Flüchtlingspolitik: Schwierigkeiten und Herausforderungen

, von  Gesine Weber, Sandra Schaftner, Tobias Gerhard Schminke

Flüchtlingspolitik: Schwierigkeiten und Herausforderungen
Dr. Ute Finckh-Krämer, MdB, beim Interview mit Sandra Schaftner und Tobias G. Schminke © treffpunkteuropa.de

Dr. Ute Finckh-Krämer, Mitglied des Bundestags und des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, sprach im Rahmen des treffpunkteuropa-Medienseminars im exklusiven Interview zu den Themen Flucht, Migration und Entwicklungszusammenarbeit.

Die Fragen stellten Sandra Schaftner, Tobias Gerhard Schminke und Gesine Weber. Das Interview wird in drei Teilen veröffentlicht.

Teil II: Flucht und Migration

Syrien ist eng verbunden mit dem Thema Flucht und Migration. Warum haben die SPD und die Europäische Union bisher nicht den Mut gehabt, Fluchtzentren in den Nachbarländern von zum Beispiel Syrien zu bauen, wo die Menschen Asylanträge stellen und bei Bewilligung dieser Asylanträge sicher nach Europa gebracht werden könnten? Warum haben die Sozialdemokraten in Europa sich da noch nicht mehr eingesetzt?

Dr. Ute Finckh-Krämer, MdB: Es ist nicht einfach, mit anderen Ländern darüber zu verhandeln, dass man dort hoheitliche Aufgaben Deutschlands erfüllen kann. Die Frage ist, wie man das hätte organisieren können, dass in Jordanien oder in der Türkei Asylanträge für Deutschland gestellt werden dürfen, und die volle Verwaltung aufbaut, die man braucht, um Anhörungen zu machen und Dokumente zu prüfen. Dafür braucht man drei Jahre und die drei Jahre hat man nicht gehabt. Denn die Leute wollten ja sofort in Sicherheit sein.

Worauf basieren Sie die Annahme, dass das schwierig zu organisieren ist?

UFK: Wenn man überlegt, dass aus Syrien zwischen 500 000 und 1 Million Leute nach Europa gekommen sind und der Großteil in Jordanien und der Türkei geblieben ist, weil ihnen der Weg zu gefährlich war, heißt das: Man hätte für ein bis zwei Millionen Menschen prüfen müssen, ob sie einen Anspruch auf Asyl mit mehrjährigem Verbleiben in Europa haben. Dafür braucht man tausende Beamte. Generell gibt es das Problem, dass zwar im internationalen Recht einem Flüchtenden die gleichen Menschenrechte wie jedem anderen zustehen. Aber es ist innerhalb der Vereinten Nationen nicht geregelt, wer dafür verantwortlich ist. Es gibt zudem kein Recht auf Resettlement. Es gibt keine Unterstützung für die Nachbarländer, wie Jordanien und die Türkei, die Flüchtlinge in andere Länder umzusiedeln. Es gibt keine internationalen Quoten für die Flüchtlinge, die in ihrem Land im Augenblick in Lebensgefahr sind, aber nicht politisch, ethnisch usw. verfolgt werden. Dieses Problem muss auf internationaler Ebene gelöst werden. Es wäre keine Lösung, wenn man in Jordanien ein Asylbewerberzentrum hätte. Dann würde da von europäischen oder deutschen Entscheidern entschieden: Du bist weder politisch, ethnisch, religiös usw. verfolgt, du musst hier in Jordanien bleiben. Damit ist auch das Problem nicht gelöst, dass es in Jordanien nicht ausreichend Versorgung und Schulunterricht gibt.

Politisch verfolgt sind auch die Leute in Algerien. Trotzdem hat sich Ihre Partei dazu entschieden, Algerien auf die Liste der sicheren Herkunftsländer zu setzen.

Sie haben vielleicht auch gesehen, dass ich da abweichend gestimmt habe. Ich glaube nicht, dass es eine Lösung ist, Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen. Ich würde schon davon ausgehen, dass im Augenblick Bürgerkriegsflüchtlinge, die nach Algerien gelangen, dort einigermaßen sicher wären. Aber die Frage ist, ob in Algerien ihre grundlegenden Menschenrechte und ihr Existenzminimum gesichert sind. Deswegen war ich auch gegen die Verkürzung von Asylverfahren. Wenn man Asylbewerberzentren in Algerien aufbaut, weiß ich nicht, ob die Bedingungen da besser wären ohne Zugang zu Rechtsanwälten und ohne Dolmetscher, durch den die Leute mit den Entscheidern sprechen können.

Ute Elisabeth Finckh-Krämer (* 16. Dezember 1956 in Wiesbaden) ist eine deutsche Politikerin (SPD) und Pazifistin. Sie ist seit März 2005 eine von zwei gleichberechtigten Vorsitzenden des Bundes für Soziale Verteidigung. Im September 2013 zog sie über die Berliner Landesliste in den Deutschen Bundestag ein.

Ein großes Thema in Europa ist auch die Fluchtursachenbekämpfung. Da gibt es die ODA-Grenze von 0,7 Prozent, die man an Entwicklungsländer gibt. Die SPD setzt das seit Jahrzehnten nicht um. Wie stehen Sie dazu?

