Das Europäische Parlament in der Vertrauenskrise

, von  David Neuwirth

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Das Europäische Parlament in der Vertrauenskrise
Das Europäische Parlament bekommt immer mehr Macht, ein Zugewinn an Legitimität bedeutet dies aber nicht zwangsläufig. Foto: © European Union 2013 - EP Louise WEISS building: © Architecture Studio

Vertrauen zwischen öffentlichen Institutionen und Bürgern ist Grundlage für die Demokratie. Das Dumme ist, es ist leichter zu verlieren als es wieder zu erlangen. Je mehr das Europäische Parlament an Volumen und Einfluss gewinnt, umso stärker ist es auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Dieses aber wird durch beunruhigende Tendenzen beeinträchtigt.

Miloslav Ransdorf und Raffaell Baldassarre sind beide Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Sie waren auch Protagonisten im jüngsten PR-Desaster der Institution, als sie beim Kassieren fürs Nichtstun ertappt und handgreiflich wurden. Der Fall sorgte für einige Aufmerksamkeit und das beteiligte niederländische Weblog reichte Beschwerde bei Martin Schulz, dem Präsidenten des Europa-Parlaments ein. Dennoch: seither gibt es weder eine Pressemitteilung, noch eine offizielle Stellungnahme oder Reaktion.

Verselbstständigung einer Institution

Das Tagegeld auf das beide Herren aus waren, beläuft sich auf 304 Euro. Das Parlament zahlt diese Pauschalvergütung auf Basis eines formalen Eintrags in die Anwesenheitsliste bei Sitzungen. Eine Verpflichtung, tatsächlich da zu sein oder sich beim Verlassen des Saales aus der Liste wieder auszutragen, gibt es nicht. Damit werden EU-Abgeordnete eingeladen, 304 Euro pro Tag einzustreichen – im Austausch für ihre Unterschrift. Ein vernünftiges Drei-Sterne-Hotel in der Nähe vom Brüsseler Parlamentsgebäude wird dabei nicht mehr als 125 Euro für Unterkunft mit Bett und Frühstück kosten. Selbst bei gewissenhaften Abgeordneten also macht das 162 Euro pro Tag für Mittag- und Abendessen in einem Milieu, wo häufig kostenfreie Verpflegung (auf von Interessengruppen oder politischen Parteien organisierten Veranstaltungen) angeboten wird. Von subventionierten Kantinen ganz zu schweigen.

Einmal gegründete Institutionen tendieren dazu, sich zu verselbstständigen – dies war schon den Römern bekannt. Das Problem entsteht, wenn jene Verselbstständigung übermäßige Kosten verursacht und über das Ziel hinausschießt. Einkünfte von EU-Abgeordneten sind ein Paradebeispiel dafür. Vier Jahre nach der Anhebung der Diäten durch das „einheitliche Abgeordneten-Statut“ verdienen EU-Parlamentarier mittlerweile 878 Prozent mehr im Jahr als der Durchschnitt aller EU-Bürger, wie eine neue Studie zeigt. Hinzu kommen Bürokosten, die nur zur Hälfte durch quittierte Rechnungen belegt werden müssen (und schon Gegenstand mancher Skandale waren). Öffentliche Empörung ist dann zwangsläufig die Folge. Umso mehr in einer Zeit, in der Politikerverdrossenheit keine Seltenheit ist.

Hohe Kosten, kaum Nutzen

Die Arbeit der EU-Abgeordneten wird bei europaweiten Themen immer mehr sichtbar – das steht außer Frage. Doch mit dem steigenden Einfluss erhöht sich auch das Korruptionspotential. Die Enthüllungen der „Cash-for-Laws“-Affäre vor zwei Jahren sind symptomatisch für diese Gefahr. Ein freiwilliges Transparenzregister und schlampig nachgegangene Auskunftspflicht genügen nicht, alle Zweifel Weg auszuräumen.

