Als ich mich vor dem Rechner setzte und mit dem Schreiben dieser Kolumne anfangen wollte, starrte ich vorerst ausdruckslos auf den Bildschirm. Was bedeutet für mich Europa? An sich eine einfache Frage. Je länger ich darüber nachdachte, desto schwieriger fiel es mir jedoch, sie zu beantworten. Ich selbst bin ja zweisprachig aufgewachsen und war es schon immer gewohnt, in zwei verschiedenen europäischen Ländern zu wohnen. Egal ob Venedig oder Berlin, ich fühle mich überall zu Hause. Mein Verhältnis zu Europa ist also gewissermaßen von einer Selbstverständlichkeit geprägt, die bestimmt auch viele andere kennen. Doch was steckt dahinter?
Europa ist toll…
Wenn man sich kurz überlegt, was „Europa“ im alltäglichen Leben bedeutet, denkt man oft nur an die positiven Aspekte. Schließlich ist es doch toll, dass wir es zum freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital geschafft haben. Noch kann ich mich vage an die Zeiten erinnern, als dies noch nicht der Fall war. Dass ich es heute aber für merkwürdig halte, wenn ich an einem Grenzübergang meinen Personalausweis oder sogar meinen Reisepass vorzeigen muss, spricht zweifellos dafür, dass sich die Vorteile des Schengener Übereinkommens zu einer Gegebenheit entwickelt haben. Man könnte auch zahlreiche andere Beispiele nennen. Wir haben eine gemeinsame Währung, die, mal ganz abgesehen von der gegenwärtigen Krise, das Reisen und grenzüberschreitende Handeln um Einiges erleichtern. Auch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, in anderen EU-Ländern ein Semester zu verbringen oder sogar ein ganzes Studium zu absolvieren.
… oder?
Doch die europäische Integration hat durchaus auch unangenehme Seiten. Zum Beispiel: bürokratische Hürden. Arbeitet man in einem Unternehmen, das mit Lebensmitteln umgeht, ist eine sogenannte HACCP-Zertifizierung erforderlich. Das HACCP-Konzept gewährleistet die Sicherheit von Lebensmitteln und Verbrauchern und wird seit dem 1. Januar 2006 durch drei EU-Verordnungen geregelt, die in allen EU-Mitgliedsstaaten direkte Anwendungen finden. Wer etwa in Italien seine Zertifizierung erworben hat und zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland zieht, der kann jedoch nicht damit rechnen, dass seine italienischen Papiere anerkannt werden, bloß weil das alles „von der EU“ reglementiert ist. Auch spielt es keine Rolle, dass die italienischen Rechtsvorschriften im Bereich der Lebensmittelhygiene über die Vorschriften der EU-Verordnung hinaus gehen und somit strenger als die deutschen sind. Also nichts wie hin zur Zertifizierungsstelle auf deutschem Boden, obwohl man eigentlich über alle relevanten Nachweise, Kenntnisse und Erfahrungen verfügt.
Ein kontinuierlicher Prozess der Integration
Wohlgemerkt, zu solchem Ärger kommt es hauptsächlich, wenn man ins Ausland zieht. Doch ist es nicht gerade die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, die es uns ermöglicht, (fast) ohne Weiteres vom eigenen Heimatland in eine andere Ecke Europas zu ziehen? Man muss wohl akzeptieren, dass diese Kooperation noch unvollkommen ist und weiterhin große Diskrepanzen bestehen. Die Entwicklung dieses kontinuierlichen Integrationsprozesses, der maßgeblich unser alltägliches Leben bestimmt, finde ich immer noch spannend. Wenn ich an Europa denke, denke ich auch daran.
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