Herr Wolf, auf Ihrer Vereins-Webseite steht: „Wir wollen Menschen begeistern, sich als Bürger Europas zu fühlen“. Wie fühlt man sich eigentlich als Bürger Europas?
In letzter Zeit nicht besonders gut, denn Europa ist, wie die Kanzlerin sagt, in der schwersten Krise seit der Gründung, seit den 1950ern. Ich sehe unsere Aufgabe deshalb vor allem in der Aufklärung über Europa. Gerade bei jungen Leuten gibt es enorme Defizite. Wie man sich dann dabei fühlt, ist schwer zu sagen.
Um beim Statement auf der Webseite zu bleiben: Wofür kann man die Menschen begeistern?
Begeistern, finde ich, sollte man sich vor allem für die ursprüngliche Idee, Europa als Solidargemeinschaft zu gründen. Die Wenigsten wissen, dass die zwölf Sterne auf der Europafahne nicht für die Gründungsstaaten stehen, sondern ein Symbol für Geschlossenheit, Harmonie und Solidarität sind. Auf diesen Solidaritätsgedanken sollte man sich konzentrieren. Die europäischen Staaten haben nur eine Zukunft in Wohlstand und sozialer Sicherheit, wenn sie zusammenhalten.
Was heißt das für mich konkret?
Das ist unterschiedlich: Junge Leute werden sich vor allem für die EU-Mobilitätsprogramme begeistern. Millionen junger Leute Reisen durch Europa – mit Unterstützung der Europäischen Union und ihrer Programme wie Erasmus und Leonardo.
Eng verbunden mit dem Thema Mobilität ist die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Es fällt aber auf, wie wenige Leute trotz der großen Wirtschaftskrise von einem Land ins andere ziehen. Versagen die Bürger, wenn es darum geht, sich als Europäer zu fühlen?
Ich glaube, das scheint vor allem aus der deutschen Sicht so. Wir denken immer, Deutschland sei der Nabel der Welt und alle müssten immer zu uns kommen. Dem ist aber nicht so. Über eine Million Polen arbeiten beispielsweise in England.
Was wäre denn nötig, damit noch mehr Leute diese Möglichkeiten nutzen?
Ich weiß nicht, ob es so gut wäre, wenn noch mehr Leute umziehen würden. Wer die Qualifikation hat und den Drang verspürt, im Ausland zu arbeiten, der macht das auch. Ich finde es aber schlimm, wenn solche Mechanismen aus sozialer Not genutzt werden müssen. Es ist leider oft so, dass die Leute nicht aus Begeisterung in ein anderes Land gehen, sondern weil sie im eigenen Land keine Arbeit finden oder unter der Armutsgrenze leben.
Lassen Sie uns über die Arbeit des Vereins reden. Bürger Europas geht beispielsweise in Schulen und veranstaltet dort unter anderem die Reihe „Perspektive Europa“. In 40 Veranstaltungen wurden insgesamt 4000 Schüler erreicht. Können Sie denn bei 100 Schülern pro Veranstaltung noch auf individuelle Fragen eingehen?
Schulveranstaltungen starten immer in der Aula, mit einem bekannten Politiker, den wir einladen. Daher erreichen wir so viele Schüler. Nach zwei Stunden Diskussion teilen wir uns dann in Gruppen von 25 oder 30 Personen auf. Das ist dann individuell und auch recht intensiv. Im letzten Jahr haben wir vor allem Veranstaltungen zu den Mobilitätsprogrammen und zur Wirtschaftskrise organisiert.
Ab diesem Jahr orientieren wir uns schon stark an den Europawahlen 2014. Es ist ja bekannt, dass bei der letzten Wahl nur 43 Prozent aller Europäer zur Wahl gegangen sind, in Berlin und Brandenburg sah es sogar noch viel schlimmer aus. Mit Blick auf die Gesamtsituation in Europa ist man sicher gut beraten, früh anzufangen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen: Warum diese Wahl und warum sollte man lieber hingehen?
Wie muss man sich die Arbeit mit den Jugendlichen konkret vorstellen?
Wir schicken gut ausgebildete Referenten in die Schulen, die meistens ein spezielles Bildungsformat in der Tasche haben, das wir vorher entwickeln. Auf der Basis der verschiedenen Formate und Medien, wie einem Europafilm, einer Präsentation oder einer Homepage, kommen wir dann mit den Schülern informativ aber auch unterhaltsam ins Gespräch. Wir versuchen immer, Europa mit einem gewissen Maß an Spaß und Unterhaltung zu verbinden. Wenn man das zu trocken macht, schalten alle ab.
Welche Inhalte werden auf den Veranstaltungen in Bezug auf die Europawahl vermittelt?
Wir versuchen darzustellen, was das Europäische Parlament eigentlich leistet. Das ist zu wenig bekannt. Die Schülerinnen und Schüler wissen nicht genau, wofür das Europäische Parlament arbeitet und wer die Abgeordneten sind. Da setzen wir an und versuchen zu erklären, wie die Jugendlichen selbst von der Arbeit des Parlaments profitieren. Und im nächsten Schritt geht es darum, dass sie differenzieren können: Welche Partei steht für welche Ziele? Die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler sind immer gleich: Große Wissensdefizite, großes Staunen in wieweit die Arbeit des Europäischen Parlaments in den täglichen Alltag der Bürger hineingeht.
Kann ein Verein wie Bürger Europas solche Wissenslücken überhaupt füllen?
Wenn man die Gesamtbedeutung europäischer Politik für unser Leben betrachtet und auf der anderen Seite den Anteil von Europapolitik im Unterricht, ist das natürlich ein Missverhältnis. Aber es sind auch die Medien, die das Thema viel zu wenig aufgreifen, und wenn, dann von einer sehr negativen Seite. Eine solide euroapolitische Bildung gibt es in der breiten Masse einfach nicht. Da leisten wir gemeinsamen mit anderen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften einen kleinen Beitrag. Aber insgesamt ist das natürlich viel zu wenig.
Wenn ich auch denke, das ist zu wenig: Gibt es Möglichkeiten, bei den Bürgern Europas mitzumachen?
Wir suchen immer gute, hoffnungsvolle Nachwuchsreferenten, die am Ende ihres Studiums stehen oder die gerade fertig sind und die auf Honorarbasis für uns arbeiten. Wichtig ist die Begabung, über Europa nicht nur kundig, sondern begeisternd zu sprechen – übrigens eine Fähigkeit, die ausgerechnet vielen Politikern fehlt. Man kann auch an unseren Veranstaltungen teilnehmen, die in der Regel öffentlich sind. Jugendliche können zu unseren Jugendbegegnungen mitfahren, dieses Jahr nach Ägypten und Jordanien. Und man kann natürlich Vereinsmitglied werden. Es gibt also einige Möglichkeiten.
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