Eine ungewisse Zukunft - die Kohäsionspolitik der Europäischen Union nach 2020

, von  Louise Guillot, Pierre-Marie Simon, Sergio Camachetty, übersetzt von Luisa Kersch

Eine ungewisse Zukunft - die Kohäsionspolitik der Europäischen Union nach 2020
Das Euskalduna-Viertel in Bilbao wurde teilweise durch europäische Regionalfonds restauriert© P. / Flickr/ Creative Commons 2.0-Lizenz

Am 26. und 27. Juni 2017 fand in Brüssel das 7. Kohäsionsforum statt. Die Veranstaltung, die alle drei Jahre von der Europäischen Kommission organisiert wird, bietet sowohl Repräsentanten der europäischen Regionen, Mitgliedsstaaten und Institutionen als auch Vertretern der Zivilgesellschaft und Akademikern die Gelegenheit, ein wichtiges Element der Politik der Europäischen Union zu besprechen: Die Kohäsionspolitik.

Eines der zentralen Themen der diesjährigen Versammlung ist die zukünftige Entwicklung der Kohäsionspolitik nach 2020. Vor allem der Brexit und die mögliche Verringerung des EU-Haushalts stellen zwei Faktoren dar, die sich nachteilig auf die Kohäsionspolitik auswirken könnten.

Die Kohäsionspolitik – ein kurzer Überblick

Die Kohäsionspolitik ist nach der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) [1] der zweitgrößte Posten im EU-Haushalt und hat die Verringerung des Strukturgefälles zwischen allen Regionen der Europäischen Union zum Ziel. Sie verkörpert die Solidarität zwischen den europäischen Regionen der Mitgliedsstaaten, indem sie bestrebt ist, wirtschaftliche Entwicklungsunterschiede zwischen ihnen einzuebnen. Das Gesamtbudget für die Kohäsionspolitik beläuft sich auf 351,8 Milliarden Euro für sieben Jahre (2014 – 2020) und ist in zwei Hauptkomponenten untergliedert: 1. Die Europäischen Strukturfonds [2]: Dazu zählen der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF), die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen und der Kohäsionsfonds, der für wirtschaftlich und sozial rückständige Regionen der Union zur Verfügung steht. 2. Die Europäische Territoriale Zusammenarbeit (ETZ): Sie vereint Programme der früheren Gemeinschaftsinitiative INTERREG, deren Hauptanliegen eine grenzübergreifende, transnationale und überregionale Zusammenarbeit der Europäischen Regionen ist. Basierend auf der Strategie Europa 2020 haben die Programme und Maßnahmen das Ziel, ein integratives, nachhaltiges und innovatives Wachstum der Europäischen Union zu ermöglichen. Ein Kennzeichen der Kohäsionspolitik ist es, dass bei Investitionen stets die Nähe zu den einzelnen Regionen gewahrt werden soll. Aus diesem Grund ist jeder Mitgliedstaat selbst für die Verwaltung der zugeteilten Gelder verantwortlich. Frankreich hat sich im Zuge dessen beispielsweise in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung dazu entschieden, dass die französischen Regionen selbst über ihre Investitionen entscheiden können. Sie erhalten damit die Entscheidungsgewalt über die Finanzierung aller Programme im Rahmen des EFRE und eines Großteils des ESF.

Bilanz

Dass die Kohäsionspolitik konkrete, positive Resultate vor Ort erzielt, geht leider oft aufgrund schlechter Kommunikation oder mangelnder Aufmerksamkeit unter. So gibt beispielsweise nur ein Drittel aller europäischen Bürger an, über die nicht unbedeutenden Auswirkungen der europäischen Fonds auf ihr tägliches Leben Bescheid zu wissen. Der Rat der Europäischen Union lobte im April 2017 die positiven Ergebnisse der Kohäsionspolitik in der Periode von 2007 – 2013. Durch die finanzielle Unterstützung von mehr als 120 000 Start-Ups und etwa 400 000 kleinen und mittelständischen Unternehmen konnte in diesem Zeitraum zur Schaffung von zirka einer Million neuer Arbeitsplätze beigetragen werden. Zu den Erfolgen der Kohäsionspolitik hat der Europäische Ausschuss der Regionen kürzlich eine Reihe englischer Infographiken (LINK) veröffentlicht.

Herausforderungen nach 2020

Die Zukunft der Kohäsionspolitik wird auch zukünftig im Zentrum umfangreicher Debatten der Mitgliedsstaaten stehen. Auch wenn der Brexit im Moment vieles kompliziert macht, wird die Kohäsionpolitik Teil einer neuen Strategie für das kommende Jahrzehnt. Für die Zeit nach 2020 und die Pläne für eine Erneuerung der Kohäsionspolitik ergeben sich zahlreiche Herausforderungen. So scheint eine Senkung der Mittelzuweisungen durch den Austritt der Briten aus der Union unvermeidlich. Aus diesem Grund fordern hoch entwickelte Regionen eine Garantie dafür, dass alle europäischen Regionen auch nach 2020 weiterhin von den Europäischen Fonds profitieren. Deutschland hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, dass die finanzielle Unterstützung an die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit, die Würdigung europäischer Werte und die Klauseln zur Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitglieder geknüpft sein sollte. Ein Vorschlag, der direkt auf einige Mitgliedsstaaten abzielt, momentan vor allem auf Polen und Ungarn.

