6 Lehren aus der französischen Präsidentschaftswahl

, von  Benedikt Gremminger

6 Lehren aus der französischen Präsidentschaftswahl
Foto: Rentola / zuvor Unsplash / Anthony Delanoix / Lizenz gewährt

Frankreich hat gewählt! Nach einem erbittert geführten Wahlkampf steht nun klar fest: Amtsinhaber Emmanuel Macron konnte sich in der Stichwahl am 24. April 2022 mit 58,5 Prozent zu 41,5 Prozent gegen seine rechtspopulistische Herausforderin Marine Le Pen behaupten. Sechs Lehren aus einer Wahl, die Frankreich noch für weit länger als die zweite Amtszeit von Macron prägen wird. Eine Analyse von Benedikt Gremminger.

Der alte Präsident ist auch der neue Präsident

Wie schon vor fünf Jahren gewinnt Emmanuel Macron erneut sein Duell mit Marine Le Pen, auch wenn es dieses Mal etwas knapper war. Der Amtsinhaber erzielte in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 58,5 Prozent der Stimmen, seine Herausforderin Le Pen lediglich 41,5 Prozent. Die vielbeschworene republikanische Front ist damit im Vergleich zur letzten Wahl zwar dünner geworden, sie hat aber gegen die rechtspopulistischen Zugewinne gehalten. Hiermit ist Macron der erste Präsident, dem seit Jacques Chirac 2002 die Wiederwahl gelingt.

Anders als noch 2017 kann sich Macron aber nur auf ein schwächeres Mandat stützen. Die deutliche Wiederwahl zeigt zwar dass Macrons Kurs der letzten fünf Jahre bei den Wähler*innen nicht nur auf Ablehnung gestoßen ist. Insbesondere seine konsequente Führung in der Corona-Krise und sein Inszenieren als Verhandler des Westens mit Putin dürften seine Beliebtheit in den letzten Monaten nochmal gestärkt haben. Die breite Umgestaltung der französischen Politik ist ihm – trotz großem Reformeifer – hingegen nicht gelungen. So erklärt sich wohl auch der knappere Abstand zu Le Pen.

Auf Macron warten nun große Aufgaben. Innenpolitisch muss er die französische Wirtschaft nach der Corona-Pandemie wieder auf die Beine bringen und ihre ökologische Transformation vorantreiben. Gleichermaßen bleiben die Fragen der inneren Sicherheit und der Integration aller Bürger*innen in die Republik relevant. Auf der Weltbühne wird sich Macron nicht nur mit dem andauernden Krieg in der Ukraine, aber auch mit der Frage der zukünftigen Ausrichtung der EU beschäftigen müssen. Die wohl größte Aufgabe für Macron wird aber wohl die Überwindung der tiefen Spaltungen in der französischen Gesellschaft sein – ansonsten wird die nächste Wahl 2027 noch größere Verwerfungen hervorbringen.

Die republikanische Front hält – aber nur zähneknirschend

Macrons große Leistung in diesem zweiten Wahlgang war eindeutig das erneute Zusammenzimmern einer breiten Koalition, die weniger auf einer Begeisterung für Macron als auf der klaren Ablehnung von Le Pens Rechtspopulist*innen fußte. Wie schon bei den Wahlen 2002 und 2017 stellten sich am Wahltag viele linke und bürgerlich-konservative Wähler*innen hinter den moderateren Kandidaten, um einen Rechtsruck zu verhindern. Es scheint, als ob die (teils widerwilligen) Aufrufe von konservativen wie linken Politiker*innen, Le Pen zu verhindern, Erfolg hatten.

