„Diese Zeitung ist ein Ergebnis unserer Frustration!“

Daniel Freund, Projektmanager beim European Daily, erklärt, warum eine europäische Tageszeitung bisher fehlte – und wie er das ändern möchte.

, von  Tobias Sauer

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„Diese Zeitung ist ein Ergebnis unserer Frustration!“
Daniel Freund, Projektmanager beim European Daily

„Warum gibt’s eigentlich keine europäische Tageszeitung?“ Mit dieser Frage begann 2007 in einem Pariser Park die Idee des European Daily, einer Tageszeitung, die nicht mehr aus nationaler, sondern aus europäischer Perspektive berichtet. Während der European Daily bereits online ist und ausgewählte Artikel anderer Zeitungen und Zeitschriften versammelt, soll Ende des Jahres eine tägliche Druck-Ausgabe mit eigenen Artikeln erscheinen. Im Interview spricht Daniel Freund, der 26-jährige Projektmanager des European Daily, über neue Chancen für alte Medien, die europäische Öffentlichkeit und warum eine englischsprachige Zeitung für ganz Europa sinnvoll ist.

TREFFPUNKT EUROPA : Daniel, der European Daily soll eine gedruckte Tageszeitung mit europäischen Themen werden. Das würde in Zeiten der Medienkrise schon als mutig gelten. Jetzt, da zusätzlich der Euroskeptizismus blüht, erscheint das fast als selbstmörderisch. Bist du in selbstmörderischer Stimmung?

Daniel Freund: Was den generellen Trend der Zeitungsindustrie angeht, ist klar: in ganz Europa gehen die Auflagenzahlen zurück. Fängt man aber an, mehr ins Detail zu gehen und untersucht die einzelnen Segmente genauer, sieht das Bild schon wieder ganz anders aus. Im oberen Marktsegment, also bei Qualitätszeitungen in Englisch, wie bei der Financial Times, dem Wall Street Journal, oder dem International Herald Tribune, ist die wirtschaftliche Situation anders als im Markt generell.

TREFFPUNKT EUROPA : Aber doch meistens, weil die für den Leser eindeutige finanzielle Vorteile bieten, wenn es zum Beispiel um Investitionsentscheidungen geht, wie beim Wall Street Journal…

Naja, einen gewissen Mehrwert gibt es im Grunde bei jeder Zeitung. Viele Leute, sei es nun in der Politik oder der Wirtschaft, sind auf gute Informationen angewiesen. Qualitätsjournalismus hat seinen Preis, aber er hat auch seinen Vorteil. Immer mehr Qualitätszeitungen führen zum Beispiel eine Paywall ein und fangen an, damit Geld zu verdienen.

TREFFPUNKT EUROPA : Wie wollt ihr denn euer Projekt finanzieren?

Daniel Freund: Wir glauben, dass das Projekt kommerziell überlebensfähig sein muss. Leute müssen also bereit sein, dafür Geld zu bezahlen. Das heißt, dass wir auf der Einkommensseite, wie viele große Tageszeitungen, einen Mix aus Werbeanzeigen und dem Verkauf der Exemplare planen. Nachdem wir jetzt das Preview herausgebracht haben, ist das Ziel, dass wir gegen Ende des Jahres in den täglichen Print gehen. Wir haben schon mit vielen Druckereien und Verlagshäusern Kontakt aufgenommen. Nun müssen wir natürlich die Finanzierung absichern. Wir arbeiten zurzeit daran, entsprechende Investoren zu finden.

TREFFPUNKT EUROPA : Hattet ihr auch für die Preview-Ausgabe schon Investoren gefunden?

Daniel Freund: Wir haben Anzeigen verkauft – es sind ja neun Werbeanzeigen in der ersten Ausgabe. Da kam also ein Teil der Einnahmen her. Und auf der anderen Seite müssen wir sagen, dass wir sehr viel guten Willen bekommen haben. Sehr viele Dinge, für die wir normalerweise Geld hätten bezahlen müssen, haben wir umsonst bekommen, einfach weil das Projekt die Leute fasziniert und sie uns gerne unterstützen wollten.