Die ODA-Grenze ist tatsächlich etwas, das die SPD immer mit gefordert hat und nicht einhalten konnte. Es hat natürlich auch etwas mit den Wirtschaftskrisen Anfang des Jahrtausends zu tun gehabt, die die SPD-Finanzminister nicht berücksichtigt hatten. Die 0,7 Prozent wären ein zweistelliger Milliardenbetrag Neben der Frage nach der ODA-Quote geht es auch darum, nicht intendierte negative Wirkungen zu vermeiden, so wurden in der Vergangenheit zum Teil Projekte gefördert, die industriestaatenorientiert waren, die dann zu Arbeitslosigkeit in den Empfängerländern geführt haben. Man hat parallel zu den Entwicklungsprojekten Dinge zugelassen, die mehr Schaden angerichtet haben, als die Entwicklungszusammenarbeit Nutzen anrichten konnte. Diese Fehler haben Regierungen aller Couleur gemacht.

Die EU hat dagegen einen sicherlich umstrittenen Ansatz in ihrer Entwicklungspolitik, nämlich die Absprachen mit Staaten wie dem Sudan und Libyen.

Da war es lange gang und gäbe, dass man Diktatoren finanzielle Unterstützung zukommen lässt, damit sie ihr Grenzmanagement dahingehend verbessern, dass sich die Flüchtlinge nicht auf den Weg nach Europa machen. Das habe ich aber abgelehnt. Der Teil der Fluchtursachenbekämpfung, den ich gut finde, ist die sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit. Man kann zunächst einmal eine Bestandsaufnahme machen, welche Funktion die Flüchtlinge für die Herkunftsländer haben. Wenn ein Land 20 Prozent seines BIP als Rücküberweisung von Migranten bekommt, und diese Überweisungen direkt bei den Verwandten in den kleinen Dörfern landen, und nicht in einem Staatsetat, wo oft Korruption und Geldtransfer in Steueroasen stattfindet, dann muss man sich auch sehr genau überlegen, ob man ein Abkommen mit dem Staat macht, dass er möglichst wenig Leute in Richtung EU lässt. Denn damit schadet man eher den Armen als den Reichen. Es gibt Migranten, die für ein paar Jahre in ein anderes Land gehen, um sich nach ihrer Rückkehr im Herkunftsland mit ein bisschen Kapital etwas aufzubauen. Das sind nicht nur Leute, die zum Studium auswandern, sondern auch Leute, die sich das Geld und Knowhow im Handwerksbereich erarbeiten. Das heißt, man braucht auf jeden Fall ein Einwanderungsgesetz, man braucht Quoten für eine solche Migration, von der beide Seiten profitieren, weil wir etwas tun, was sinnvoller ist als Gelder in ein Land zu geben, und weil ein Austausch zum Lernen stattfindet. Und daneben gibt es eine Einwanderung von Leuten, die sagen, wir sehen in unserem Land keine Perspektive mehr, wir wollen lieber in einem anderen Land leben, aber wir bringen Fähigkeiten und Initiative mit, die dem anderen Land nutzen. Bei der Entwicklungszusammenarbeit müssen wir viel stärker darauf schauen, dass das, was man macht, der ärmeren Hälfte der Bevölkerung nutzt und nicht der reicheren, und dass es konfliktsensitiv ist. Man heizt Konflikte an, wenn eine Hälfte der Bevölkerung profitiert und die andere nicht. Aber es gibt inzwischen natürlich Organisationen, die solche Projekte fachkundig durchführen, und da könnte man noch mehr Geld hineinstecken. Viele Länder fordern aber auch, dass wir Handelsbeziehungen mit ihnen fairer gestalten und im Extremfall auf Absatzmärkte verzichten. Sie meinen, dass die Länder des Südens davon mehr profitieren würden, als wenn wir das Geld in die ODA-Quote stecken.

Ihr Kommentar
  • Am 5. November 2016 um 22:19, von  mister-ede Als Antwort Flüchtlingspolitik: Schwierigkeiten und Herausforderungen

    Schon der erste Teil des Interviews war gut, den zweiten finde ich allerdings noch interessanter. Gut finde ich auch, dass Ihr das Thema nicht nur an der Oberfläche angekratzt habt, sondern tiefer eingestiegen seid.

    Was das Stellen von Asylanträge in Nicht-EU-Ländern anbelangt bin ich aber dezidiert anderer Meinung als Finckh-Krämer. Nachdem wir 1.200 Soldaten in der Türkei stationiert bekommen, ist mein Eindruck, dass für eine Stationierung von 1.200 Asylbearbeitern eher der Wille als die Möglichkeit fehlt.

    Es gibt außerdem zahlreiche Botschaften von EU-Ländern und auch die Digitalisierung macht vieles möglich, z.B. Anhörungen von Asylbewerbern über Videoverbindungen. Daneben wäre auch das UNHCR in der Lage und bereit, Resettlement-Programme organisatorisch zu unterstützen.

    Vermutlich hätte ich deshalb an dieser Stelle versucht nachzubohren, woran es denn nun tatsächlich liegt, denn immerhin klappt ja auch nicht das Resettlement aus Griechenland und Italien und das sind ja immerhin vollwertige EU-Länder.

    Beste Grüße, Mister Ede

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