Libyen: Wir müssen rein!

Warum die Europäische Union und die UNO eingreifen müssen.

, von  Marian Schreier

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Libyen: Wir müssen rein!
Panzer in der Nähe der libyschen Stadt Misrata, etwa 200 km östlich von Tripolis.

Während in Tunesien und Ägypten die Aufbauarbeiten beginnen, werden in Libyen Menschen von Kampfjets gejagt. Marian Schreier hat die Situation analysiert und kommt zu dem Schluss, dass die Staatengemeinschaft intervenieren muss, wenn sie weiteres Morden verhindern will. Denn anders als bei Tunesien und Ägypten, gibt es weder Hoffnung auf ein Ende der Gewalt, noch auf einen Erfolg der Revolution.

„Wenn die Jugendlichen geschnappt und bestraft werden, werden sie um Gnade betteln – aber dieses Mal werden wir nicht so gnädig sein“ [1]. Muammar al- Gaddafis Äußerungen in seiner Rede am 22. Februar 2011 (siehe Video unten) machen deutlich wie Ernst die Lage in Libyen ist.

Eine Intervention ist unausweichlich

Angesichts dieses Aufrufs zur Gewalt ist eine Intervention der internationalen Staatengemeinschaft unter Führung der EU und NATO unausweichlich. Sonst droht die libyschen Bevölkerung Opfer weitreichender staatliche Gewalt zu werden, bis hin zu einem Bürgerkrieg. Einwände, wie eine westliche Intervention würde den libyschen Protest delegitimieren oder die Kapazitäten von EU/NATO seien erschöpft, dürfen angesichts der Strukturen in Libyen keine Rolle spielen. Denn Libyen unterscheidet sich in mehrerlei Hinsicht wesentlich von Tunesien und Ägypten.

Die Rolle des Militärs in Libyen

Am wichtigsten ist wohl, dass es wenige einflussreiche Militärs gibt und diese – im Gegensatz zu Ägypten – viel stärker unter dem Einfluss Gaddafis stehen [2]. Mehr noch: Gaddafi kann auf persönliche Spezialkräfte zurückgreifen, die von seinem Sohn Khamis Gaddafi befehligt werden. Zudem ist das Militär in sich stark gespalten, die Stammeszugehörigkeit wiegt mehr als der militärische Korpsgeist [3].

Dies ist besonders für eine mögliche Post-Gaddafi Ära von Bedeutung, weil das Militär aufgrund innerer Rivalität als möglicher Garant von Sicherheit während eines Übergangs nicht in Frage kommt. Es ist eher zu befürchten, dass interne Machtkämpfe auflodern, die das Land an den Rand eines Bürgerkriegs bringen könnten.

Gaddafi und die Volksstämme

Muammar al- Gaddafis Regierungsstil basiert weitestgehend auf dem Einbinden und gleichzeitigem Beschneiden des Einflusses libyscher Volksstämme. Zentrale Positionen des Regimes werden von Mitgliedern seines eignen Stammes Qathathfa ausgefüllt. Andere Stämme wiederum kooptiert Gaddafi in denen er ihnen durch Ämter und die sogenannten Basisvolkskongresse Einfluss zusichert. Insgesamt kann sich daraus eine gefährliche Dynamik ergeben, da sich erste Stämme und Akteure aus dem verschachtelten Machtssystems Gaddafis rauslösen [4] Dies versucht Gaddafi mit aller Härte zu unterbinden, wie das Aufhetzen seiner Anhänger in dem obigen Redeausschnitt zeigt. Im Ergebnis könnte eine blutige Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Gruppen in Libyen stehen.

Schwierigkeiten des Machtwechsels

Wenn Gaddafi, trotz anderslautender Ankündigungen, doch zurücktreten oder fliehen sollte, stellen sich mehrere Probleme für einen geordneten Übergang. Zu aller erst kann Libyen nicht auf Parteien oder ähnliche politische Gruppierungen zurückgreifen, weil die libysche Verfassung Parteien verbietet und allein auf direktdemokratische Elemente setzt. Zu dem ist die Zivilgesellschaft und insbesondere die Medienlandschaft unterentwickelt. Deshalb war und ist es sehr schwierig überprüfbare Informationen aus Libyen zu bekommen.

Auch Gaddafis Söhne, vor allem der am ehesten pro-westlich orientierte Saif al-Islam, kommen nach ihren Äußerungen der letzten Tage nicht für eine Nachfolge in Betracht [5].

Zusammenfassend machen die massive Gewalt, die fehlende Autonomie des Militärs, die rivalisierenden Stämme sowie fehlende Zivilgesellschaft und Parteien eine internationale Intervention unausweichlich. Wie könnte diese aussehen?

