Denkanstöße zu einer europäischen Zivilgesellschaft

Serie: Wege aus der Krise

, von  Paul Hahnenkamp

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Denkanstöße zu einer europäischen Zivilgesellschaft
Die Eurokrise macht die Strukturschwächen innerhalb einer Währungsunion deutlich. Foto: Eurocrisis © Alan Klim / Flickr / CC BY-ND 2.0

Die Eurokrise brachte das europäische Projekt ins Schwanken. Ganz abgesehen von wirtschaftlicher Rezession und dem Abstürzen der Börsenkurse zeigte sich auch das filigrane Gebilde unserer Union: die Solidarität zwischen den europäischen Gesellschaften verschwand.

Politiker und Experten versichern uns dieser Tage, das Schlimmste sei vorbei. Die gemeinsame Währung habe zwar Schaden genommen, sei aber vorerst gerettet. Die Austeritätspolitik habe ihren Zweck erfüllt. Für viele südliche Euroländer bedeutet diese Politik vor allem eines: Sparen. Sparen bei Sozialleistungen, bei Investitionen in die Infrastruktur, in der Forschung. Auch die politische Hauptlast wird von den südlichen Ländern getragen. Syriza in Griechenland fegt derzeit das politische Etablissement hinweg, andere Parteien wie zum Beispiel die spanische Podemos gewinnen kontinuierlich an Zustimmung. Dabei trifft ihre fundamentale Kritik mitten ins Schwarze: Die Maßnahmen der Austeritätspolitik haben nichts mehr mit einer sozialen Marktwirtschaft zu tun, zu der sich die Union in ihren Verträgen bekennt. Der Gesellschaft wird die Solidarität entzogen.

Umstrittene Austeritätspolitik

Seit längerem ist klar, dass die Austeritätspolitik nicht nur politisch sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften heftig umstritten ist. Studien, wie jene vielzitierte von Reinhart und Rogoff über die Auswirkungen eines zu hohen Schuldenstandes auf die Konjunktur, wurden widerlegt. Sogar der IWF gestand Ende 2014 ein, dass die Austeritätspolitik nicht in der Lage sei, nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Ein empirischer Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und gedämpften Wirtschaftswachstum konnte bis jetzt nicht nachgewiesen werden. Öffentliche Investitionen sind notwendige Maßnahmen, um die Wirtschaft in der Rezession anzukurbeln. Ich möchte hier nun aber nicht auf die Wichtigkeit von staatlichen Impulsen für die Wirtschaft eingehen, sondern einige Denkanstöße zum Wesen der EU selbst anbieten, die mir im Zuge der Austeritätspolitik aufgefallen sind.

Zeit für eine gemeinsame Steuerpolitik

Zum einen wirft die Eurokrise strukturelle Fragen auf. Die Austeritätspolitik bzw. ihre Kritik sind nur Antworten auf die Auswirkungen der Krise. Die Ursachen liegen unter anderem im Konstrukt ,,Euro’’ selbst. Bereits bei der Einführung des Euros wurde die Sinnhaftigkeit einer gemeinsamen Währungsunion ohne gemeinsame Wirtschaftsunion hinterfragt. Die fehlende Kompetenz, die Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten zu harmonisieren, stellt sich als strukturelle Schwäche in der Eurokrise dar. Im Bereich der EU-Verträge kommt der Union nur eine Koordinierungskompetenz zu.

Im Zusammenhang damit stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Steuerpolitik. Die Kompetenz, Steuern einzunehmen, ist ein Kernprinzip der staatlichen Souveränität. Es erscheint derzeit als Utopie, dass die Union selbst im großen Stil Steuern einnehmen wird. Nichtsdestotrotz wäre eine Finanztransaktionssteuer in Form einer Direktabgabe für das Budget der Europäischen Union möglich. Außerdem erscheint eine europaweite Steuer in diesem Bereich sinnvoller, um eine Börsenflucht zu verhindern.

Mangel einer kritischen europäischen Gesellschaft

Diese strukturellen Wirtschaftsmaßnahmen laufen auf eines hinaus: eine Konsolidierung der EU nach innen mit weiteren Kompetenzen für die EU-Institutionen. Dies lässt sich derzeit einerseits politisch schwer durchsetzen, weil von nationalen/nationalistischen Kräften eine Zentralisierung durch Brüssel oder gar ein europäischer Staat befürchtet wird. Andererseits kann und darf eine weitere Konsolidierung der EU auch nicht ohne demokratische Reformen geschehen. Das demokratische Defizit innerhalb der Institutionen der Union ist durchaus lösbar, wenn man den Rat zu einer Länderkammer im Gesetzgebungsprozess umgestaltet und seine Entscheidungen transparenter gestaltet. Das Problem liegt vielmehr darin, dass es an einer kritischen europäischen Zivilgesellschaft mangelt.

Die Rolle der Medien, die neben den klassischen drei Staatsgewalten oft als vierte Säule bezeichnet werden, ist im europäischen Kontext leider schwach ausgeprägt. Natürlich finden sich überall in Europa kritische Zeitungen und andere Kommunikationskanäle, die die Vorgehensweisen der Union detailliert untersuchen. Häufig geschieht dies aber im nationalen Rahmen: Es werden die nationalen Denkschemen angewandt und die nationalen Konsequenzen benannt. Die Bildung einer europäischen Zivilgesellschaft kann jedoch nicht ,,von oben’’ durch Richtlinien verordnet werden. Hier sind die nationalen Medien, zivilen Institutionen und die Bürger selbst gefragt.

