Der Föderalismus ist ein Exportartikel

, von  Arnaud Huc, übersetzt von Inga Wachsmann

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Der Föderalismus ist ein Exportartikel

Der Föderalismus als politische Idee gehört zu den Ideologien, die genauso wie der Sozialismus oder der Liberalismus als fortschrittlich oder universalistisch bezeichnet werden. Ungleich dem berühmten Satz von Mussolini, der besagt, dass der Faschismus kein Exportartikel ist, ist der Föderalismus ein Exportartikel. Es gibt ihn in Nord- und Südamerika, in der arabischen Welt und in besonderer Form in Indien.

Zu allererst müssen wir zwischen dem Föderalismus als institutionellem Mechanismus und dem Föderalismus als Ideologie unterscheiden. Im ersten Fall ist der Föderalismus nichts anderes als eine Art und Weise den Staat so zu organisieren, dass die Macht zwischen dem Bundesstaat und den Gliedstaaten aufgeteilt wird. Im zweiten Fall handelt es sich um eine Philosophie über den Zusammenschluss verschiedener Völker oder Nationen in einer gemeinsamen staatlichen Einheit, die der gleichen Zivilisation angehören. In diesem ideologischen Sinne kann man den Föderalismus als universelle Philosophie bezeichnen, denn es gibt ihn in allen zivilisatorischen Regionen. Damit kann der Föderalismus mit dem soziologischen Begriff des Imperiums in Verbindung gebracht werden, welcher nicht mit dem autokratischen Begriff des Kaisertums zu verwechseln ist.

In Nordamerika ist der Föderalismus vor allem national

In Amerika und insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika ist der Föderalismus ausschließlich institutionell und wenig politisch. Die Föderation ist Fakt und damit ideologisch tot. Trotzdem war die Föderation über das gesamte 19. amerikanische Jahrhundert hinweg in den USA ein Projekt auf dessen Grundlage dieser Staat entstanden ist. Der Staat der USA ist durch die Debatte um den föderalen Staat sowie die Sklaverei, die zur Abspaltung der Südstaaten geführt hat, entstanden.

Der amerikanische Föderalismus ist eine interessante Besonderheit dieses Staates, ein nationaler Föderalismus. Es sind nicht verschiedene autonome Völker sondern verschiedene Staaten, die der gleichen „amerikanischen Nation“ angehören, die sich aus Eifersucht auf ihre jeweilige Autonomie lieber zu einer Föderation als zu einem Einheitsstaat zusammengeschlossen haben. Der amerikanische Föderalismus kann durchaus mit dem deutschen Föderalismus in Verbindung gebracht werden, der ebenfalls ein nationaler Föderalismus ist, bei dem die Gründung und die Aufrechterhaltung historisch bedingt sind.

In Lateinamerika entsteht ein Föderalismus nach europäischem Vorbild

Im gesamten Gebiet der ehemaligen spanischen und portugiesischen Kolonien ist der Föderalismus kein neues Phänomen. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien vom spanischen Königreich Anfang des 19. Jahrhunderts sind eng mit dem Wunsch der Einheit unter den nun freien Kolonien verbunden. Der Bolivarismus zum Beispiel ist eine Mischung aus Ursozialismus und Einigungsversuchen des alten Kolonialreichs.

Erstaunlicherweise war das gesamte 19. Jahrhundert in Lateinamerika mehr eine Folge von zentrifugalen Kräften als ein vereinigender Prozess. Die Vereinigten Staaten Zentralamerikas sind 1839 genauso untergegangen wie Großkolumbien oder auch Peru-Bolivien. Diesen Zersplitterungsprozessen gingen immer politische Krisen als Ursprung voraus. Nationalistische Motive, die außerdem noch nicht existierten, waren nicht deren Ursprung. Nach dem Zerfall haben die ehemaligen Kolonien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen Streitigkeiten über Gebiete gegeneinander Krieg geführt. Der Bolivarismus ging damit für fast ein Jahrhundert in den Winterschlaf.

Mit der Gründung der Union Südamerikanischer Nationen folgt Lateinamerika heute dem europäischen Beispiel. Diese im Jahr 2004 gegründete UNASUR hat bereits eine gemeinsame Währung eingeführt und eine militärische Kooperation. Diese Union ist noch sehr jung und wurde durch eine gewisse politische Homogenität der südamerikanischen Eliten erleichtert. Sie könnte sich in Zukunft durchaus zu einem ähnlich integrierten Zusammenschluss wie die Europäische Union entwickeln und eine mögliche Supermacht werden.

