Die Normalisierung Deutschlands (I)

Erster Teil: Ein Blick zurück und die Frage, wieso Deutschland selbstbewusster auftritt

, von  Morgan Griffith-David, übersetzt von Pia Hilfert

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Die Normalisierung Deutschlands (I)
Wo will Deutschland in Europa hin? Credit © European Union, 2011

Deutschland, der Motor Europas, drosselt sich ab. Seit Beginn der Euro Krise haben wir ein neues Land aufstreben sehen. Manche nennen den Prozess die unumgängliche „Normalisierung Deutschlands“, eine Zeit, in der Deutschland beginnt sich wie ein „normales“ Land für seine eigenen nationalen Interessen einzusetzen und sich nicht länger in erste Linie als Hüter des europäischen Fortschrittes verhält.

Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft seit dem Beginn der Integration, hat eine Schlüsselrolle in der Lösung der kürzlichen Krise in der Eurozone gespielt- aber, wie alle Angelegenheiten von Griechenland über Libyen bis hin zu den Beziehungen mit Russland und China, ist es „ unglaublich ausweichend, abwesend und unvorhersehbar“ geworden. Europa, so scheint es, kann sich nicht mehr auf seinen Motor verlassen. Es ist einfach Deutschland zu kritisieren, unser liebes, stets verlässliches Deutschland. Jedoch „fühlen sich viele Deutsche eher als Opfer denn als Angreifer“. Eine Nation, die sich wahrscheinlich mehr als alle anderen mit dem Europäischen Ideal identifizierte, fühlt sich jetzt hintergangen. Die Boulevardpresse behauptet, die anderen europäischen Länder würden Deutschland, seine Volkswirtschaft und Größe nur ausnutzen. Als Europa darauf wartete von Deutschland „gerettet“ zu werden, wollte Deutschland vor Europa „gerettet“ werden.

Im Anblick der neusten Entwicklungen, hat der European Council on Foreign Relations (ECFR) ein neues Projekt aufgelegt, das Deutschland in Europa heißt und die neue deutsche Selbstbehauptung analysieren soll. Das Projekt, das von Ulrike Guérot (Leiterin des Berliner Büros des ECFR) geleitet wird, hat zwei Schlüsselschriften veröffentlicht: „Was denkt Deutschland über Europa?“ eine Sammelveröffentlichung von mehreren verschiedenen Deutschlandexperten und „Die neue deutsche Frage: Wie kann Deutschland das Deutschland werden, das Europa braucht“ , geschrieben von Ulrike Guérot und Mark Leonard. Dies alles soll dem Verständnis der deutschen Perspektive auf das Thema dienen und helfen, wie ein ECFR Dokument es kürzlich nannte, einen „Dialog der Tauben“ zu verhindern. Um diesen Dialog zu knacken, müssen wir verschiedene Facetten der deutschen Situation verstehen: seine Wiedervereinigung, die Versuchung, alleine weiter zu gehen, die wirtschaftlichen Faktoren, die gesetzgeberischen Debatten und wie wir damit umgehen müssen.

Innerer Wandel seit der Wiedervereinigung und die Bevölkerung

Das heutige Deutschland ist nicht das von vor 20 Jahren. Einst war die europäische Integration Teil des deutschen raison d ´etat. Aber als die Bonner Republik in die Berliner Republik überging, begann ein stärker selbstbestimmtes und nationalistisches Deutschland. Dieses hatte immer seltener die Fähigkeit zu denken, dass es auch in der Lage sein sollte, „normal“ zu sein, und über seine Interessen sprechen zu können und nicht nur dem Ideal des Europäischen Föderalstaats verpflichtet zu sein.

Während die alte föderale Republik des Rheinländischen Kapitalismus und der sozialen Marktwirtschaft von einem Konsensorientierten politischen System und einer relativ hohen sozialen Gleichheit zusammengehalten wird, altert das heutige Deutschland, fürchtet sich vor Immigration und fällt hinter seinen Nachbarn in Bezug auf Geschlechtergleichheit und Bildung zurück. Sein politisches System hat sich zerteilt- nur die grüne Partei ist noch stolz pro-europäisch, die freien Demokraten sind euro-skeptischer geworden und die zwei Volksparteien können sich nicht mehr auf 40% der Stimmen verlassen und neue euroskeptische Gruppierungen sind in der Linken hervorgegangen. Wirtschaftlich hat sich Deutschland von Europa weg hinzu den BRICs (Brasilien, Russland, China, Indien) entwickelt. Goldman Sachs hat prognostiziert, dass Ende 2011 deutsche Exporte nach China ungefähr denen nach Frankreich entsprechen könnten. Die junge Generation, die ab 1989 geboren wurde, hat ein soziales Bewusstsein, das eher von 9/11 und der Wirtschaft geformt wurde, als vom Kalten Krieg oder dem zweiten Weltkrieg- sie sehen Europa als selbstverständlich an und nicht als etwas, was sie vor einem anderen zerstörenden Krieg rettet. Dies ist eine Zeit der inneren Unruhe für Deutschland.

