Der (Mehr-)Wert von Europa durch Mobilität

Muss ich mobil sein, um mein Leben erfolgreich zu meistern?

, von  Inga Wachsmann

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Der (Mehr-)Wert von Europa durch Mobilität
Mit verschiedenen Programmen versucht die Kommission die Mobilität der EU-Bürger zu erhöhen. © European Union, 2012

Mobilität ist eine zentrale Errungenschaft der Europäischen Einigung. So hat in der Vergangenheit „Versöhnung“ stattgefunden und kann in der Zukunft „Solidarität“ stattfinden. Mobilität ist wichtig, davon sind wir in der JEF überzeugt. Seit langem fordern wir Schul- und Bildungsaustausche sowie europäische Inhalte auf verschiedenen Ebenen der öffentlichen Bildungseinrichtungen. Wie wichtig das Thema ist, bestätigt auch die Tatsache, dass die ersten Europäischen Bürgerinitiativen (EBI) sich damit beschäftigen – MEET (euroedtrust.eu) für Europa in den grundbildenden Bildungseinrichtungen und Fraternité2020 für eine bessere finanzielle Ausstattung der Bildungsmobilitätsprogramme. Doch wer profitiert davon? Und warum sollte jeder von uns versuchen, ein Stück vom Mobilitätskuchen abzubekommen?

Für wen?

Nahezu jeder Europäer war schon einmal im europäischen Ausland im Urlaub, hat dort virtuell oder persönlich eingekauft oder schlichtweg eine Telefonnummer im europäischen Ausland gewählt. Mancher hat einen Teil seiner Ausbildung im Ausland verbracht oder bei sich zu Hause mit anderen Europäern gesprochen und circa elf Millionen Europäer leben und arbeiten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Dieses Jahr feiert das weltberühmte Förderprogramm „Erasmus“ seinen 25. Geburtstag. Circa drei Millionen Studenten haben daran teilgenommen. All dies findet trotz der Sprachbarriere statt, die wir in Europa im Vergleich zu den USA haben und trotz unserer ausgeprägten traditionell lokalen Verankerung. Ein Erfolg, oder?

Angesichts der über 500 Millionen Bürger der EU und der positiven Grundeinstellung – zwei Drittel geben an, grundsätzliche bereit zu sein, in ein anderes europäisches Land zu ziehen – ist der Anteil der Bevölkerung, der bereits in einem anderen Land gelebt und/oder gearbeitet hat (15%) klein und nur 13% haben einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland verbracht, noch weniger im EU-Ausland. Diese Gruppe von Menschen sind tendenziell gebildet und finanziell gut ausgestattet. 65% der Jugendlichen finanzieren einen Auslandsaufenthalt mit privaten Mitteln! Von einer Mobilität für alle kann also keine Rede sein.

Warum?

Freiheiten sind zentrale Werte und Erkennungszeichen der Europäischen Union. Diese Freiheiten jedem verständlich, zugänglich und erreichbar zu machen und gleichzeitig die Sicherheit nicht zu gefährden ist eine Herausforderung. Mobilität ist die Freiheit, das Recht, sich unabhängig von Staatsgrenzen frei zu bewegen, sich niederzulassen, zu lernen, zu arbeiten. Es herrscht Einigkeit darüber, dass Mobilität das Zugehörigkeitsgefühl der Europäer zu Europa fördert und damit einen großen Beitrag zur Solidarität in der Union leisten kann, die aktuell als Zukunftsprojekt der EU in aller Munde ist. Jedoch darf Mobilität nicht erzwungen werden!

Zwei Beispiele zeigen wie aktuell, umstritten und facettenreich das Thema Mobilität ist. Zunächst die Jugendarbeitslosigkeit. In der Europa 2020-Strategie für intelligentes Wachstum finden Arbeitskräfte und insbesondere junge Menschen als Wirtschaftsobjekte ihren Platz. Plakativ stellt sich die Frage, ob von einem arbeitslosen Spanier verlangt werden kann, in Deutschland nach Arbeit zu suchen. Zwar ist Arbeitslosigkeit für Europäer der wichtigste Grund, in ein anderes Land zu ziehen, doch stehen dem neben fehlendem Interesse, Familie, Freunde und „Heimat“ als Gründe gerade nicht in ein anderes Land zu gehen, gegenüber. Ist es nun Freiheit oder Zwang, wenn man für einen Job in ein anderes Land ziehen muss/kann? Zweitens wird insbesondere seit den nicht abreißenden Flüchtlingswellen und mit der Überforderung von EU-Mitgliedstaaten, die EU-Außengrenzen besitzen, das Schengenabkommen in Frage gestellt. Mit dem Argument der Sicherheit sollen Grenzkontrollen leichter wieder eingeführt werden können. Über das eigentliche Problem – der Bedarf an einer europäischen Migrationspolitik – wird geschwiegen. Dieser Fall, bei dem Freiheit und Sicherheit gegeneinander aufgewogen werden, stellt nicht nur die Mobilität als Freiheit der Europäer in Frage, sondern berührt auch den Anspruch der EU an sich selbst, in Fragen Menschenrechten voranzugehen.

Und wie?

Ist Zwang, z.B. ein verpflichtender Schulaustausch, eine Möglichkeit oder widerspricht es nicht gerade der Mobilitätsfreiheit? Ins kalte Wasser springen schadet niemandem, solange uns vorher das schwimmen beigebracht wurde und wir einen den Wassertemperaturen entsprechenden Anzug tragen. Ein Teil der Tiefseeeinweisung ist sicherlich der Spracherwerb. Das gilt für die Verständigung an sich sowie die Regeln, die unter Wasser gelten. Ein weiterer Aspekt ist die finanzielle Unterstützung, sich einen wasserdichten Anzug ohne Löcher zulegen zu können. Schließlich muss die Anerkennung des Tauchscheins in der Tauchschule nebenan oder am anderen Ende Europas sichergestellt werden. Dafür gibt es in Europa bereits Programme (z.B. ECTS-System, Europass) doch allzu oft lässt die Realität zu wünschen übrig.

Mit dem neuen EU-Förderprogramm „Youth on the Move“ sollen Bildungsmobilität und Mobilität im ehrenamtlichen Engagement noch stärker gefördert werden. Sicher braucht es die bereits erwähnten EBIs und Initiativen wie den Appel “Freiwilliges Jahr Wir sind Europa – Manifest zur Neugründung der EU von unten” mit dem der Soziologe Ulrich Beck und der Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit Anfang Mai 2012 die europäischen und nationalen politischen Institutionen aufforderten, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie finanzielle Mittel – unter Beteiligung der Wirtschaft – für ein Freiwilliges Europäisches Jahr für alle zu schaffen, um neue Zielgruppen zu erreichen. Mobilität ist in unserer vernetzten Welt eine Notwendigkeit. Mobilität durch positive Erfahrungen als Chance zu erleben und nicht als Zwang ist es damit ebenfalls.

Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa->http://www.jef.de/magazin/], Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der Bedeutung von Mobilität für Europa und ist als kostenloser Download erhältlich.

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