17,5 Prozent

, von  Zoltán Kovács

17,5 Prozent

17,5 Prozent - das ist der Anteil der Fragebögen, die im Rahmen der „Nationalen Konsultation“ an die Regierung Orbán zurückgeschickt wurden. Viktor Orbán interpretiert das als Mehrheit der Ungarn und nutzt es geschickt für seine Zwecke. Ein Kommentar.

Am 27.Juni redete Viktor Orbán in der Schlussveranstaltung seiner landesweiten Wahlkampagne „Für Ungarn eintreten!“ 37 Minuten. Er hat es fertiggebracht, während der gesamten Rede nicht einen Gedanken zu bringen, der sowohl sachlich richtig als auch wahrheitsgemäß war. Eine Ausnahme war die Feststellung, dass der anwesende frühere Staatspräsident Pál Schmitt heißt. Doch die Unwahrheiten haben ihn schon eingeholt, als er dessen politische Bedeutung zu loben begann. Schmitt hatte nämlich seinen Platz in der neuesten Geschichte Ungarns nicht als verfassungstreuer Staatspräsident eingenommen, sondern als derjenige, der einen wesentlichen Teil seiner Doktorarbeit aus bereits veröffentlichen Studien abgekupfert hatte. Nach Bekanntwerden des Skandals erklärte Schmitt seinen Rücktritt. Dass er dabei statt Schande und Verachtung das Parlament unter tosendem Applaus der Regierungspartei verließ, sagt schon vieles über die herrschende Moral und das Recht in Ungarn aus.

Weiter erklärte Orbán in seiner Rede, die Europäische Union wolle Ungarn illegale Migranten aufzwingen. Dagegen würde er entschieden Stellung beziehen: „Dazu sind die Ungarn nicht gewillt, weder vorübergehend, noch überhaupt.“ Natürlich weiß er genau, dass der entsprechende Beschluss kein einziges Land zur Aufnahme illegaler Einwanderer zwingt. Das hatte er in Brüssel statt konkreter Ablehnung mit einem Achselzucken quittiert, um zu Hause dagegen den Kampf anzumelden. Der Quotenbeschluss der EU betrifft die Verteilung der Flüchtlinge, die sich in Europa bereits legal aufhalten.

Auch diesmal führte er seine Hörerschaft bewusst irre, denn er weiß, seine Zuhörer sind ahnungslos.

Dieser Abend war die Schlussveranstaltung der manipulativen Kampagne mit dem Namen „Nationale Konsultation“, die sich seit Monaten über das Land ergoss. Anhand der zurückgeschickten Fragebogen stellte Orbán fest, was das ungarische Volk will. Dazu muss man wissen: Die Regierung versendete an alle achteinhalb Millionen Wahlberechtigten Fragebogen per Post mit sechs Fragen. Alle sechs waren verfasst im Sinne der von der Regierung seit Längerem betriebenen unsinnigen Hetze gegen Flüchtlinge und gegen die EU.

Damit wollte man die einhellige Zustimmung zur Regierungspolitik belegen. Von den achteinhalb Millionen Fragebogen kamen etwas mehr als anderthalb Millionen zurück. Genau kann das niemand belegen. Laut einem Staatssekretär namens Dömötör soll man es einfach abnehmen…Was dessen Wort wert ist, konnte man in einem kürzlich im Fernsehen geführten Gespräch erkennen. Dömötör war der Meinung, die Regierung hätte für die Beseitigung der Armut viel getan. Fakt ist, dass sich die Zahl der Ungarn, die weit unter der Armutsgrenze leben, von 3 Millionen im Jahr 2010 auf 3.6 bis 3.8 Millionen im Jahr 2016 erhöht hat. Bezeichnend ist auch, dass das staatliche Amt für Statistik seit 2011 keine Angaben mehr zur Armut veröffentlicht. Dafür zuständig ist allein Staatssekretär Dömötör.