Im Anblick dieser internen Entwicklungen seit der Wiedervereinigung, können wir Deutschland einen offenen Diskurs über Europa nicht missgönnen, während es damit hadert, seinen Platz in der Welt nach Ende des Kalten Krieges zu finden. Deutschland legte sich einst auf die Europäische Integration als Friedensbringer fest. Europa alleine ist in den Augen der Deutschen kein Garant mehr für Sicherheit, kommt sie aber trotzdem teuer zu stehen. Keine neue Erzählung, die zeigt dass Europa ein Weg ist, die deutschen Interessen durchzusetzen ( hinsichtlich der Energiepolitik, Arbeit oder Migration) wurde von der zunehmend euroskeptischen deutschen Elite angeboten. Eher zeigen sie einen bestimmten Mangel an Ambitionen und Visionen für Europa und die populistischen Ängste machen Platz für den provinziellen Traum eine riesige Schweiz im Zentrum Europas zu sein.

Ein konstruktiver Blick zurück

Trotz dieser bedenklichen Anfangspunkte, könnte die Diskussion Europa dienen. Wie Christian Schmidt (CSU), Staatssekretär im Verteidigungsministerium, sagte: „ ein Blick zurück kann gleichzeitig ein konstruktiver Blick in die Zukunft sein“. Die Debatte kann dazu genutzt werden um das „Bewusstsein für die Erfordernis der europäischen Zusammenarbeit und Integration zu erhöhen“ und gleichzeitig „Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit lenken, ein Europa der Bürger zu bauen anstatt einem Elitenprojekt“.

Dies wird auch im Nachwort des renommierten Philosophen Habermas ausgedrückt- er findet, dass wir trotz der großen Klagen über die Politiker und die Medien, die Europa im falschen Licht darstellen, wir auch bei uns selbst anfangen sollten. Obwohl er anerkennt, dass ein großer Teil der Schuld bei den Politikern liegt, welche die öffentliche Meinung „sklavenhaft“ in einer Art beeinflussen, „die den Sinn des demokratischen Prozesses zunichte macht“. Sowie auch bei den Medien, die wie die Journalistin Cornelia Bolesch sagt, ihren Verlangen nach Einfachheit und Geschwindigkeit nachgeben, obwohl die EU „ ein kompliziertes....Ungetüm“ ist und langsam arbeitet, muss trotzdem die allgemeinen Öffentlichkeit einen Teil der Schuld tragen.

Zwei große Legitimationsprobleme

Er argumentiert, dass es zwei große Legitimationsprobleme in der EU gibt. Erstens wird das Parlament angesehen, als wäre es aus Nationen anstatt aus Parteien zusammengesetzt und zweitens, dass es kein „Aufkommen einer ... gesellschaftlichen Bewegung für die Europäische Integration gibt“, was ein elementares Problem darstellt. Dazu müsste eine europäische Öffentlichkeit geschaffen werden.... vielleicht würde Habermas mit Boleschs Kritik übereinstimmen, dass es einen Mangel an Berichterstattung über alltägliche Ereignisse im Rest von Europa in den deutschen Medien gibt.

Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, denkt an die jungen Europäer und bietet eine Weg, bei diesen stärkeres politisches Interesse an Europa zu wecken – durch Umweltprobleme und wirtschaftlicher Stabilität. Er sagt, die jungen Deutschen, würden „Europa taktisch befürworten“ und häufig als selbstverständlich ansehen, vor allem beim Studentenaustausch über das Erasmus Netzwerk. Sie „fürchten sich auch seltener als ihre Eltern vor Überbürokratisierung und dem Verlust von nationaler und kultureller Identität.“ Wichtiger für Leggewies Theorie ist das über zwei Drittel der Schulabgänger zustimmen, dass „Wachstum weniger wichtig für mich ist als Umweltschutz und Schuldenabbau“- circa 76% der jungen Deutschen die an der Shell Young Study (2010) teilnahmen, sahen den Klimawandel als ein tiefgreifendes Problem. Kurz gesagt, könnten die Jugend leicht eine pro-Europäische gesellschaftliche Bewegung bilden, vor allem durch ihren Einsatz für Umweltthemen und wirtschaftliche Stabilität.

