Mehr Europa für mehr Demokratie

Teil 2/3 der Serie: Nationale Parlamente in der EU und die Zukunft der Mehrebenendemokratie.

, von  Felix Brannaschk

Mehr Europa für mehr Demokratie
Das Europäische Parlament braucht mehr Rechte, um so die Legitimationskrise der EU zu bewältigen. Foto: © European Parliament 2011

Seit dem Aufkommen der Staatsschuldenkrise in einigen Ländern der EU mussten wir lernen, auf welch instabilen Füßen die Staatengemeinschaft gebaut ist. Die ökonomischen und fiskalischen Herausforderungen sowie deren Lösung erfordern verstärktes Regierungshandeln. Sie werfen aber auch Fragen der demokratischen Legitimation auf. Es scheint, dass die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger durch ihre Vertreter in den Parlamenten auf dem Tiefpunkt angelangt ist.

Regierungshandeln sucht demokratische Legitimation

Offenbar entscheiden nationale Regierungen im Alleingang, welche politischen Maßnahmen getroffen werden. In Deutschland bedurfte es immer wieder des Bundesverfassungsgerichts, um demokratische Teilhabe zu gewährleisten, wenn es um europäische Fragen ging. Doch das gilt nur für den Bundestag. Ziel muss eine gesamteuropäische Legitimationskette sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier zwei Ansätze vorgestellt werden, die zum Teil schon Praxis sind und europäisches Handeln mehr Legitimation verschaffen könnten. Eine vertiefte Zusammenarbeit nationaler Parlamente in der EU sowie der Aufbau einer grenzüberschreitenden Demokratie werden nicht mehr nur in akademischen Kreisen diskutiert, sondern erfahren immer mehr Öffentlichkeit. Es lohnt sich, die Ansätze weiter zu verfolgen.

Zusammenarbeit nationaler Parlamente

Für eine bessere Legitimation durch die Zusammenarbeit nationaler Parlamente können vorwiegend zwei Argumente vorgebracht werden. Zum einen soll ein lebendiger „Interparlamentarismus“ Synergieeffekte erzeugen, die es den nationalen Parlamentariern erleichtern, ihre Regierungen gezielter und effektiver zu kontrollieren. Zum anderen zielt man auf die Schaffung eines Raumes des parlamentarischen Austauschs ab.

Die Zusammenarbeit von nationalen Parlamenten in der EU ist nicht neu, doch sind seit dem Vertrag von Lissabon und der Verschärfung der Haushaltskrisen neue Dynamiken entstanden. Die Stärkung der Parlamente im Vertrag von Lissabon löste die Schaffung von Europaabteilungen in den Verwaltungen der Nationalparlamente aus. In einigen Ländern wurden erstmals Europaausschüsse eingerichtet (beispielsweise in Irland und Portugal). Auch fing man an, das Personal in Europafragen zu schulen. Vor dem „Europa-Ruck“ von 2009 etablierte sich eine Reihe von institutionalisierten Foren zwischen den Parlamenten.

Lange war die Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente das tragfähigste Bindeglied. Die sogenannte COSAC traf sich seit Ende der 1980er Jahre etwa zweimal im Jahr. Sie setzt sich aus je sechs Vertretern aus jedem EU-Land und sechs Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) zusammen. Allerdings nimmt deren Bedeutung stetig ab, schließlich greift Europapolitik heute in nahezu allen Themengebieten ein, wodurch die europapolitische Bedeutung der Fachausschüsse, insbesondere der Haushalts- und Finanzausschüsse der einzelnen Parlamente zunimmt. Zahlreiche Beobachter, wie der Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, halten die COSAC auch deshalb für bedeutungslos.

Daneben existiert der Austausch der Parlamentsverwaltungen, das sogenannte IPEX ( Interparlamentary EU Information Exchange). Hauptsächlich besteht es aus einer geschlossenen Online-Plattform. Diese Datenbank ermöglicht einen schnelleren Austausch zwischen den Parlamenten. Auf der Plattform werden beispielsweise europäische Gesetzgebungsentwürfe, Ansprechpartner in den einzelnen Parlamenten, Termine und viele weitere Informationen mit Europabezug eingestellt. Weitere informelle Zusammenkünfte von Abgeordneten sowie das Treffen der 74 Regional- und Länderparlamente in der EU (CALRE) gibt es regelmäßig.

COSAC, IPEX, CALRE – das alles klingt gut und wichtig, doch hinter diesen Chiffren verbirgt sich wenig mehr als gut gemeinte Diskutierclubs. Sicher, der Austausch nationaler Volksvertreter ist schon angesichts der Europäisierung nationaler Parlamente wünschenswert, er schafft Verständnis und Kenntnis nationaler Befindlichkeiten. Allerdings werden sie nicht das Problem der mangelnden Legitimation lösen können, schon allein weil sie über keine Kompetenzen verfügen. Auch wenn man ihnen solche zusprechen würde, wäre die Folge sicher nicht mehr Demokratie, sondern Verwirrung. Sie können damit nur einen Zwischenschritt darstellen.

Transnationale Demokratie

Über kurz oder lang werden wir uns in Europa eine echte transnationale Demokratie geben müssen, die in der Lage ist, ihre handelnden Akteure europaweit zu legitimieren und alle Unionsbürgerinnen und -bürger zu beteiligen. Dann würden nicht mehr die Staaten untereinander entscheiden, sondern die Vertreter eines europäischen Demos. Eine Art europäischer Bundesstaat würde mit einer eigenen föderalen Verfassung entstehen.

