Wir sind die Bösen!

, von  Martin Samse

Wir sind die Bösen!
Michel Barnier, Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, fordert von den USA, die Eigenkapitalvorschriften für die Banken zu senken. © European Commisson / 2014

Das transatlantische Freihandelsabkommen wird die Stabilität im Finanzsektor nicht erhöhen, weil europäische Banken strengere Vorschriften zur Eigenkapitalisierung verhindern. Stattdessen werden von Seiten der EU bestehende Regeln verwässert und Spekulationen gefördert.

Zunächst vorweg: Die Kritik am transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) nahm zuletzt groteske Züge an. Glaubt man den Arbeitgeberverbänden und den Verbraucherschützern, so wartet die Europäische Kommission nur darauf, die Interessen der Europäer möglichst billig an die Turbokapitalisten aus Übersee zu verschachern. Horrorszenarien dominieren die Debatte: Die Amerikaner wollen keine Geschäfte machen, sie wollen uns beherrschen. Ihre Konzerne stehen bereit, unseren Verbraucherschutz auszuhebeln, unsere Supermärkte mit ihrem billigen Fraß zu beliefern und – wenn nötig - unsere Staaten vor Schiedsgerichte zu zerren. Europa wird begraben unter einer Lawine aus Genmais und Chlor-Hühnchen.

Eine sachliche Diskussion kommt dabei kaum zustande. Dabei sollten die Risiken und Chancen eines Freihandelsabkommens nüchtern betrachtet werden. Fest steht: Wo freier Waren- und Finanzverkehr stattfindet, müssen verbindliche Regeln für alle Marktteilnehmer herrschen. Für den internationalen Bankensektor könnte das mehr Stabilität und weniger Spekulationen bedeuten. Doch mit TTIP wird es das nicht geben – weil die Europäer es nicht wollen.

Europa hinkt hinterher

In Sachen Finanzmarktregulierung hat sich die EU viel vorgenommen: Die Bankenaufsicht wird europäisiert, ein Bankenabwicklungsfonds eingerichtet und das Regelwerk für Geldinstitute verschärft. Trotzdem bleiben die Banken unterkapitalisiert und somit anfällig für Krisensituationen. Die größten Banken in Europa sind noch größer geworden und damit mehr denn je „Too big to fail“ . Eine effektive Regulierung von Fonds und Schattenbanken findet bislang nicht statt. Die Kritiker behalten recht: Die europäische Finanzmarktregulierung ist ein uneffektiver Flickenteppich.

Den hiesigen Globalisierungskritiker mag es vielleicht überraschen, aber die USA sind uns Europäern in dieser Hinsicht einen Schritt voraus. Nach der Subprimemarktkrise drückte Obama den Dodd-Frank-Act gegen den Widerstand der Republikaner durch den Kongress. Insgesamt 541 Gesetzesartikel auf 849 Seiten sollen die Finanzmärkte wieder unter politische Kontrolle bringen. Ob es funktioniert ist umstritten, ambitioniert ist es allemal: Die Überwachung des Finanzsektors wird neu strukturiert, der Wertpapierhandel eingeschränkt und Eigenhandelsrisiken begrenzt. Betroffen sind Banken, Fondsgesellschaften und Ratingagenturen. Es gibt sogar Ansätze, das risikoreiche Investmentgeschäft vom normalen Bankengeschäft abzukoppeln. Ein Trennbankensystem könnte für mehr Sicherheit und Stabilität sorgen.

TTIP als Chance?

Große europäische Banken wie Barclays, UBS und Deutsche Bank unterhalten Tochterfirmen in den USA. Bislang konnten einzelne dieser Banken nahezu ohne Eigenkapital Gewinne in Übersee erwirtschaften - ein riskantes Spiel. Während der Finanzkrise waren die Tochterfirmen auf Hilfskredite der amerikanischen Notenbank (Fed) angewiesen. Heute unterliegen dieselben Banken den strengen Vorgaben des Dodd-Frank-Act. Die Fed schreibt ihnen somit eine Erhöhung ihres Eigenkapitals vor. Die europäischen Banken sind empört: Anstatt einseitig die Regeln auf dem Finanzsektor zu diktieren, sollte Amerika sich an einem multilateralen Abkommen der größten Finanzstandorte beteiligen, heißt es aus der Branche. Der deutsche Bankenverband plädiert im Rahmen der TTIP-Verhandlungen für einen gemeinsamen gesetzlichen Rahmen, um die Regeln im internationalen Bankengeschäft zu harmonisieren. Bis es so weit ist, versuchen die europäischen Großbanken die Eigenkapitalvorschriften zu umgehen, indem sie beispielsweise ihren US-Tochterfirmen Schulden abkaufen, damit diese nicht in den Bilanzen auftauchen.

Die Bankenlobby schlägt zu

Wer nun glaubt, dass mit dem Freihandelsabkommen eine Verschärfung der Regeln erfolgt, der irrt. Auch hier setzen die europäischen Banken alle Hebel in Bewegung, um die strengeren Vorschriften zu bekämpfen. Den Verhandlungspartnern wird direkt gedroht: Wenn die Amerikaner ihre Forderungen nicht zurückziehen, kippt das ganze Abkommen. Alternativ werden Vergeltungsschläge gegenüber US-Banken durch europäische Aufseher angekündigt. Die Kommission liefert die nötige Schützenhilfe: In einem Schreiben an die Fed beklagt der Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleitungen, Michel Barnier, die strengen Forderungen und die hohen Eigenkapitalkosten für die Banken. Dabei sind hohe Eigenkapitalvorschriften in der Finanzwelt die wirkungsvollsten Stabilisatoren in Krisenzeiten. Robuste Banken haften selbst für ihre Risiken und müssen im Ernstfall nicht mit Steuergeldern gestützt werden. Die Kommission kämpft nicht für mehr Stabilität im Finanzsektor, sondern für die Interessen europäischer Großbanken.

Es sind unsere Gauner, nicht ihre!

Die Europäer fürchten den wachsenden Einfluss amerikanischer Banken und Konzerne durch das neue Freihandelsabkommen. Sie vergessen, dass wir uns auf dem alten Kontinent einen aufgeblähten und ineffizienten Bankensektor leisten. Unsere Politiker warnen: Die Lobbymacht europäischer Banken bedroht die Demokratie. Doch dagegen etwas unternehmen wollen sie anscheinend nicht. Im Gegenteil: TTIP könnte Spekulationen in Zukunft fördern und wichtige Regulierungsansätze unterwandern. So läuft das gefährliche Geschäft mit Derivaten und Kreditausfallversicherungen weiter. Die amerikanischen Pläne für ein Trennbankensystem sollen zugunsten ausländischer Banken aufgeweicht werden. Dafür braucht es nicht einmal die Macht der Wall Street und ihrer Lobbyisten. Die Gauner der Finanzindustrie sitzen auf unserer Seite des Atlantiks und die Politik bedient bereitwillig ihre Interessen. Deshalb: TTIP - Nein Danke!

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