Die Versuchung „to go global alone“

Vor der Wiedervereinigung war die deutsche Außenpolitik auf zwei Prinzipien gestützt – die transatlantische Bindung und die europäische Integration. Es war für die zweite essentiell durch die Unterstützung der kleinen Mitgliedsstaaten und der Kommission. Auch die enge Kooperation mit Frankreich und Deutschlands überproportionale Beteiligung (sowohl durch Finanzen als auch durch politisches Kapital) an Initiativen förderten den Integrationsprozess.

Jedoch ist seit der Wiedervereinigung die Allianz des wirtschaftsstarken und politisch schwachen Deutschlands und des wirtschaftsschwachen und politisch starkem Frankreich durch das Wachstum der politischen Stärke Deutschlands und die stärkere Betonung der wirtschaftlichen Stärke durch die Wirtschaftskrise geschwächt worden. Deutschland scheint es auch seine Unterstützung für die Europäische Kommission und das Parlament leid geworden zu sein und hat seit der Schröder Ära seine Interessen bekundet, zum Beispiel durch den Einsatz für stärkere Repräsentation im Europäischen Parlament.

Aber die anderen Staaten haben begonnnen, zu reagieren. Während es seine Bindungen zu den BRIC Ländern vertieft, vor allem zu Russland, hat sich Polen auf die Seite Deutschlands gestellt, was geholfen hat, „schmerzende Einschnitte“ der Beziehungen zu heilen und die Außenminister der beiden Länder, Radek Sikorskia und Guido Westerwelle, „haben eine gemeinsame Ermahnung vor den Wahlen in Weißrussland im Dezember 2010 geäußert“. Frankreich hat sich kürzlich für einen gemeinsamen Verteidigungspakt mit Großbritannien eingesetzt- offiziell um Geld zu sparen, haben einige es doch als Versuch interpretiert , „Frankreichs politische Basis in Europa zu diversifizieren“. Sogar Frankreichs Entscheidung Mistralschiffe an Russland zu verkaufen, kann als ein Weg angesehen werden, „Deutschlands Einfluss auf die bilateralen Beziehungen mit Russland zu untergraben“, wodurch die Verhandlungen zwischen europäischen Ländern und Russland in den Aufgabenbereich zurückkehren.

Was tun mit Deutschland? - 7 Empfehlungen

Guérot und Leonard haben verschiedene Empfehlungen gegeben, deren Grundlage der Rat ist, dass andere europäische Mächte die Berliner Republik verstehen müssen, anstatt dem Verlust der Bonner Republik hinterher zutrauern. Sie müssen Berlin zeigen, dass „es mehr aus der Weiterentwicklung seiner Europapolitik ziehen kann als von der Versuchung, einen Einzelweg im internationalen Umfeld zu gehen.“ Sie müssen zeigen, dass Deutschlands Interessen darin liegen, eine kollektive europäische Herangehensweise zur regionalen Sicherheit zu entwickeln, eine gemeinsame Beziehung mit den aufstrebenden Mächten einzugehen und „eine neue Regelung der wirtschaftlichen Regierung innerhalb der EU“, inklusive einer pan-europäischen Bankenüberwachung und der Eurobonds, zu erarbeiten. Guérot und Leonard nennen verschiedene Strategien, denen anderen Ländern folgen könnten.

  1. Den Tiger reiten – eine Einbettung der deutschen Macht und sie zum eigenen Vorteil nutzen
  2. Anti-Deutsche Koalitionen – sich gegen die deutsche Macht verbünden
  3. Berlin die Hände binden – Deutschlands Macht mit internationalen Institutionen und Normen bändigen
  4. Erpressung – „Versuchen Zugeständnisse aus Berlin zu erhalten, in dem man mit unerwünschten Konsequenzen droht“
  5. Verschleiß - Einfach nein sagen. Oder ja, aber nichts tun.
  6. Deutschlands Namen schlecht machen – Deutschland als unrechtmäßige Führungsmacht angreifen
  7. Schlechtes Benehmen nachmachen – Sich auf „nationale Interessen“ zurückziehen, was die „EU unregierbar“ machen würde.

Zum zweiten Teil: "Über Wirtschaft, Recht und euroskeptische Deutsche"

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