Dabei sucht das Europaparlament immer noch nach genügend Legitimität. Wenn eine vierköpfige Delegation von EU-Abgeordneten nach Buenos Aires reist und für ihren Fünf-Tage-Aufenthalt 105 182 Euro anfallen, wird der Wähler wohl nur schwer darin seine Interessen vertreten sehen. Insoweit, als es dem Europa-Parlament am Initiativrecht mangelt, muss sich der Wähler mit gesetzgeberischem Mitentscheidungsrecht begnügen. Das ist nicht wenig, aber noch nicht genug, um die notwendige Akzeptanz zu erringen. Unverbindliche Appelle, die hin und wieder fragwürdiger Natur sind (z.B. über die Rolle des Gender-Aspekts im Klimawandel), haben es bisweilen nicht geschafft. Und in Sachen wie das Olivenöl-Kännchen-Verbot bleibt die Abgeordnetenkammer außen vor.

Selbst die 24 Amtssprachen im Parlament, an sich eine demokratische Komponente, werden teuer bezahlt. Zum einen fehlt den Debatten schneidende Schärfe, zum anderen zahlt das Parlament jährlich um die 50 Millionen Euro für den Dolmetschdienst. Hinzu kommt, dass die Abgeordneten jedes Jahr bereitgestellte Dolmetschleistungen im Wert von mehreren Millionen Euro nicht in Anspruch nehmen – wie neuste Zahlen belegen. Dabei hat Bundespräsident Joachim Gauck vor kurzem eine einfache Lösung vorgeschlagen: beendet das Sprachenwirrwarr und sprecht Englisch! Sein Vorschlag würde Kostenvorteile bringen, Kontrolle und Debatte stärken und vielleicht sogar einen Mentalitätswandel herbeiführen. Selbst wenn Französisch mit Deutsch hinzugefügt würden und verspätete Annullierungen gebuchter Dolmetschdienste sanktioniert wären, hätte man vermutlich eine effiziente Lösung erreicht. Bei monatlichen 17.827 Euro (an Gehalt und sonstigen Zuwendungen) aus Steuergeldern kann man den EU-Abgeordneten abverlangen, Sprachkurse zu nehmen. Es ist auch der Erinnerung wert, dass Europa nicht aus dem Nichts entsteht: das Bedürfnis nach einer Amts- und Verkehrssprache zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte, bis hin zum Römischen Reich und der mittelalterlichen Kirche. In der Zeit des harten Sparkurses hätte das Parlament ihn aufgreifen können.

Das tat es aber nicht, weil es nicht gezwungen wird, selbst auf Sparkurs umzuschalten. Der Haushaltsrahmen ist für mehrere Jahre im Voraus festgelegt. Und das Europäische Parlament wird nicht wirksam in seiner Ausgabenpolitik überwacht. Kombiniert mit seiner Sehnsucht danach, Geschichte zu schreiben, verwickelt es sich dann trotz Krise in Projekte wie das 21 Millionen Euro teure Parlamentarium (ein selbstdarstellendes Besucherzentrum) und das mit 52 Millionen Euro veranschlagte Haus der europäischen Geschichte, die weitere Unterhaltungskosten nach sich ziehen.

Handeln. Mitmachen. Bewegen.

Der eine Posten, an dem die Abgeordnetenkammer gerne gespart hätte, bleibt ihrem Einfluss leider entzogen: die Verteilung auf drei Arbeitsorte (Brüssel, Straßburg und Luxemburg). Die Abgeordnete sagen hierzu ein klares „Nein“ und bleiben ungehört.Dabei würde das jährliche Einsparung von 180 Millionen Euro nachsich ziehen. Im Vorfeld der Europa-Wahl 2014 leidet also das Image des Europäischen Parlaments beträchtlich. Um das Vertrauen und die Unterstützung der Bürger zu gewinnen, muss es den ernsthaften Willen zeigen, an sich selbst arbeiten zu wollen.

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