Dennoch zeigte die breite Koalition hinter dem Amtsinhaber im Vergleich zur Wahl 2017 Lücken: Der Abstand zwischen Macron und Le Pen verringerte sich von 32 Prozentpunkten 2017 zu nur noch 17 Prozentpunkten am Wahlsonntag. Insbesondere im konservativen Lager konnte Le Pen scheinbar ihren Unterstützer*innenkreis ausbauen. Gleichzeitig schoss der Nichtwähler*innenanteil mit 28 Prozent in die Höhe. Darüber hinaus gab es einen hohen Anteil an ungültigen Stimmen, sogenannter vote blancs, sodass am Ende gerade einmal 38,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme Macron gaben.

Dass es sich bei dieser ,,republikanischen Front“ nur um ein Zweckbündnis zur Verhinderung eines Wahlsiegs von Le Pen handelte, wurde bereits am Wahlabend deutlich. Die Spitzen der verschiedenen Parteien kündigten nur Stunden nach der Verkündigung der Ergebnisse an, Macron und seine liberale Partei LREM in den Parlamentswahlen herauszufordern. Jean-Luc Mélenchon, der die Parlamentswahlen als dritte Runde bezeichnete, kündigte sogar an, mit seinem Bloc Populaire die Wahl gewinnen zu wollen um als Premierminister unter Macron zu amtieren.

Marine Le Pen hat die Wahl verloren – der Rechtspopulismus des Rassemblement National wird aber Frankreich weiter begleiten

Auch in ihrem dritten Versuch in den Elysée-Palast einzuziehen, scheiterte Marine Le Pen. Zwar konnte sie ihren Stimmanteil auf über 40 Prozent steigern, sie lag aber dennoch mit 17 Prozentpunkten überraschend deutlich hinter dem Amtsinhaber. Die Gründe, wieso sie keine Mehrheit für sich gewinnen konnte, sind vielfältig. Trotz ihrer Versuche, sich als gemäßigter zu präsentieren, stellte Le Pen scheinbar für eine Mehrheit der Menschen in Frankreich immer noch eine tiefgreifende Bedrohung für die Fünfte Republik und ihre Werte dar. Darüber hinaus scheiterte Le Pen auch daran, genügend Unterstützer*innen des linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon auf ihre Seite zu ziehen. Trotz ihres Fokus auf die Inflationssorgen der Bürger und Versprechen großzügigerer Sozialleistungen konnte sie nur 17 Prozent der Mélenchon-Wähler im zweiten Wahlgang auf ihre Seite ziehen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen wählte stattdessen entweder Macron (42 %) oder enthielt sich ihrer Stimmen (41 %).

Trotzdem wird Le Pen auch weiterhin die Politik des Landes prägen. Weite Teile des Landes, insbesondere im industriellen Nordosten und an der Mittelmeerküste, stimmten in größeren Scharen für Le Pen. Auch konnte Le Pen ihr Bild als „Anwältin der kleinen Leute“ weiter untermauern, diesmal gaben ihr zwei Drittel der Arbeiter*innen und eine deutliche Mehrheit der niederen Angestellten im zweiten Wahlgang ihre Stimme.

Bereits in ihrer Rede in der Wahlnacht zeigte sie sich daher kämpferisch und versprach die Regierung Macron auch in den nächsten 5 Jahren auf das Schärfste zu kritisieren. Sie kündigte zudem einen harten Wahlkampf für eine starke Stellung ihrer Partei Rassemblement National in der Nationalversammlung an.

Frankreich hat eine neue politische Landschaft

Gleichzeitig besiegeln die beiden Runden der Präsidentschaftswahl auch das Ende des alten Spielfelds der französischen Politik, das geprägt von einem bürgerlich-konservativen und einem sozialdemokratischen Lager war. Die beiden ehemaligen Volksparteien erhielten in der ersten Runde nur noch 4,78 Prozent und 1,74 Prozent und drohen nun in die Bedeutungslosigkeit zu fallen.

