsprechung würde das zyprische Geschäftsmodell nicht belohnen. Doch anders geht es derzeit nicht. Die Zypern-Krise lenkt damit die Aufmerksamkeit auf ein wohlbekanntes Manko der Eurozone: das Fehlen einer kollektiven Verantwortung. Die Maastricht-Kriterien waren ein befangener Versuch, die Eurostaaten in die Pflicht für eine gemeinsame Währung zu nehmen. Der Aufbau eines gewaltigen Bankensystems, welches ein Staat wie Zypern in Krisenzeiten nicht aufzufangen vermag, ist kriminell: zunächst die Vorteile genießen, doch geht es schief, bezahlen die Partner der Eurozone die Verluste.

Die Hauptlehre aus der Eurokrise ist, dass eine gemeinsame Währung nicht ohne minimal bindende Einschränkungen funktioniert. Es geht nicht um die „Herrschaft über Europa“ oder einen „Überstaat Brüssel“. Es ist eine Frage der Fairness gegenüber anderen Einwohnern Europas. Dies sollte die Idee von Gerechtigkeit in der Eurozone sein: als Staat bist du frei zu tun was auch immer du willst, so lange klar ist, dass es keine negativen Auswirkungen für andere haben wird. Einstweilen, weil die Probleme Zyperns und anderer Länder Realität sind, sollte die Solidarität in der Eurozone vorangetrieben werden. Der Preis ist ein mehr an politischer Verantwortung. Die Grundlage könnte eine neue politische Klasse sein, die sich früherer Fehler bewusst ist. Oder sie wird von oben kommen müssen, indem die Europäischen Kommission das Recht erhält, ein Veto gegen Staatshaushalte und wirtschaftspolitische Richtlinien einzulegen.

Ihr Kommentar
  • Am 21. April 2013 um 09:27, von  Christoph Als Antwort Die unfaire Währungsunion

    Es ist schon wahr, die zypriotischen Eliten haben den Karren gegen die Wand gefahren und dafür kann man nun die Regierungen anderer Länder kaum verantwortlich machen. Allein, mit der Frage der Schuld ist das so eine Sache, denn die lässt sich bei weitem nicht so eindeutig beantworten. Immerhin war das „zypriotische Geschäftsmodell“ ja kein Geheimnis und noch immer ist es kein Geheimnis, dass sich in der EU und in ihrem erweiterten Einflussbereich (einschl. britische Inseln, Commonwealth) die Mehrheit der weltweiten dubiosen „nationalen Geschäftsmodelle“ befindet. Da braucht man von Deutschland ja gar nicht weit zu gehen. Die „Problemstaaten“ liegen direkt vor der Tür. Luxemburg hat einen viel aufgeblähteren Finanzsektor als Zypern, durch die Niederlande schleusen dutzende internationale Konzerne durch bestimmte „Lizenzmodelle“ und komplexe Firmenkonstruktionen jährlich Milliardensummen, die anderen Staatskassen abgehen. Die Londoner City dient mutmaßlich als „Verwaltungszentrum“ einiger der Gebiete mit Niedrigsteuermodellen im britischen Commonwealth, in der Schweiz liegen noch immer Milliarden hinterzogener Euros, etc. etc. Klar, nicht alle dieser dubiosen „Geschäftsmodelle“ haben sich selbst derart desavouiert wie das zypriotische, aber man kann glaube ich kaum umhin ein gewisses Maß an kollektiver politischer Verantwortung und Schuld bei jedem einzelnen nationalen Staats- oder Regierungschef zu verorten. Auch und gerade da die politischen Schritte die man zur „Bekämpfung“ dieser „Geschäftsmodelle“ ergriffen hat bisher nahezu komplett rhetorischer Natur waren. Zypern war und ist die große Ausnahme.

    Nun kann man sich natürlich einmal fragen, wieso es in der EU überhaupt solche „Geschäftsmodelle“ gibt. Nicholas Shaxons, britischer Autor, Journalist und Mitglied des Royal Institute of International Affairs (Chatham House) in London, geht davon aus, dass insbesondere die großen Finanzbranchen in den USA und Großbritannien enorm von sogenannten „Steueroasen“ profitieren. Auch geht er davon aus, dass die „industrialisierten“ Staaten deshalb wenig unternehmen, weil viele dieser Kapitalströme tatsächlich in „sichere Häfen“ fließen und also, wie wir ja im Beispiel Luxemburg, Schweiz und British Commonwealth/ Londoner City sehen, gerade in die „industrialisierten“ Staaten oder deren erweiterten Einflussbereich. (Quelle: http://www.zeit.de/2013/16/steueroasen-nicholas-shaxson)

    Dies deckt sich in Teilen mit einer Argumentation die ich kürzlich in einem Hintergrundgespräch der Bundesfraktion der Grünen gehört habe. Dort wurde fein-säuberlich zwischen Steuergestaltung, also rechtlichen Grauzonen, und Steuerhinterziehung, Geldwäsche, etc. unterschieden, also Rechtsbrüchen oder kriminellem Verhalten. Während man sich einig war, Steuerhinterziehung und Geldwäsche angehen zu wollen, wurde Steuergestaltung, also die Verschiebung von Unternehmensgewinnen in Niedrigsteuerländer, tendenziell als „Wettbewerbsvorteil“ für die eigene Industrie und als Standortvorteil für ausländische Investoren aufgefasst. Wenn aber schon die Grünen dies als „nicht ganz so dramatisch“ auffassen, dann kann man sich ja vorstellen, wie das in CDU und FDP aussieht. D.h. Teilweise ist bis heute noch wenig echter politischer Wille zu erkennen diese Steuergestaltung einzudämmen.

    Folglich lässt sich sagen, dass an diesen systemisch problematischen Entwicklungen eine Vielzahl an Ländern und Mitgliedstaaten der EU mitgewirkt, insbesondere Großbritannien oder immerhin jahrelang weggesehen hat und dies teilweise auch heute noch tut - mal vom medialen Getöse und dem „Exempel“ Zypern abgesehen. Es ist also nicht völlig abwegig neben den zypriotischen Eliten auch noch andere Staats- und Regierungschefs für die Misere verantwortlich zu machen.

    Die Studie der EZB zeigt eben nicht, dass die Zyprioten reicher als die Deutschen sind, denn die Hauspreise in der EZB stammen aus Zeiten vor dem Crash und waren in Zypern schlicht mit zunehmendem Kapitalzufluss enorm gestiegen. Hinzu kommen noch die Schwächen, die im Artikel ja durchaus beschrieben wurden. Die Studie zeigt nur eins – die Wohlfahrts- und Vorsorgesysteme sowie die Wohngewohnheiten (auch Wohnbesitz) sind einfach unterschiedlich und zwar so stark, dass ein Vergleich der „Vermögen“ von Haushalten keine sinnvollen Rückschlüsse auf den tatsächlichen „Wohlstand“ zulässt.

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