Sharma: „Wir brauchen mehr Engagement von Frauen und jungen Menschen“

Die britische Unternehmerin Madi Sharma im Interview mit treffpunkteuropa

, von  Hannah Illing

Sharma: „Wir brauchen mehr Engagement von Frauen und jungen Menschen“
© Madi Sharma, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Madi Sharma, britische Unternehmerin und Mitglied im EWSA, erklärt, warum junge Menschen keinen Einfluss auf EU-Politik haben und warum sich das ändern muss.

Madi, was hast Du gedacht, als Du gehört hast, dass Donald Trump der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird?

Ich hatte eine Wette laufen, dass er gewinnen wird. Er ist ein schlauer Mann. Er sagt den Leuten, was sie hören wollen. Ob er das auch liefert, ist natürlich eine andere Frage. Ich war aber sehr enttäuscht über die Tatsache, dass ein großartiges Land wie Amerika zwei der schlechtmöglichsten Kandidaten aufstellt. Donald Trump ist das Schlechtere zweier Übel. Es ist traurig für die Welt, traurig für Amerika, aber es ist Demokratie. Wenn wir an Demokratie glauben, müssen wir an die Stimmen der Wähler glauben.

Müssen wir die Demokratie reformieren?

Ich denke wir brauchen Reformen in verschiedene Richtungen. Das System erlaubt es keinen Leuten mit Leidenschaft für ihr Land, in der Politik Erfolg zu haben. Wer Kandidat wird, hängt von den finanziellen Ressourcen ab und davon, wer es in die Listen schafft. Die Listen sind nicht fair. Deshalb arbeitet das System gegen junge Menschen. Das zu ändern hat Priorität für mich. Ich sorge mich um die Wahlen in Frankreich im April und Mai 2017. Welche Alternativen gibt es zu Marine Le Pen? Die anderen Kandidaten sind alles alte Männer. Im Gegensatz dazu ist zum Beispiel Estland ein positives Beispiel: Die Bevölkerung besteht zu großen Teilen aus jungen Leuten und deshalb haben sie eine stärkere Stimme in der Politik. Wir brauchen gerechteren Zugang zur Politik für Leute mit Leidenschaft für ihr Land.

Wie können wir gerechteten Zugang zum politischen System garantieren?

Wir müssen den Wahlprozess ändern. Eine Möglichkeit sind Quoten. Ich bin zwar kein Fan von Quoten, aber manchmal sind sie die einzige Möglichkeit, um Dinge zu ändern. Wir brauchen Quoten nicht nur für die Wahlen von Premierministern, sondern auch im Entscheidungsprozess. Jeder institutionelle Körper sollte mindestens zu 40 Prozent aus Repräsentanten eines Geschlechts bestehen. Hier ist ein Beispiel vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA): Letztes Jahr wurden46 000 Stimmen von Männern abgegeben, zu Themen wie Transport, Infrastruktur, Mutterschaft und Kinderbetreuung. Frauen gaben gerade mal 13 000 Stimmen ab. So wird ein unvoreingenommener Entscheidungsprozess unmöglich! Das Problem ist: Wie kann der Prozess überhaupt geändert werden? Im EWSA würden 110 Männer ihre Jobs verlieren, wenn wir so eine Quote durchsetzen würden.

Gibt es weitere Gruppen von Bürgern, die sorgfältiger in den EU-Entscheidungsprozess involviert werden sollten?

Wir brauchen eine viel offenere Gesellschaft, die mehr Gruppen mit einschließt. Im EWSA sind zum Beispiel 60 % der Mitglieder weiße Männer. Drei Leute sind schwarz und es gibt keine Muslime. Ich glaube nicht, dass es ein Mitglied unter 35 gibt. Wir diskutieren ohne Muslime über den Islam! Wir müssen uns fragen: Wie können wir für den Nutzen von Jedermann zusammenarbeiten? Wir müssen besser kommunizieren und besser zuhören, auch den normalen Leuten auf der Straße. Die Art und Weise wie die EU mit Handelsabkommen umgegangen ist, ist ein gutes Beispiel. Jeder muss vom Handel profitieren können. Wenn ein Abkommen nur einer Seite nutzt, etwa den Eliten oder den großen Firmen, dann ist das kein gutes Handelsabkommen. Die EU missachtet die Wirkung auf Menschen aus den unteren sozialen Schichten.

Madi Sharma ( ©: Madi Sharma)

Madi Sharma ist eine britische Unternehmerin, die seit 2004 Mitglied in der Arbeitgebergruppe des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ist. Sie setzt sich für mehr Frauen in Führungspositionen, das Handelsabkommen zwischen der EU und Indien und gegen Kindesmissbrauch ein. Madi Sharma ist stolz darauf, eine der wenigen hochrangigen EU-Akteure ohne höheren Bildungsabschluss zu sein. Sie spricht offen über ihre Erfahrung als Opfer häuslicher Gewalt, zum Beispiel auf der diesjährigen Ted Konferenz in Brüssel.

Kann die Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle spielen, um Menschen und Politik in der EU zu verbinden?

Europa sollte sich in der Zivilgesellschaft engagieren, es ist ein einzigartiger Zusammenschluss von Ländern mit der Absicht, den Bürgern zuzuhören. Aber selbst im EWSA, der die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa repräsentieren sollte, sitzen hauptsächlich große Unternehmen, Lobbyisten und Gewerkschaften. Es gibt kaum Frauen, junge Menschen, kleine Unternehmen und Entrepreneurs. Brüssel sollte die Bürger, Demographie, Städte und Regionen der 28 Mitgliedsstaaten repräsentieren, nicht nur die Lobbyisten und großen Firmen. Es sollte Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden garantieren.