TREFFPUNKT EUROPA : Wer macht den European Daily?

Daniel Freund: Drei Gruppen sind zu unterscheiden: Das Projektteam, also Leute, die ihre Freizeit opfern, um das Projekt zu entwickeln. Dieses Projektteam wird von einer Reihe von Beratern unterstützt. Das sind erfahrene Leute die uns bei rechtlichen und unternehmerischen Fragen weiterhelfen. Und schließlich die Journalisten.

TREFFPUNKT EUROPA : Das heißt, du als Teil des Projektteams bist unbezahlt?

Daniel Freund: Genau. Bisher verdient von den Leuten, die beim Projektteam dabei sind, niemand Geld. Das sind ungefähr 50 junge Europäer, die über den ganzen Kontinent verteilt sind, die den Kontakt zu den Journalisten gepflegt haben, die Werbung zusammengesucht haben, die ständig die Webseite aktuell halten. Die Journalisten sind nicht Teil dieses Projektteams. Um uns auf dem Markt etablieren zu können, müssen wir unseren Lesern den bestmöglichen Journalismus bieten. Das heißt, die Journalisten, die normalerweise etwa für den Economist, die Financial Times, den Independent, die Deutsche Welle oder Le Monde arbeiten, haben für uns Artikel geschrieben und sind dafür auch normal bezahlt worden.

TREFFPUNKT EUROPA : Oft wurde in den letzten 20 Jahren beklagt, dass eine europäische Öffentlichkeit fehle. Wieso glaubst du, dass euer Projekt erfolgreich sein kann in so einer Atmosphäre von fehlendem Interesse für europäische Themen?

Daniel Freund: Ich glaube nicht unbedingt, dass das Interesse fehlt. Es wird heiß debattiert über viele europäische Einzelaspekte. Darüber, ob der deutsche Steuerzahler für den griechischen Schuldenberg gerade stehen muss, oder ob man wieder Grenzen einführt zwischen Deutschland und Dänemark. Gerade für die jüngere Generation geht es nicht so sehr darum, Europa an sich in Frage zu stellen, es geht darum, bestimmte Aspekte von Europa zu debattieren. Und so sehen wir auch diese Zeitung. Das ist die Marktlücke, in die wir rein wollen. Und die Reaktionen, die wir bisher bekommen, waren wirklich sehr positiv. Wir haben auf jeden Fall den Eindruck, dass Europa viele Leute interessiert und dass es eine Nachfrage nach unserer Zeitung gibt.

TREFFPUNKT EUROPA : War die Mitarbeit am Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit auch für dich persönlich eine Motivation, an dem Projekt teilzunehmen?

Daniel Freund: Das auf jeden Fall. Die Idee für den European Daily ist 2007 in einem Park in Paris entstanden: dort saß ich mit anderen Studenten von überall aus Europa zusammen. Beim gemeinsamen Zeitungslesen haben wir festgestellt, dass wir eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung der Nachrichtenlage haben. Wir haben dasselbe Geld, wir können uns ohne Grenzkontrollen frei bewegen, aber wir lesen immer noch Nachrichten aus einer nationalen Perspektive. In dem Moment ist uns bewusst geworden: Warum gibt’s eigentlich keine europäische Öffentlichkeit, warum gibt’s eigentlich keine europäische Tageszeitung? Das Projekt ist also ganz klar aus der Leserperspektive entstanden. Wir, die wir uns in Europa von Land zu Land bewegen, hatten keine Zeitung, die dieses Lebensgefühl wiederspiegelt, die uns die Informationen gibt, die wir brauchen, wenn wir täglich andere Europäer treffen. Wenn man als Deutscher in Paris, oder als Schwede in London wohnt, braucht man eben andere Nachrichten als wenn man als Schwede in Stockholm wohnt. Das ganze Projekt ist also quasi aus der Frustration heraus geboren, weil uns eine solche Zeitung zum morgendlichen Kaffee fehlte.