Mit guten Argumenten lehnen viele den Vergleich eines geeinten Europas mit den USA ab. Vielleicht brauchen wir in Europa keinen so starken Präsidenten, doch eine Kompetenzverteilung zwischen den Ebenen wie sie in den USA besteht, ist nicht abwegig. Dort regelt die Bundesebene die auswärtigen Beziehungen, den auswärtigen Handel sowie den Wirtschaftsverkehr zwischen den Gliedstaaten. In der EU sind wir auf gutem Weg dahin, dies ebenfalls mit noch weitreichenderen Kompetenztiteln zu verwirklichen. Doch fehlt der nötige legitimatorische Unterbau.

Entscheidungen, die diese Politikfelder umfassen, müsse das Europäische Parlament als die entscheidende Institution treffen. Es bekäme endlich ein vollwertiges Initiativrecht für europäische Gesetze, es erhielte die Hoheit über das europäische Budget und würde aus seiner Mitte den Kommissionspräsidenten wählen, der wiederum Chef einer europäischen Regierung wäre. Die politische Diskussion verlagert sich dadurch weg von den Regierungschefs ins Parlament hinein. Eine Auseinandersetzung wird nicht mehr vorrangig zwischen den Mitgliedstaaten, sondern zwischen Parteien geführt. Dass diese neue Art von Diskurs notwendig erscheint, zeigte sich gerade in den letzten zwei bis drei Jahren. Schlagzeilen wie „Deutschland der Zahlmeister“, „Italien zieht Deutschland über den Tisch“ oder „Frankreich gegen Deutschland“ wären dann passé. Heikle europäische Debatten über sensible Themen wie Solidarität, Transferzahlungen und Reformen sollten nicht entlang nationaler oder ethnischer Grenzen verlaufen. Um falsche Konflikte, die mit der Sache wenig zu tun haben im Keim zu ersticken, brauchen wir die politische Auseinandersetzung von Parteien im EP.

Dieses wird von der Bevölkerung gewählt. Ihre Vertreter bestimmen sie über transnationale Wahllisten. Die Forderung ist nicht neu, aber in der Diskussion um mehr Legitimation unausweichlich. Es gibt schon jetzt keinen Grund mehr, warum sich das EP nach wie vor über nationale Parteilisten zusammensetzt, schließlich repräsentiert es die Gesamtheit der Unionsbürger, wie es in Art. 10 Abs. 2 im Vertrag über die Europäische Union heißt. Das Parlament kennt laut der Verträge keine nationalen Grenzen mehr, dafür gibt es den Rat.

Sicher ist es nicht einfach dafür ein geeignetes Wahlsystem zu finden, wie auch der neue, eher unbefriedigende Vorschlag von Andrew Duff zeigt. Der Vorwurf, Politiker scheuen den Wettstreit um internationale Mandate, kann nicht ausgeräumt werden. Mit einem solchen Wahlsystem würde sich der Prozess zur Herausbildung wirklicher europäischer Parteien beschleunigen. Für Parteimitglieder muss es selbstverständlich werden, dass sie neben einer Landes- und Bundespartei auch einer Europapartei angehören. Der erste Schritt soll schon bei der Wahl 2014 gegangen werden, wenn es zumindest für die Sozialdemokratische Partei Europas und die Europäische Volkspartei jeweils einen Spitzenkandidaten geben wird.

Allerdings bleibt der Weg weiterhin steinig. Unser politisches Denken und Handeln beschränkt sich noch zu sehr auf den nationalstaatlichen Rahmen: Ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet, eine Staatsgewalt definiert über die nationale Zugehörigkeit. Doch das Europa der Nationalstaaten formierte sich gerade mal vor knapp 200 Jahren mit dem Ende des Wiener Kongresses. Darauf basieren die meisten Verfassungen in den europäischen Staaten. Aus Eisen gegossen sind sie jedenfalls nicht. Dass die heute bestehenden Nationen auch in einem europäischen Bundesstaat nach wie vor eine starke Rolle spielen müssen, bleibt unbestritten. Sie sollen in einer Art zweiter Kammer neben dem Parlament vertreten sein. Ob diese Vertreter von den nationalen Parlamenten bestimmt oder direkt von den Bürgern der Gliedstaaten gewählt werden, bedarf gesonderter Betrachtung.

Europa muss zum „großen Wurf“ ansetzen

Seit Lissabon hat die EU eine gewisse Demokratisierung erfahren. Das EP und die nationalen Parlamente wurden gestärkt und es entwickelte sich ein Austausch zwischen beiden Parlamentsebenen. Seit den Herausforderungen durch die Schuldenkrise erweist sich das aber als ungenügend. Eine interparlamentarische Zusammenarbeit ist wichtig und gut, kann die Bürger aber nicht auf Dauer effektiv und glaubhaft an europäischen Entscheidungen beteiligen. Stattdessen benötigt es eine transnationale Demokratie.

Die Zeit der intergouvernementalen Politik wird auf Dauer keinen Bestand haben, da die Bürger dieser nicht mehr trauen. Demokratie muss neu und europäisch gedacht werden. Sicher, nicht nur Deutschland bräuchte eine neue Verfassung. Diese Frage stellt sich in jedem Mitgliedsstaat. Die Diskussion über die Zukunft sollten wir nicht länger mit dem Hinweis auf „wichtige aktuelle Probleme“ vertagen. Die letzten Jahre haben diese Notwendigkeit mehr als bestätigt. Zwar ist fraglich, ob der „große Wurf“ in Zeiten wachsenden Populismus gelingt, doch es kommt immer noch auf den Versuch an.

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