Die EU basiert auf starren Strukturen, Prozesse funktionieren normalerweise langsam und Hierarchien sind fest etabliert. Wie können junge Leute neue Ideen in dieses System bringen?

Sie müssen viel mehr Lobbying betreiben. Junge Leute kommen hauptsächlich über Praktika in das System. Sie kommen mit frischer Energie, aber dann passen sie sich schnell in das bestehende System an. Warum? Weil es angenehmer ist! Außerdem haben die meisten von ihnen einen privilegierten Hintergrund. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie können wir mehr junge Leute aus den Mitgliedsstaaten involvieren? Ich tendiere dazu zu sagen: Die Jugend ist nicht die Zukunft, sie ist die Gegenwart. Die jungen Leute werden all die Politikentscheidungen ausbaden müssen, die jetzt beschlossen werden. Deswegen sollte die Jugend jetzt Teil dieses Prozesses sein. Wenn Entscheidungen zur Rente getroffen werden, sollten die jungen Leute aufstehen und sagen: Das ist auch unser Geld! In Brüssel sagt man oft, dass die jungen Leute nicht wissen, worüber sie sprechen. Aber sie wissen es, und wir müssen da raus gehen und zu ihnen sprechen und sie darum bitten, sich zu engagieren. Ich schlage eine Quote für Kommissionsmitarbeiter vor: Ein Drittel jeder Altersgruppe sollte repräsentiert sein, junge, mittelalte und ältere Beamte und Kommissare. Das wäre eine der einzigen Möglichkeiten, voran zu kommen.

Wie können wir junge Leute dazu bewegen, sich zusammenzuschließen und zusammenzuarbeiten, um die Politik zu ändern?

Versucht, euch von Bewegungen wie der „Self Employed Women’s Association“ in Indien inspirieren zu lassen. Oder sucht euch andere Vorbilder: Es gibt so viele Beispiele großartiger Führer wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela. Wenn sie die Welt ändern konnten, wieso können wir dann heute nichts tun? Wir leben in einer Zeit großer Apathie, und das ist gefährlich. Hitler kam in so einer Zeit großer Apathie an die Macht.

Was können Jugendorganisationen tun?

Jugendorganisationen sind leider auch ein Teil des Systems. Die EU ist schlau: Sie finanziert Projekte und deshalb müssen die Organisationen nett zur EU sein, weil sie das Geld wollen. Sobald man von der EU finanziert wird, verliert man seine Unabhängigkeit. Ich bin unabhängig, weil ich mein eigenes Geld verdiene.

Du bist schon lange eine Fürsprecherin für Frauen in Führungspositionen, Du hast unter anderem den Vorschlag der EU- Kommission für ein Gender-Gleichgewicht in Firmenvorständen kommentiert. Dieser Vorschlag wurde aber 2015 von den Mitgliedsstaaten blockiert. Wie sehr kannst Du den EU-Entscheidungsprozess wirklich beeinflussen?

Hier muss ich auf zwei Dinge verweisen. Zunächst haben viele Mitgliedsstaaten ähnliche Maßnahmen in ihren Ländern eingeführt, obwohl der Vorschlag nicht durch den Rat ging. Es gibt eine langsame positive Bewegung in Richtung mehr Frauen in Vorständen. Aber der größte Fehler der EU-Institutionen war der folgende: Sie hätten erstmal auf einer 40-Prozent-Quote für den öffentlichen Sektor bestehen sollen. Ich selbst habe hart gearbeitet, um meine Firma aufzubauen. Wieso soll ich mir dann jetzt von der Kommission sagen lassen, was ich zu tun habe? Wenn politische Entscheidungsträger eine Politik aufzwingen, die sie selbst nicht implementieren, ist etwas falsch gelaufen. Wo ist die Gerechtigkeit, von der die EU spricht, wenn nicht mal die Hälfte der Kommissare Frauen sind?

Zweitens: Ich glaube fest daran, dass die kleinen Dinge, die wir im EWSA vorbringen, durchsickern. Ich arbeite nicht nur an Gender-Gerechtigkeit, sondern auch an dem EU-Indien Handelsabkommen. Als EWSA haben wir dafür gesorgt, dass der Text über die Klauseln zu Arzneimitteln veröffentlicht wurde. Außerdem gibt es jetzt zum Beispiel in TTIP eine Klausel zu KMUs, auf der wir bereits für das EU-Indien-Abkommen bestanden. Besonders stolz bin ich aber auf meinen Bericht über reisende Sexualstraftäter. Dank dieses Berichts wurde sogar das Recht in Europa geändert.

Madi, Du schreibst auf deiner Website, dass alles, was Du tust etwas verändern sollte, weil dein Tag sonst verschwendet ist. Welche Art von Veränderung braucht die EU am meisten?

Wir brauchen mehr Engagement von Frauen und jungen Menschen. Das würde ganz von selbst genug Veränderung in die EU bringen. Ich glaube, dass unser Wachstum nachhaltiger und fairer wäre, wenn mehr Frauen und junge Menschen in der EU involviert wären. Frauen werden mehr Transparenz und weniger Korruption bringen. Europa muss endlich anfangen, sich für sein Handeln zu verantworten!

Danke für das Interview, Madi.

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