Von Berlin nach München in zwölf Stunden

, von  Eva Olschewski

Von Berlin nach München in zwölf Stunden
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. – Foto: © European Commission / 2004

Der ICE 1715 wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Meine Bahnfahrt der Gefühle auf dem abenteuerlichen Rückweg von der JEF-Akademie letzten Sonntag bringt mich zum Nachdenken: Wie sicher ist die Fahrt mit europäischen Zügen und weiß das Personal mit Krisen umzugehen?

Entspannt und geschafft sitze ich im ICE zurück nach München. Übers Wochenende haben wir mit treffpunkteuropa.de Redaktionssitzungen in Berlin abgehalten. Eine sechsstündige Zugfahrt habe ich vor mir – ich lehne mich zurück. Kurz nach Ingolstadt reißt mich ein lautes Scheppern und Rumpeln aus meinem E-Book. Es klingt, als wären wir über Geröll gefahren. Plötzlich ist es still, der Zug steht auf der Stelle. Mitten in der Pampa, weit und breit keine Lichter oder Häuser in Sicht. Ich werfe meinen Mitpassagieren verwunderte Blicke zu. Die Lautsprechanlage knackt und der Zugführer meldet sich: „Meine Damen und Herren, unser Zug ist außerfahrplanmäßig zum Halten gekommen“. Eine gefürchtete Nachricht auf der Reise mit der Deutschen Bahn!

Sicherheit europäischer Züge

Die nächste Durchsage vereist die Stimmung im Abteil: „Wir sind mit einem Baum in der Oberleitung kollidiert. Die Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit“. Zunächst wird – wie nicht anders erwartet – gemeckert, aber eine Frau wehrt das Gezeter schnell ab: „Seien Sie doch froh, dass nicht mehr passiert ist“. Und genauso ist es. Wenn ich an die Zugunglücke in Spanien und Frankreich in den letzten Jahren denke, laufen mir Schauer über den Rücken. Laut Europäischer Eisenbahnagentur geschehen jedes Jahr in etwa 2.400 „bedeutende“ Unfälle. Am häufigsten werden diese durch mangelhafte Teile, schlechte Wartung und menschliche Fehler verursacht. Dazu kommen Witterungsbedingungen – auf der Fahrt im Thalys von Paris nach Köln musste ich schon Stunden am verschneiten Bahnhof verbringen, nur um dann in einem überfüllten Zug trotz Platzreservierung auf dem Boden zu sitzen. Informationen zur Lage, Komfort und ein Gefühl von Sicherheit waren hier Luxusgüter.

Später lese ich über die Ausmaße des Unfalls, die im Zug nicht im Detail kommuniziert wurden beziehungsweise bestimmt auch noch nicht klar einzuschätzen waren: Der Zug sei mit einem Baum auf der Fahrbahn zusammengestoßen, dieser wurde in die Oberleitung katapultiert, der Zug schleifte den Baum beim Bremsen mit und riss dadurch 750 Meter der Oberleitung ab. Der Zug stand unter Strom, die Erdung erwies sich als schwierig, niemand konnte deswegen aussteigen. Der Schaden beläuft sich auf 50.000 Euro. Die Strecke ist bis Dienstagmittag gesperrt, die Züge hinter dem ICE stauen sich, Pendler werden am Montag über Augsburg umgeleitet. Es muss mit erheblichen Verspätungen gerechnet werden.

Informationsmangel erschwert die Situation

Allen Fahrgästen wird nahegelegt, noch einmal die Toilette aufzusuchen. Bald könnten die Systeme ausfallen, auch die Schiebetüren zwischen den Abteilen sind elektronisch. Ein Notstromaggregat sorgt dafür, dass noch einige Lampen brennen. Nachdem die Ankunft der Feuerwehr innerhalb der nächsten 15 Minuten angekündigt wird, hört man über eine Stunde nichts mehr, das Zugpersonal ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich fühle mich hilflos, nicht genügend über die Lage informiert. Es ist abenteuerlich: Ständig wird umdisponiert. Zunächst sollen wir mit Schienenersatzbussen von der Unfallstelle abgeholt werden. Dann heißt es, wir halten am nächsten Bahnhof und steigen dort in einen Regionalzug nach München. Doch wie sollen wir uns fortbewegen? Die Abschleppung durch eine Hilflok zieht sich über Stunden. Man sieht nur den Schein der Stirnlampen der Techniker, man hört dumpfe Geräusche auf dem Dach. Was genau passiert, kann man nur erahnen. Schließlich bewegt sich der Zug – im Schneckentempo am Bahnhof vorbei. Familienangehörige, die bereits zum angrenzenden Bahnhof unterwegs sind, müssen angerufen werden: Es geht doch weiter im ICE nach München, mit 6 Stunden Verspätung. Bald werden sie wegen der kurzen Akkulaufzeit von Smartphones nicht mehr erreichbar sein.

Um 5 Uhr morgens falle ich geschafft in mein Bett. Ich bin dankbar, dass das Bahnpersonal trotz des Vorfalls ruhig geblieben ist. Wie damals im Thalys wurden kostenlose Getränke verteilt, die Mitarbeiter waren freundlich. Auch wird die Hälfte des Fahrpreises erstattet. Allerdings herrschte bei den Fahrgästen große Verwirrung, da das weitere Vorgehen häufig umgestellt wurde. Geholfen hätte es wirklich, die Fahrgäste besser und regelmäßiger zu informieren.

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