Angleichung von Vorschriften und Richtlinien

Die Vereinfachung und Angleichung von Vorschriften und Richtlinien zu den europäischen Fonds würde einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz darstellen, der es erlaubt, EFRE und ESF leichter zu kombinieren und regionale Programme unmittelbar zu unterstützen. Diese Vereinfachungen in der Koordination sind von allen regionalen Akteuren gewünscht. Angesichts der vielfach geäußerten Kritik an der Arbeitsweise der Union ist es jedoch unabdingbar, bei der Implementierung eine feste Rahmenstruktur zu etablieren, um nicht den Weg für Betrug und Missbrauch zu ebnen. Die Gelder, die von der Union umverteilt werden, sind öffentliche Gelder, aber müssen zugleich einer höheren Anzahl an Empfängern zugänglich gemacht werden. Zu viele potentielle Träger sind abgeschreckt von der Komplexität der Umsetzung europäischer Projekte.

Entwicklung von Kategorisierungskriterien

Um die Kohäsionspolitik zu einer strukturell dynamischen Politik werden zu lassen, wäre es interessant, neben dem Kriterium des BIP (Bruttoinlandsprodukt) pro Einwohner auch andere Kriterien bei der Kategorisierung von Regionen in Betracht zu ziehen. Denn tatsächlich erlaubt es dieses eine Kriterium nicht, sub-regionale Diskrepanzen abzubilden. Warum nicht beispielsweise die Arbeitslosenquote oder den Index der menschlichen Entwicklung (HDI) in Betracht ziehen, als europäischen Index zum sozialen Fortschritt? Die europäische Strategie nach “Europa 2020” Die europäischen Regionen haben sich dazu verpflichtet, die ihnen zugeteilten Mittel ausschließlich in Bereichen einzusetzen, die einem der fünf Themen der Strategie Europa 2020 der EU-Kommission zugeordnet werden können. Dies gilt vor allem für die am weitesten entwickelten Regionen. Das Ziel ist die Spezialisierung von Regionen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Es bleibt aber zunächst abzuwarten, ob es nach 2020 überhaupt eine neue Strategie geben wird und ob der Fokus im Zuge dessen mehr auf spezielle Langzeit-Themen wie die Energiewende oder Innovationen gerichtet werden wird.

Der Strukturfonds und andere europäische Programme

Neben der Kohäsionspolitik existiert eine Vielzahl weiterer Politikbereiche und Programme, mit denen sich die EU in Europa beteiligt. Zu den bekannteren Förderprogrammen zählen beispielsweise das Erasmus+-Programm, das die Mobilität von Europäern unterstützt, das EU-Rahmenprogramm Horizon 2020, das europäische Forschung und Entwicklung fördert oder der Juncker-Plan, der risikobehaftete Investitionen durch die Mobilisierung öffentlicher und privater Mittel vereinfacht. Die Abstimmung der verschiedenen Finanzierungsquellen ist wichtig, um Projekte in einem Bereich oder einer Region hinreichend koordinieren zu können. Eine besondere Herausforderung für die Planung der kommenden Programmperiode besteht deshalb darin, Programme besser miteinander zu vereinbaren, beispielsweise durch eine Vereinheitlichung von Vorschriften und Richtlinien. Die Regionen wollen allerdings die Art der Zuteilung der europäischen Mittel durch Subventionen beibehalten, sodass die Kohäsionspolitik weiterhin kleineren und größeren Strukturen nützt.

Darüber hinaus sollte an dieser Stelle angemerkt werden, dass die EU einen großen Teil ihrer verfügbaren Kredite zur Finanzierung des Bereichs Forschung und Entwicklung verwendet, der einen thematischen Schwerpunkt in nahezu all ihren Programmen darstellt. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob nicht nach 2020 eine Schwerpunktverlagerung hin zu sozialen Thematiken angebracht ist, um gesellschaftlichen Herausforderungen (soziale Eingliederung, Kampf gegen Diskriminierung, Integration marginalisierter Bevölkerungsgruppen, Kampf gegen Armut und Brennstoffknappheit etc.) von heute und morgen besser begegnen zu können. Die Kohäsionspolitik nimmt bezüglich ihrer Prioritäten auch Bezuga auf die Initiativen der derzeitigen Europäischen Kommission. Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise beim Weißbuch zur Zukunft der EU, den Überlegungen zur Globalisierung oder auch zur Europäischen Säule sozialer Rechte. Die zukünftigen Verhandlungen werden kompliziert werden, soviel ist sicher - sowohl bei der genauen Arbeitsweise als auch bei der Höhe des vorgesehenen Budgets. Die Debatten werden sich daher über die nächsten drei Jahre hinziehen und aller Voraussicht nach 2020 ihren Höhepunkt erreichen, wenn im Anschluss an die Europawahlen 2019 eine neue Europäische Kommission ernannt wird. Bei allen Diskussionen sollten jedoch diejenigen nicht außen vor gelassen werden, die hauptsächlich von dieser Politik profitieren: Die europäischen Bürger*innen, die über die Maßnahmen der Union, die für ihr Wohlergehen sorgt, besser informiert werden müssen.

Anmerkungen [1] Für die GAP werden im Zeitraum von 2014-2020 ca. 408,3 Milliarden Euro aufgewendet. [2] Zur weiterführenden Information: Der Europäische Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und der Europäische Fonds für Meeres-und Fischereifonds (EMFF) gehören mit dem EFRE und ESF zu den sogenannten Europäischen Struktur-und Investitionsfonds (ESI). Beide Fonds sind nicht Teil der Kohäsionspolitik, sondern gehören zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bzw. zur Gemeinsamen Fischereipolitik, einige ihrer Ziele überschneiden sich allerdings mit denen der Kohäsionspolitik. [3] Link zur Infografik des AdR: http://cor.europa.eu/en/news/regional/Documents/3275%20infographic%20cohesion%20policy%20EN%20BAT%208.pdf

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