Responsibility to Protect (R2P) und die EU Battlegroups

Auf dem World Summit 2005 haben fast alle Staaten der Welt die sogenannte "Responsibility to Protect" kurz: R2P verabschiedet [6]. Diese völkerrechtliche Doktrin nimmt den Schutz des Individuums vor Menschenrechtsverletzungen zum Ausgangspunkt und sieht drei Schritte vor [7]:

  1. Responsibility to Prevent
  2. Responsibility to React
  3. Responsibility to Rebuild

Der erste Schritt, Eindämmung und Prävention von Gewalt, wurde offenkundig versäumt. Deswegen ist vor allem der zweite Schritt, die Reaktion auf „weitreichenden Verlust von Menschenleben“, entscheidend. Die inzwischen mehr als 500 Toten und Gaddafis Wille „zum Märtyrer zu werden“ machen deutlich, dass jetzt gehandelt werden muss um weitere Tote zu verhindern.

In einem letzten Schritt müssen - und dieser ist wegen der aufgezeigten strukturellen Probleme ohne ausländische Hilfe nicht zu leisten – Zivilgesellschaft und Staat (wieder)aufgebaut werden.

Völkerrechtlich bedarf es eines Mandats des UN-Sicherheitsrats, der sich heute schon hinter verschlossenen Türen der Thematik annahm. Die Intervention selbst könnte dann anfangs von EU Battlegroups [8] und der NATO Response Force [9] durchgeführt werden. Beide Eingrifftruppen sind innerhalb weniger Tage einsatzbereit. Konkrete Maßnahmen wären zuvorderst der Schutz der Zivilbevölkerung, Kontrolle eines Flugverbots über Libyen, die Schaffung von Korridoren für Hilfslieferungen sowie die Sicherung der Grenzen, um das weitere Einfallen von Pro-Gaddafi Milizen aus den angrenzenden Staaten zu verhindern.

Menschenrechtsschutz und Eigennutz

Neben dem Schutz von Menschenleben und der Einhaltung der Menschenrechte geht es für die Europäische Union auch um eine Reihe von Folgeproblemen, die aus einem Nicht-Eingreifen erwachsen können. An erster Stelle steht eine weitere humanitäre Katastrophe, nämlich ein riesiger Strom von Flüchtlingen, welcher vor allem die südlichen EU-Mitgliedsstaaten Italien und Malta betrifft. Wenn sich die Situation in Libyen weiter verschlechtert, werden immer mehr Menschen die Flucht über das Mittelmeer in das rettende Europa antreten.

Videos zum Thema

Reaktion der Europäischen Union, 22. Februar, Euronews.

Auszug der Rede Gaddafis, 22. Februar, CNN.

Ihr Kommentar
  • Am 23. Februar 2011 um 02:51, von  Klaus Schneider Als Antwort Libyen: Wir müssen rein!

    Vorsicht, eine militärische Intervention ist mit einem sehr hohen Risiko behaftet, dass es in die Hosen geht. Man muss bedenken wie schwer sich die Regierungen zu einer gesprochenen, einigermaßen einheitlichen Stellungnahme zur Entwicklung in Libyen tun, obwohl diese schon seit längerem absehbar ist. Die Nachbarländer werden intervenieren weil sie sich kein Machtvakuum in diesem Land leisten können.

  • Am 23. Februar 2011 um 11:04, von  Frank Stadelmaier Als Antwort Libyen: Wir müssen rein!

    Ich bin beeindruckt, mit welcher Zeitnähe der Treffpunkt Europa hier Stellung bezieht. Danke, Marian!

    In Anschluss an Klaus Schneider muss man allerdings desweiteren zu Bedenken geben, welche ungewollten politischen Signale eine europäische Intervention in einer Region auslösen kann, in der die EU (aus guten Gründen) weitgehend delegitimiert dasteht. Die jahrelange Unterstützung der Despoten im besonderen sowie das ambivalente Bild des Westens in der Region im allgemeinen limitieren leider die glaubwürdigen Alternativen für die EU. Eine andere Frage wird es, sollte sich die humanitäre Situation in den nächsten Tagen nicht verbessern. Zum jetzigen Zeitpunkt aber scheint ein militärisches Eingreifen mit all seinen Unwägbarkeiten verfehlt, zumal sollte es ohne ein Mandat des Sicherheitsrats geschehen, wo China und Russland kaum einfach zu überzeugen sein werden.

  • Am 23. Februar 2011 um 21:41, von  Heiner Schulze Als Antwort Libyen: Wir müssen rein!

    So unangenehm mir das sein mag, aber im ersten Moment tauchte nach dem Lesen des Artikels die Assoziation „The white man’s burden“ in meinem Kopf auf.

  • Am 11. März 2011 um 13:25, von  Thomas Als Antwort Libyen: Wir müssen rein!

    In nem Jahr schreiben die deutschen Zeitungen: „uups, wie sind wir mit unseren Truppen in den Libyen Schlamassel gekommen?“ und es gibt ne Reihe von Kommentaren von den üblichen Captain Hindsights, die auch schon die Finanzkrise „voraussagten“ - nen Monat NACHDEM sie passiert ist - anschließend schieben sich die Politiker gegenseitig den Schuh zu.... aber bis dahin ist ja Guttenberg wieder da und richtet alles. Frag mich wie viele Leute vor Lachen gestorben wären, wenn die Afrikanische Union beim Wasserwerfereinsatz gegen Stuttgart 21 Demonstranten gesagt hätte „wir müssen da rein“ und Heiner Geißler als einzigen legitimen Regierungsvertreter anerkannt hätten lol.

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