Die ersten Analysen der Wahl teilen die französische politische Landschaft nun stattdessen in drei etwa gleich starke Blöcke ein: Einen rechts-(populistischen) Block um Le Pen und den Dauerprovokateur Éric Zemmour, einen zentristisch-liberalen Block um Macron und frühere Mitte-Links und Mitte-Rechts Wähler*innen und einen linken Block um den radikalen Jean-Luc Mélenchon. Alle drei Blöcke haben widerstreitende Visionen für die Zukunft von Frankreich, die in den nächsten 5 Jahren aufeinanderstoßen werden. Das Zusammenspiel dieser Blöcke wird Frankreichs Politik zumindest mittelfristig prägen. Gewinnen werden aber weiterhin nur Kandidat*innen, denen es gelingt, auch Anhänger*innen über ihr Lager hinaus anzuziehen.

Zur gleichen Zeit werden aber auch die Mängel des Mehrheitswahlrechts mit zwei Wahlgängen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen deutlich. Ein System, in dem es jeweils um absolute Mehrheiten geht, kann die vielfältige französische Parteienlandschaft der heutigen Zeit nicht mehr richtig abbilden. Daher wurden bereits vor der Wahl von Stimmen aus verschiedenen politischen Lagern Forderungen nach einer Reform des Wahlsystems in Richtung Verhältniswahlrecht erhoben. Daneben erhoben sich auch Stimmen, die die Machtkonzentration auf das Präsidentenamt im französischen System grundsätzlich kritisieren.

Europa atmet auf

In den Hauptstädten Europas wird derweil aufgeatmet. Nur kurz vor der Wahl hatten die Regierungschefs von Deutschland, Spanien und Portugal in einem gemeinsamen Aufruf in der Zeitung Le Monde vor der tiefgreifenden Bedrohung von Marine Le Pen für das Europäische Projekt gewarnt. Insbesondere ihre russlandfreundliche und EU-kritische Außenpolitik hatte inmitten des Krieges in der Ukraine große Sorgen vor einem epochalen Richtungswechsel der französischen Außenpolitik verursacht. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez erklärte die Wahl nur kurz nach Veröffentlichung der ersten Ergebnisse für einen Sieg für eine ,,freie, starke und gerechte“ Europäische Union.

Die Wiederwahl von Macron bedeutet, dass sich EU weiterhin auf die verlässliche proeuropäische Position der französischen Regierung verlassen kann. Ob die Wiederwahl allerdings nun neuen Schwung in die von Macron vorgeschlagene Vertiefung der Europäischen Integration bringt, ist dagegen unklar. Einerseits kann sich die EU nun auf bekennend proeuropäische Regierungschefs in Paris, Berlin, Rom und Madrid stützen. Insbesondere Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock werden für Macron willkommene Partner sein. Andererseits stehen weiterhin dieselben Hürden Macrons Ideen entgegen: Nicht nur herrscht in Brüssel und vielen Hauptstädten Unsicherheit über die Mehrheitsfähigkeit von Macrons Vorschlägen, die Regierungen in Ungarn und Polen machen ihre harsche EU-Kritik sogar zu ihrem Herausstellungsmerkmal.

Noch hat Macron nicht alles gewonnen

Macron wird trotz dieses wichtigen Sieges nur kurz verschnaufen können. Schon im Juni werden nämlich in zwei Runden die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung gewählt. Bis jetzt konnte sich Macron dort auf eine knappe Mehrheit stützen, doch vieles spricht dafür, dass er diese bei den kommenden Parlamentswahlen verlieren wird. Aufgrund der fragmentierten Parteienlandschaft sind nämlich klare Verhältnisse relativ unwahrscheinlich. Zwar genießt der Präsident eine starke Stellung im französischen Regierungssystem, allerdings ist er dennoch bei der Umsetzung von Gesetzesvorhaben vom Parlament abhängig. In Phasen der sogenannten Cohabitation – wo unterschiedliche Parteien Präsidentschaft und Parlament kontrollieren – muss sich der Präsident auf Kompromisse mit der Opposition einlassen. Somit kommen auf Frankreich nun weitere Wochen des hitzigen Wahlkampfs zu.

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