„Dies ist doch ein katholisches Land.“ So lautete die Antwort, als Savita Halappanavar im Oktober 2012 eine Krankenschwester dringend bat, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Halappanavar, 31, wurde mitgeteilt, dass der Fötus auf keinen Fall überleben würde. Die schwangere Frau litt unter unerträglichen Schmerzen, hinzu kam eine Blutvergiftung. Savita Halappanavar durfte ihren Fötus nicht abtreiben, denn der Herzschlag des Fötus war noch zu hören. Fünf Tage später starb sie im Krankenhaus.
Eine Welle des Protests geht seither durch Irland, aber auch in anderen Ländern wird über das Thema heftig diskutiert. Auch wenn die richterliche Untersuchung zum Schluss kam, es handle sich um einen „medizinischen Unfall“, löste der Fall eine erneute hitzige Debatte rund um das umstrittene Abtreibungsgesetz auf der Insel aus. So stellt sich die Frage, ob eine solches Gesetz in einer modernen, europäischen Republik im 21. Jahrhundert noch zu rechtfertigen ist.
Ein komplexes Thema
Mit der Ausnahme Maltas (wo Abtreibung komplett verboten ist), weist Irland die strengsten Abtreibungsgesetze in der EU auf. 1983 wurde der Verfassung ein Artikel hinzugefügt, der besagt, dass das Recht auf Leben des Ungeborenen dem der Mutter gleichwertig ist. Eine Schwangerschaft darf nur abgebrochen werden, wenn das Leben – und nicht „nur“ die Gesundheit – der Frau gefährdet ist.
Wie der Fall Halappanavar verdeutlicht, ist jedoch die Grenze zwischen Leben und Gesundheit oft verschwommen. Eine weitere Grauzone ist die Gefahr durch Selbstmord: 1992 entschied das irische oberste Gericht im Fall „X“, dass Suizid auch als Lebensbedrohung gilt. Daher hat eine selbstmordgefährdete Frau ein verfassungsmäßiges Recht auf eine Abtreibung.
Nun sind – 20 Jahre nach diesem Gerichtsurteil – die entsprechenden Gesetze immer noch nicht verabschiedet worden. Das Thema ist politisch hochexplosiv und kein Regierungschef wollte seinen Kopf dafür riskieren. Aber auch vor dem Geschehen im Galway Krankenhaus kam ein neuer Ansporn: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im Fall „C“, dass Irland aufgrund der gesetzlichen Unklarheit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Auch wenn die Entscheidung keine direkt bindende Wirkung entfalten kann, setzt sie die irische Regierung unter politischen Druck.
Abtreibung „von oben“?
Die Bedrohung, dass Europa früher oder später den Iren eine Legalisierung der Abtreibung im Namen der Menschenrechte aufdrängen würde, ist eine mittlerweile weitgehend etablierte Argumentation in rechtskonservativen Kreisen. Der Urkatholische Interessenverband Cóir in The Catholic Voters‘ Guide (2008) beklagte das „antichristliche Programm der EU“ sowie ihre „radikale feministische Revolution“. Trotz solcher Rhetorik hat die EU in solchen Fragen Irland immer mit Samthandschuhen angefasst. Der Vertrag von Maastricht (1992) gewährte dem Land eine Ausnahme hinsichtlich des freien Personenverkehrs, damit die Abtreibungsgesetze nicht angetastet werden müssen. Nachdem der erste Volksentscheid zu Lissabon gescheitert war (dank Gruppen wie Cóir stand das Thema Abtreibung während der Kampagne ganz oben auf der Tagesordnung), erwarb die irische Regierung eine Garantie, dass ihre Souveränität in diesem Punkt nicht beeinträchtigt würde. Jedoch ist es nicht Brüssel, sondern vielmehr sind es die Iren selber, die einen Wandel fordern. Trotz dieser schwierigen Gesetzeslage, lassen jedes Jahr bis 6.000 irische Frauen in England eine Abtreibung vornehmen. Das Gerichtsurteil im Fall „X“ wurde schon 1992 im Zuge einer Volksabstimmung genehmigt. Laut der aktuellsten Umfrage der Irish Times befürworten 70 Prozent der Iren das Recht auf Abtreibung, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist.
Gesetzesentwurf bringt wenig Hoffnung
Vor diesem Hintergrund hat die Regierung endlich in den sauren Apfel gebissen: Am 30. April ist ein neuer Gesetzesentwurf veröffentlicht worden. Diejenigen, die sich eine Revolution erhofft hatten, werden allerdings enttäuscht sein. Der Inhalt des Gesetzes soll größtenteils unverändert bleiben. Abtreibung wird nach wie vor rechtswidrig sein – es sei denn, das Leben der Mutter ist gefährdet.Die einzige Neuerung ist, dass im Gesetz der Selbstmord als Lebensbedrohung anerkannt wurde. Allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass die Selbstmordabsicht der Frau durch drei Ärzte bestätigt werden muss.
Selbst dieser äußerst vorsichtige Entwurf sorgt momentan für bittere Auseinandersetzungen. Im Parlament wird erwartet, dass das Gesetz verabschiedet wird – obgleich mehrere Mitglieder der Regierung gegen die Parteilinie stimmen könnten. In der öffentlichen Debatte gibt es viele Befürworter, auch für eine größere Liberalisierung des Gesetzes. Dennoch sind die ablehnenden Stimmen lauter. Sie sind zum Teil frauenfeindlich oder verachtend gegenüber psychiatrischen Krankheiten. Sie sind aber auch durch eine religiöse Glaubenstradition geprägt, die trotz massiven sozialen Änderungen im Land, immer noch deutlich erkennbar ist. Irland ist und bleibt ein katholisches Land.
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