Offensichtlich stört es Orbán nicht, dass nur ca.17.5% der Fragebogen zurückgeschickt wurde – wenn überhaupt. Auch der Inhalt ist nicht nachprüfbar, trotzdem verkündete Orbán locker: „ Die übereinstimmende Meinung der Ungarn ist, dass die Entscheidungen über die ungarische Wirtschaft hier in Ungarn gefällt werden sollten. Genau so, wie die Bestimmungen über Steuern und Kosten der Energie. Die Bürger sind einhellig der Meinung, wir sollten alles unternehmen um unser Land vor den illegalen Einwanderern zu schützen.“ Selbstverständlich ist die Frage berechtigt, wie man von anderthalb Millionen Rücksendungen auf die „einhellige Meinung der Bürger“ schließen kann. Eines ist klar; ein ernstzunehmender, verantwortungsbewusster Staatschef kann so etwas nicht behaupten. Weil es den Tatsachen nicht entspricht. Er führt die Menschen in die Irreund lenkt ihre Aufmerksamkeit von der Wahrheit ab. Wer öffentlich behauptet, die Meinung von anderthalb Millionen sei identisch mit der Meinung von achteinhalb Millionen, versucht das ganze Volk für dumm zu verkaufen. „In Ungarn herrscht beinahe völliger Konsens darüber, dass die Migrationspolitik und die wirtschaftliche Unabhängigkeit gegen das Einmischen Brüssels verteidigt werden muss“ –sagte er später.

Was wohl „völliger Konsens“ bedeutet? Wahrscheinlich nichts. Wenn doch, dann ungefähr so viel, wie „jeder geschlechtsreife Ungar besitzt erogene Zonen“. Das dürfte in der Tat ein auf Erfahrung basierender nationaler Konsens sein. Auch dem folgenden Satz in der Rede fehlt jeglicher Wahrheitsgehalt: „György Soros ist ein Spekulant, der mit seinem ausgedehnten, maffiösen Netzwerk den Frieden und die Zukunft Europas bedroht.“. Die Migration sei für György Soros ein gutes Geschäft, das noch besser wäre, wenn Ungarn sich nicht quer stellte „Er ist verärgert über Ungarn und persönlich über mich, weil wir bei der Verwirklichung seines großen Vorhabens und Geschäftes ein Hindernis sind“ - womit er sich auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Multimillionär und Philanthrop hievte. Man darf sich fragen wie Orbán diese Behauptungen belegen kann? Wenn das doch nur Meinungsäußerungen sind, ist die Sache noch übler.

Im Weiteren entpuppte sich der politische Zynismus des Regierungschefs als einfache Grausamkeit, denn am Ende seiner wirren Ausführungen schlug er vor: Wer bisher Migranten aufgenommen hätte, sie jetzt aber wieder gerne loswerden würde, sollte sie nicht verteilen sondern aus Europa hinaus befördern. Ich meine, die Forderung, Flüchtlinge aus Europa zu verbannen, ist für einen Politiker nicht würdig, nein, so kann ein Erwachsener nicht reden.

Unklar ist, ob Orbán hier dem ihn oft übermannenden Zwang zur politischen Prahlerei nachgibt (bei so etwas könnte zum Beispiel Fensteröffnen helfen) oder ob das schon der Beginn einer schwierigen Reise ist. Bei letzterem würde die frische Luft nicht genügen, er müsste sich einem Spezialisten anvertrauen. Was auch immer: Orbán dürfte bekannt sein, dass in Europa mehrere Hunderttausend, anders gesehen, viele Millionen Migranten leben. Er müsste auch wissen, Rücksiedlungen von Völkern sind in der Geschichte noch nie gelungen. Alle Versuche ethnischer Umsiedlungen brachten in der Welt wo auch immer bis heute nichts als unerträgliches Leid und menschliche Tragödien. Bereits die bloße Anregung ist ein Drama. Entsprechende Passagen der Weltliteratur sind zu empfehlen.

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