Herzlich willkommen in Brüssel! In diesem ersten Beitrag möchte ich meiner Ausgangsfrage bereits etwas näherkommen. Und das geht besonders gut, indem ich die Institution vorstelle, bei der ich die kommenden vier Wochen verbringen werde – die Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union. Klingt sperrig und unbekannt, und genau das ist es auch.
Lobbyarbeit made by Hessen
Im Grunde ist die Hessische Landesvertretung dazu da, die Interessen der hessischen Bevölkerung und Unternehmen in Europa zu vertreten. Klassische Lobbyarbeit also, seit 1989 im Auftrag der Landesregierung. Hierzu hat jedes Landesministerium mindestens eine oder einen „Spiegelreferent*in“ in Brüssel. Ich bin als Praktikant dem Referenten des Ministeriums für Kultus, Bildung und Chancen zugeordnet. Die Referent*innen haben einen engen Draht zu den hessischen Abgeordneten im EU-Parlament und ihren Mitarbeitenden. Es gibt aber auch Gespräche und Arbeitskreise mit Vertretenden der EU-Kommission und einen engen Austausch mit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU. Das oberste Motto der Referent*innen – informiert bleiben zum eigenen Themenfeld, und neue Reformen und Richtlinien aus Europa möglichst früh im Sinne Hessens beeinflussen. Denn 75% aller gefassten EU-Richtlinien müssen auf regionaler Ebene umgesetzt werden. Ganze 80% der Richtlinien in Deutschland kommen aus Brüssel. Was in Europa geschieht, geben die Referent*innen dann alle zwei Wochen in einem „Bericht aus Brüssel“ weiter nach Wiesbaden. Dieser Bericht ist öffentlich und kann kostenlos abonniert werden.
6116 Quadratmeter inklusive Dachterrasse
Ich sitze hier in einem Dreimannbüro im fünften Stockwerk in der „Rue Montoyer 21“, mitten im Brüssler Europaviertel. Eine Straße weiter ist bereits das EU-Parlament. Lobbyiert wird hier nicht nur für die hessische Bevölkerung, sondern auch für hessische Unternehmen. Diese befinden sich im selben Gebäude, verteilt auf zwei Stockwerke. Ob der Pharmakonzern Fresenius, die Flughafengesellschaft Fraport, die Hessische Landesbank oder die Handwerkskammer – sie alle dürfen ihre Interessen in den Politikbetrieb einpflanzen, unterstützt von Steuergeldern. Bereits 2012 betrug die Jahresmiete für den Prachtbau mit 6116 Quadratmetern Nutzungsfläche und Dachterrasse 2,9 Millionen Euro, wovon das Land Hessen einen Großteil zahlt. Mit im Haus sitzen aber die hessischen Partnerregionen aus Frankreich (Nouvelle Aquitaine), Italien (Emilia-Romagna) und Polen (Wielkopolska). Man merkt aber allein dadurch, dass Hessen ganze vier von acht Stockwerken besetzt, dass der deutsche Einfluss in Brüssel einfach größer ist.
Bei Wein und Häppchen entscheidet es sich leichter
Ein großer Bestandteil meiner Arbeit ist der Einlassdienst bei Veranstaltungen. Davon gibt es hier im Haus eine Menge. Im ersten Stock befindet sich ein großer Veranstaltungssaal mit Bühne, davor gibt es noch einen geräumigen Empfangsraum. Hier finden eigene Veranstaltungen der Referent*innen statt und es werden Besuchergruppen empfangen. Dazu finden hier Veranstaltungen von Lobbygruppen statt, die sich EU-Parlamentarier*innen ins Haus holen, um für ihre Projekte zu werben. Zwar zahlen diese Miete für die Nutzung der Räumlichkeiten, die Infrastruktur stammt aber vom Land Hessen. Obligatorisch sind für jede Veranstaltung üppige Buffets, bestehend aus einem Angebot an hessischen Weinen, Bieren, Apfelwein und Softdrinks, ergänzt durch Häppchen oder auch mal Handkäseburger – ganz nach dem Budget des jeweiligen Veranstaltungsträgers. Alles natürlich kostenlos für die Teilnehmenden, die danach hoffentlich mit einem positiveren Blick für Hessen und seine Interessen als Wirtschaftsraum hinausgehen.
Fazit – Nahbarkeit ja, aber halt erkauft
Mein erstes Fazit nach vier Tagen Praktikum – ja, Hessen versucht hier, die lokalen Bürgerinteressen in Brüssel zu vertreten. Nicht allein damit, dass es lokale Unternehmen zu sich ins Haus holt und Lobbyarbeit teilweise mitfinanziert. Und trotzdem wirft genau das in meinen Augen ein negatives Schlaglicht auf die Nahbarkeit der EU. Denn offensichtlich denken alle deutschen Landesregierungen, es brauche zusätzliche Lobbyinstitutionen im Rahmen von 16 Landesvertretungen, die hier teuer und mit viel Personalaufwand betrieben werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die EU-Institutionen allein lokale Interessen nicht absichern. Damit bleiben Landesvertretungen nur ein Add-On, das sich nur leisten kann, wer ohnehin schon viel Geld hat, also strukturstarke Regionen. Dies ist ein Armutszeugnis, nicht allein deshalb, weil diejenigen besonders viel Einfluss erhalten, die das meiste Geld haben.
Dennoch ist die Landesvertretung für mich persönlich der perfekte Ort, um Menschen kennenzulernen und auch mal ins Europäische Parlament reinzuschnuppern. Außerdem ist der Draht zwischen den Landesvertretungen sehr heiß – ich bin bereits für Veranstaltungen „in“ Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt angemeldet. Mein Ziel – möglichst viele Menschen mit der Frage konfrontieren, wie wir die EU noch nahbarer machen können.
Im nächsten Beitrag geht es um den „Ausschuss der Regionen“ (AdR). Ein fest institutionalisiertes Instrument der Europäischen Union, das womöglich nachhaltiger an die Bürger*innen vor Ort denkt, als eine teuer erkaufte Landesvertretung. Bis zum nächsten Mal!



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