Der missglückte Panarabismus

Nach der Dekolonisierung der Arabischen Welt hat sich unter der Führung von Nasser ein wahrer panarabischer Föderalismus entwickelt. Der Mann, der von 1956 bis 1970 der Präsident Ägyptens war, hat eine Philosophie entwickelt, die heute Nasserismus genannt wird. Diese Philosophie war sozialistisch, laizistisch und föderalistisch, da sie beabsichtigte, die gesamte arabische Welt in einem Staat zusammenzuschließen. Im Ergebnis führte dies zu mehreren unglücklichen, weil gescheiterte Erfahrungen.

So gab es von 1958 und 1971 eine vereinigte arabische Republik zwischen Syrien und Ägypten. Auch gab es kurzzeitig die Vereinigten Arabischen Staaten zwischen Syrien, Ägypten und dem Jemen. Schließlich wurde 1971 die Union der Arabischen Republiken gegründet, die 1984 aufgrund nationaler Streitigkeiten schlußendlich zu Ende ging.

All diese Erfahrungen zeigen, dass es in der arabischen Welt ein wahres föderalistisches Projekt gab, das sich gegen die Grenzen aus Kolonialzeiten wandte und über circa 20 Jahre der Motor der arabischen nationalen Erneuerung war. Außerdem zeigte das Projekt Nassers, dass in der arabischen Welt Platz für ein laizistisches Projekt ist, das den Islam durchaus respektiert. Dieser Föderalismus ist heute verschwunden und wurde durch ein panislamistisches Projekt abgelöst, das mit seiner äußerst religiösen und reaktionären Ausrichtung wesentlich radikaler ist.

Der zivilisatorische indische Föderalismus

Indien war im Laufe der Geschichte abwechselnd geeint oder vereint. Jedoch ist Indien gerade durch das Britische Reich eine endgültig geeinte Region geworden. Das unabhängige Land hat es geschafft den verschiedenen lokalen Besonderheiten durch eine föderale Staatsstruktur, deren Zement mehr die englische Sprache als die Religion oder eine unwahrscheinliche „indische Nation“ war, Rechnung zu tragen.

Der indische Föderalismus ist damit ein zivilisatorischer Föderalismus, weil Indien im Gegensatz zur arabischen Welt eindeutig keine Nation ist. Heute ist Indien mit über einer Milliarde Einwohnern der größte föderale aber auch demokratisch organisierte Staat der Welt.

Fazit

Der Föderalismus als Ideologie ist genauso facettenreich wie die Völker die föderal organisiert sind. In allen betrachteten Fällen springt jedoch eine Gemeinsamkeit ins Auge. Der Wille eine Gruppe von Völkern oder Nationen, die sich durch ihre Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Zivilisation nahe stehen, in einem einzigen Staat zusammenzuschließen. Der Fall Europa ist damit jedoch kein Sonderfall, wenn in einigen Staaten wie Indien föderalistische Erfahrungen gelingen.

Ihr Kommentar
  • Am 3. August 2012 um 13:54, von  Mathias Als Antwort Der Föderalismus ist ein Exportartikel

    Ich habe vor kurzem in Chile studiert und dort einen Kurs zu politischer Integration (bei Jean-Monet-Professorin Iris Vittini) belegt. Daher kann ich den Abschnitt über die UNASUR so nicht bestätigen. Auch wenn es hoch gesteckte Ziele gibt, so liegt die bisherige Errungenschaft eher in gemeinsamen Infrastrukturprojekten. Dass es in absehbarer Zeit eine gemeinsame Währung (als Zahlungsmittel) geben wird, ist sehr unwahrscheinlich, und die Bedeutung der militärischen Kooperation sollte man nicht überbewerten.

    Wichtiger als UNASUR sind der Gemeinsame Markt des Südens (MERCOSUR) und die Andengemeinschaft (Comunidad Andina de Naciones, CAN). Der MERCOSUR ist dabei das bedeutendste regionale Wirtschaftsbündnis, aber intergubernamental organisiert. Die Andengemeinschaft hingegen hat ein Gemeinschaftsrecht und einen Andenbürgerschaft (vgl. Unionsbürgerschaft). Auch wenn südamerikanische Integrationsbemühungen, wie Artikel treffend geschildert, ihre Ursprünge auf dem eigenen Kontinent haben, so lässt sich nicht leugnen, dass die Südamerikaner gerne nach Europa schielen und die EU als Vorbild haben. Das Parlament des MERCOSUR wurde bspw. 2007 mit Hilfe des EP gegründet.

    Die These im Artikel, dass sich in ferner Zukunft auf dem südamerikanischen Kontinent eine Weltmacht bilden könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Anders als auf dem asiatischen Kontinent gibt es trotz bestehender, teils heftiger Rivalitäten eine Art gemeinsamer Identität als Südamerikaner. Der Kontinent ist reich an Bodenschätzen und die wirtschaftlichen Wachstumsraten sind nicht unbeachtlich. Es bleibt abzuwarten, wie sich CAN und MERCOSUR im Verhältnis zueinander und zur UNASUR entwickeln werden.

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