Rolle der nationalen Medien

Probleme aus dem fernen Brüssel sind für nationale Medien schwerer zu erfassen und noch schwieriger an den Mann zu bringen: Der Leser sympathisiert und solidarisiert sich mit dem Geschehen in seinem Umfeld. Trotzdem dürfen die europäischen Debatten nicht den Eliten überlassen werden. Wenn sich die führenden Parteien im EU-Parlament und die Kommission gegenseitig zur gemeinsamen Austeritätspolitik ermahnen oder gratulieren, mag das zwar angenehm für deren Selbstdarstellung sein, kritischen Output gibt es aber nicht.

Dabei finden sich durchaus Leser für eine rein europäische Berichterstattung. Manche Hashtags verbreiten sich innerhalb weniger Stunden in der ganzen Union, jüngstes Beispiel #jesuisCharlie. Die Eurokrise selbst war für Monate das Thema Nummer eins in allen europäischen Medien. Es zeigt aber auch die vorher erwähnte Problematik von nationalen Denkschemen und Rivalitäten: Die Griechen wurden als ,,Pleitegeier’’ dargestellt, zeitweise sogar als faul oder arbeitsscheu, während griechische Medien Nazimetaphern aufleben ließen, um ihren Unmut über die politische Führung durch die nördlichen Länder, allen voran Deutschland, auszudrücken.

Eine große Chance bietet die Wahlrechtsordnung für das Europäische Parlament. Derzeit stellen sich die Kandidaten innerhalb ihres Heimatstaats den Wählern und führen fast ausschließlich nationale Wahlkämpfe. Ermöglicht man es den Bürgern, Kandidaten aus anderen Ländern zu wählen, werden diese automatisch verstärkt auf europäische Themen setzen und ihre Anliegen europäisieren. Die Medien würden diesem Trend folgen. Martin Schulz nutzte bereits bei den letzten Wahlen dieses Potenzial: Als er quer durch Europa tourte, benötigte er eine europäische Agenda, dadurch erzeugte er mehr Authentizität als die anderen Parteien. Außerdem schaffte er es, in allen europäischen Medien präsent zu sein.

Die Eurokrise macht die Strukturschwächen innerhalb einer Währungsunion deutlich. Sie zeigte aber auch, dass das Projekt Europäische Union noch immer von nationalen Gesellschaften verfolgt wird. Eine weitere Konsolidierung der Europäischen Union, die aus wirtschaftlicher oder bürokratischer Sicht vielleicht schon jetzt sinnvoll erscheint, kann erst beginnen, wenn die nationalen Gesellschaften bereit sind, europäische Interessen zu vertreten. ,,In Vielfalt geeint‘‘- das Europamotto wird von den europäischen Spitzen windmühlenartig betont. Damit ,,Europa‘‘ funktionieren kann, muss es aber von der Mehrheit der europäischen Bürger anerkannt und gelebt werden.

Seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 beschäftigt sich die Europäische Union vorwiegend mit der Krisenbewältigung. Noch sind die Probleme nicht gelöst. treffpunkteuropa.de stellt in einer Serie fünf alternative Wege aus der Krise vor.

Ihr Kommentar
  • Am 8. März 2015 um 12:25, von  duodecim stellae Als Antwort Denkanstöße zu einer europäischen Zivilgesellschaft

    Ganz toller Artikel! Gehe hundert Prozent d’accord, aber meiner Meinung nach reicht es nicht aus, wenn sich nationale Medien stärker auf EU-Berichterstattung konzentrieren. Wir brauchen wirklich europäische Medien, die in verschiedenen Sprachen in der gleichen Art und Weise über Inhalte Berichten, wie Arte oder Euronews, um eine wahrhaft europäische Öffentlichkeit und Identität zu fördern.

    Treffpunkt Europa sollte hier auch versuchen in allen vier Sprachen einheitlicher zu Berichten. Das ist ein gewisser Koordinationsaufwand und setzt Mehrsprachigkeit der Involvierten voraus, aber wer sich wirklich als europäischer Föderalist sieht, kann sich nicht einfach damit zufrieden geben Deutsch und Paar Brocken Englisch zu sprechen. Kollektive Identität läuft über gemeinsame Kommunikation und Kommunikation läuft über Sprache.

    Man sollte wirklich versuchen mindestens drei europäische Sprachen zu beherrschen. Die größten Sprachgemeinschaften in Europa sind die deutsche, französische, englische, italienische, kastilische, polnische, rumänische und niederländische (ungefähr in dieser Reihenfolge). Da sollte es doch möglich sein drei davon zu lernen. Wer sich mit der Ausprache im Französischen schwer tut, dem kann ich Italienisch wärmstens empfehlen.

    Also der Staat kann, wenn er das Thema Europa als Zukunftsthema begreift hier absolut was tun. Finanzielle Förderung gesamteuropäischer Medien und mehr Geld in die Sprachförderung stecken. In der BRD sind hier vor allem die Bundesländer stärker gefragt, um Sprachen und Austausch bereits in der Schule stärker zu fördern!

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