TREFFPUNKT EUROPA : Auf eurer Webseite schreibt ihr, dass ihr die europäische Referenz werden wollt für Nachrichten, Analysen und Meinungen. Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg dahin?

Daniel Freund: Das ist natürlich ein weitgestecktes Ziel. Zur Referenz können wir nur werden, wenn wir die europäischen Meinungsführer dazu bewegen, uns als Forum zu benutzen. Im Grunde ist es ja merkwürdig: wenn sich heute ein europäischer Politiker an die europäische Öffentlichkeit wenden will, kann er das nur in einer amerikanischen Zeitung tun. Nach dem Wahlsieg der „Wahren Finnen“ hat der Parteiführer Timo Soini ein Op-Ed im Wall Street Journal Europe veröffentlicht, um sich an die europäische Öffentlichkeit zu wenden. Warum gibt es für diese Debatte kein europäisches Forum? Das zweite Problem ist: Antworten auf solche Diskussionsanstöße zersplittern sofort wieder in nationale Debatten. Dann gibt es eine deutsche, spanische, rumänische und kroatische Antwort, aber keine gemeinsame Plattform, um miteinander zu diskutieren.

TREFFPUNKT EUROPA : Es gibt aber zum Beispiel EuroNews.

Daniel Freund: Was EuroNews macht ist wirklich gut. EuroNews ist wohl das einzige wahre europäische Medium, und es geht auch gar nicht darum, alles besser oder anders zu machen, sondern es geht um einen anderen Kanal. Wir haben uns die Zeitung ausgesucht, weil wir glauben, dass für die Leute, die wir ansprechen wollen, die Printmedien immer noch eine sehr wichtige Rolle spielen. Und (lachend): Bei EuroNews ist es ein bisschen schade, dass es hauptsächlich von leeren Hotellobbys geschaut wird. Wir hoffen, dass wir das besser hinbekommen und uns die Leute wirklich lesen.

TREFFPUNKT EUROPA : Der European Daily wird auf Englisch publiziert. Das ist sicher die meistgesprochene Sprache in Europa. Auf der anderen Seite gibt es auch schon seit langem Kritik, dass Europa und europäische Politik ein Elitenprojekt sind. Tragt ihr nicht genau dazu bei, wenn ihr nur auf einer Sprache veröffentlicht, die für die meisten Europäer eine Fremdsprache ist?

Daniel Freund: Ich glaube, in deiner Frage stecken eigentlich zwei Fragen. Was die Sprache angeht: Wenn man es schaffen will, dass wir gemeinsam die Themen diskutieren können, die uns alle betreffen, dann kann das nur in einer gemeinsamen Sprache stattfinden. Wenn ich anfange, die Debatte in 23 Sprachen zu führen, dann ist es keine Debatte mehr, sondern dann spaltet sich der Diskurs direkt wieder entlang der nationalen Grenzen. Das ist das eine. Das andere ist, dass Qualitätstageszeitungen nie die allerbreiteste Masse erreichen. Im Deutschen beschreibt man das mit dem Begriff Leitmedium: Eine Handvoll Qualitätszeitungen leiten im Grunde die Debatte. Vielleicht ist das hoch gegriffen, aber das ist unsere Ambition, die wir irgendwann umsetzen wollen. Nicht, dass uns alle 600 Millionen Europäer lesen, sondern dass wir auch viele andere Zeitungen, nationale und regionale, dazu bringen, ihren Blick auf Europa den Gegebenheiten der heutigen Welt anzupassen.

Du möchtest mehr über den European Daily wissen? www.europeandaily.com

Ihr Kommentar
  • Am 17. August 2011 um 02:13, von  Francois Als Antwort „Diese Zeitung ist ein Ergebnis unserer Frustration!“

    Englisch ist sicher die meistgesprochene FREMDsprache in Europa. Aber Deutsch ist sicher die meistgesprochene MUTTERsprache in Europa. Ein von funf Europaer.

    Warum nicht auf Deutsch ? Haben sie wirklich Lust auf einer Fremdsprache zum morgendlichen Kaffee zu lesen ?

    ein Franzoser.

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