Serbien nach der Wahl: Die EU muss die Peitsche einrollen

Über vergessene Wahlen und völkerrechtlichen Leichtsinn

, von  Markus Breitweg, Martin Renner

Serbien nach der Wahl: Die EU muss die Peitsche einrollen
Straßensperre in Štrpce. Die Stadt liegt im Süden des Kosovo, wird aber überwiegend von Serben bewohnt. Bestimmte Rechte vorbehalten von arcsi

Am vergangenen Wochenende drehte sich die deutsche Berichterstattung beinahe ausschließlich um die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, die Parlamentswahlen in Griechenland und um die Landtagswahl in Schleswig Holstein.

Die Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen in Serbien hingegen – für die Zukunft des Landes und damit für den gesamten Balkan von großer Bedeutung – fanden kaum Widerhall. Trotz der Verlegung deutscher Soldaten zur Verstärkung der KFOR-Einheiten im Kosovo wegen befürchteter Unruhen nach den Wahlen scheint es fast, als hätten die Deutschen den Balkan und die dortigen Konflikte vergessen. Dabei war es gerade der Kosovo-Konflikt, durch den vor 13 Jahren erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen Krieg geschickt wurden.

Serbien bleibt auf EU-Kurs…

Zudem gibt die Berichterstattung aus Serbien durchaus Grund zu Optimismus. Serbien scheint mehr als je zuvor auf einem stabilen Kurs in Richtung EU-Beitritt zu sein. Alle wichtigen Parteien sind – mit Ausnahme der Partei des früheren Präsidenten Vojislav Kostunica (Demokratische Partei Serbiens, DSS) – für einen Beitritt des Landes zur EU. Mit den Auslieferungen der serbischen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic (2001), Radovan Karadzic (2008) sowie Radko Mladic und Goran Hadzic (2011) an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, die gegen zum Teil heftige Proteste nationalistischer Bevölkerungsteile durchgesetzt werden mussten, haben das Land und seine politische Elite einen Meilenstein auf dem Weg in die EU hinter sich gebracht.

Der Ausgang der Parlamentswahlen vom 6. Mai erlaubt es daher, verhalten optimistisch in die Zukunft zu blicken: Zwar wurde die Serbische Fortschrittspartei (SNS) stärkste Fraktion im serbischen Parlament (24,01 %). Es erscheint jedoch wahrscheinlich, dass die Demokratische Partei (DS; 22,07 %) des bisherigen Präsidenten Boris Tadic gemeinsam mit den Sozialisten (SPS; 14,54 %) und einigen kleineren Parteien erneut eine regierungsfähige Koalition bilden wird. Damit hat eine europafreundliche Agenda von den Wählern erneut eine knappe Mehrheit bekommen.

Eine ungleich größere Herausforderung für die serbische Politik besteht darin, sich für Verhandlungen mit der kosovarischen Regierung über den künftigen Status der ehemaligen Provinz zu öffnen. Kosovo hatte sich im Februar 2008 unilateral von Serbien losgesagt.

… die Kosovo-Frage bleibt vorerst ungelöst

Für eben jene Frage wird der Ausgang der Stichwahl um das Präsidentenamt am 20. Mai erhebliche Konsequenzen haben. Da beide Kandidaten im ersten Wahlgang mit jeweils rund 25 % der Stimmen gleichauf lagen, bleibt das Rennen offen – und damit auch der künftige Kurs in der Kosovo-Frage. Zwar schließen sowohl der bisherige Präsident Boris Tadic (DS) als auch sein Konkurrent um das Präsidentenamt, Tomislav Nikolic (SNS), eine Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat aus. Während man bei der DS allerdings zwischen den Zeilen die Einsicht heraushören kann, auf lange Sicht Tatsachen zu akzeptieren und pragmatische Schritte zu unternehmen, wird ein Präsident Nikolic einer Entspannungspolitik wohl nachhaltig im Wege stehen.

Ihm zur Seite steht in dieser Frage die orthodoxe Kirche, deren Einfluss auf die serbische Bevölkerung kaum unterschätzt werden kann. Führer der orthodoxen Kirche äußerten jüngst, dass sie im Zweifelsfall sogar die Beitrittsperspektiven zur EU zur Disposition stellen würden, da der Kosovo als ein kulturell, religiös und historisch integraler Bestandteil Serbiens nicht aufgegeben werden dürfe.

Insbesondere die Stellung der serbischen Bevölkerungsmehrheit im Nord-Kosovo könnte Verhandlungsmasse für eine Einigung sein. Gelänge es, die Verantwortungsträger in Pristina zu substantiellen und bislang tabuisierten Zugeständnissen zu bewegen, wäre dies eine entscheidende innenpolitische Unterstützung für Serbiens Regierung unter einem Präsidenten Tadic. Kosovo müsste dafür deutlich über den im Ahtisaari-Plan genannten Minderheitenschutz hinausgehen und weitreichende Autonomierechten gewähren.

Die EU muss umsichtiger agieren

Angesichts dieser Entwicklungen in Serbien wird auch die EU umsichtiger agieren müssen. Eine Politik, die Serbien einseitig große Kraftanstrengungen abverlangt, während dem Kosovo mit Blick auf seine Minderheit im Nordteil des Landes freie Hand gelassen wird, kann nicht zum Erfolg führen. Daher ist eine Basta-Rhetorik, wie sie Angela Merkel Anfang des Jahres bei ihrem Besuch in Serbien präsentierte, kontraproduktiv – ganz gleich wer neuer Präsident werden wird.

Stattdessen sollten auch die politischen Eliten im Kosovo insgesamt stärker in die Pflicht genommen werden. Dass die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU (EULEX) nicht statusneutral ist, sondern durch die Anwendung kosovarischen Rechts als Grundlage für den Aufbau des Justiz- und Polizeiwesens de facto Partei ergreift, wird in der serbischen Bevölkerung sehr wohl wahrgenommen. Gleichzeitig wirken die politisch Verantwortlichen dem Eindruck in der kosovarischen Bevölkerung, dass EULEX „nicht genug“ tue und der daraus resultierenden ablehnenden Haltung der Kosovaren gegenüber der Mission nicht ausreichend entgegen.

Auch die Frage der internationalen Anerkennung des Kosovo wird von den kosovarischen Eliten zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Dabei geht es hier an den Kern des Völkerrechts und damit an den Kern der Möglichkeit des friedlichen und regelbasierten Zusammenlebens von Staaten. Die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten hat im im Widerstreit völkerrechtlicher Prinzipien vorschnell und dauerhaft Partei ergriffen: zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts der Völker und zu Lasten des Prinzips der territorialen Integrität von Staaten.

Zwar urteilte der IGH in einem von Serbien beantragten Gutachten 2010, dass die einseitige Unabhängigkeitserklärung nicht gegen Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats verstoße. Das Völkerrecht wurde de jure also nicht gebrochen. Eine direkte destabilisierende Wirkung dieses Exempels konnte aber schon wenige Monate später im Kaukasus beobachtet werden: Russland berief sich mit seiner Anerkennung von Südossetien und Abchasien nach dem Georgienkrieg im Sommer 2008 eben auf den Präzedenzfall Kosovo.

Diejenigen also, die Serbien kaum Verhandlungsspielraum geben und stattdessen mit der Notwendigkeit argumentieren, dass Serbien um die Anerkennung „vollendeter Tatsachen“ nicht umhinkomme, müssen diese vollendeten Tatsachen wohl oder übel auch in anderem Zusammenhang akzeptieren.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, nachträglich zu einer multilateralen Verhandlungslösung zu kommen, die einerseits die Unabhängigkeit des Kosovo festschreibt und akzeptiert, andererseits aber auch den Serben substantielle Zugeständnisse hinsichtlich des Status der serbischen Minderheit im Nord-Kosovo macht.

Serbien hat – zu Recht und zum Glück – die Balkankriege verloren. Es ist für die EU jetzt aber an der Zeit, die Peitsche zur Seite zu legen und die serbische Politik in ihrem proeuropäischen Kurs mit viel Zuckerbrot zu unterstützen.

Die Autoren schreiben vor dem Hintergrund ihrer Teilnahme an der Studienreise der Jungen Europäer – JEF Baden-Württemberg nach Serbien und in den Kosovo vom 25. März bis 01. April 2012. Sie haben hier gemeinsam mit den JEF Sektionen aus Moldawien, dem Kosovo, Serbien und Straßburg ausführliche Gespräche mit Vertretern aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft geführt. Ein ausführlicher Reisebericht folgt in Kürze auf ihrer Homepage.

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  • Am 18. Mai 2012 um 12:39, von  Essay Writing Als Antwort Serbien nach der Wahl: Die EU muss die Peitsche einrollen

    Thanks a lot for sharing this nice and informative post, This posts shows your efforts that how do you cover any topic research. I really like your blog because your blog has updated posts on different current issues. I would request you to keep sharing your thoughts.

  • Am 28. Juli 2012 um 08:28, von  CdtVrfCd Als Antwort Serbien nach der Wahl: Die EU muss die Peitsche einrollen

    sagt:Danke f r die nicht nur ausf hrliche, sodnren auch absolut anregende Rezension, der man die INtensit t der Auseinandersetzung anmerkt! Die gestalterischen Fragen zu beantworten berlasse ich Mario, uns hat die Papierblumenidee gefallen, aber ich kann die Kritik nachvollziehen.Die Faltung des Pergamins in der falschen Richtung Das geh rt nat rlich anders herum und zeigt, wie viel Information verloren geht. Die ersten Paletten waren richtig rum gepackt. Als Verleger weist man das an, macht ein Muster, gibt es frei, sieht die Messeexemplare und packt sie stolz aus und dann geht man nicht alle Paletten durch. Sollte man aber. Denn irgendwo scheint das Muster so soll das fertig verpackt aussehen verloren gegangen zu sein Danke f r den Hinweis.Warum schl gt man dann nciht alle B cher in Pergamin ein? Erstens ist es teurer, aber das kann im Abw gen zwischen Verantwortung und Effizienz noch kein Argument sien. Dann hasst der Handel in Papier eingeschlagene B cher. Weil das Cover nicht so gut erkennbar ist und ich vermute auch einfach weil das mit der Einschwei folie schon immer so war. Beim ADC Buch haben wir jetzt erstmals den Teil der Auflage, f r den uns Vormerkungen von Endkunden vorlagen ganz ohne Schwei folie liefern lassen. Denn ordentlich verpackt braucht je eingentlich keiner eine Schwei folie. Das erh ht die Komplexit t, nervt den Buchbinder, scheint uns aber sinnvoll.Zu den ausgew hlten Beispielen und dem Text hielte ich eine Antwort von Jutta Nachtwey und Judith Mair richtiger, als wenn ich da jetzt argumentiere und maile beiden den Link Noch mal DANKE f r die Anregungen und gerne auch mit etwas zeitlichem Abstand f r ein Konzept f r ein noch besseres Buch!!!

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