Wer von „mehr EU“ redet, darf nicht weniger dafür geben
Soeben hat der Rat der Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten ein Haushaltspaket vorgelegt, nach dem zum ersten Mal überhaupt weniger Geld veranschlagt wird, als in der vorangegangenen Planungsperiode (2007-2013). Im Vergleich zu den von der EU-Kommission als notwendig erachteten Mitteln sind Einsparungen zum Beispiel bei Breitbandausbau, Mobilitätsprogrammen wie auch Erasmus, Verkehrsinfrastrukturprojekten sowie Arbeitsplatzabbau abzusehen. Schon 2012 und 2013 zeichneten sich im EU-Haushalt Finanzierungslücken für eingegangene Verpflichtungen ab.
Spanien hat bereits Erasmus-Stipendien gekürzt, Sparpolitiken in Europa und den Mitgliedstaaten gehen eben leider Hand in Hand. Es stimmt, dass die Höchstförderung von 800€ für spanische Studierende wesentlich motivierender gewesen ist, als die mageren 200€, die deutsche Erasmus-Studenten im Durchschnitt mit auf den Weg bekommen. Von jungen - und auch älteren - Menschen wird aber auch immer mehr Mobilität, lebenslanges Lernen, vielfältige Einsatzmöglichkeiten usw. verlangt. Eine Logik, gleichzeitig die Unterstützung für den Erwerb von Bildung und Erfahrungen zu kappen, ist da nicht nachvollziehbar.
Was wird ab 2014 aus der EU-Förderung?
Das Europaparlament hat sich Ende 2012 für ein Paket von 18 Mrd. € für das neue Bildungs- und Mobilitätsprogramm „YES Europe 2014-2020“ ausgesprochen, was eigentlich eine Erhöhung darstellen würde. Doch mit den Haushaltszahlen für den Gesamthaushalt der EU von 2014 bis 2020 die der Rat, also die Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten, vorschlagen (908,4 Mrd. € für Zahlungen und 960 Mrd. € für Verpflichtungsermächtigungen), ist die Bereitstellung dieser Mittel kaum möglich.
Das Erasmus-Programm ist nur ein Beispiel für eine ganze Reihe sinnvoller, und nun bedrohter gemeinsamer Politiken, die über Jahrzehnte für und mit der Bevölkerung der EU weiterentwickelt worden sind. Man sollte meinen, gerade in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen, würde die Vernunft zu mehr statt weniger Kooperation raten. Der EU-Parlamentspräsident hat es in seiner Rede bei der Ratstagung am 7. Februar sehr treffend ausgedrückt: „[e]rst wenn die sozialen Folgen der Finanzkrise, die hohe Arbeitslosigkeit, die wachsende Armut und die Staatsverschuldung überwunden sind, erst dann wird die Krise wirklich beendet sein.“
Die meisten Europaparlamentarier sehen das so. Praktisch bedeutet dies, dass ganz besonders für die EU-Kohäsions- und Kulturförderprogramme, für den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, für mehr und bessere Bildung, für Ausbildung und die Schaffung von sicheren und fair bezahlten Arbeitsplätzen ausreichend öffentliche Gelder bereit gestellt werden müssen.
Leider scheinen die 27 Regierungen stattdessen noch immer vor allem ihre je eigenen nationalen Interessen zu vertreten. Sie haben zwar der EU mit dem Lissabon-Vertrag mehr Aufgaben übertragen und viele sprechen von der Notwendigkeit von „mehr Europa“ und sogar von mehr Demokratie. Andererseits sind gerade die großen und wirtschaftlich stärkeren Staaten wie Deutschland, Großbritannien, die Niederlande oder Schweden, nicht bereit, diese Ansprüche hinreichend zu finanzieren und verwehren der EU zudem die Schaffung sinnvoller und dringend notwendiger Einnahmequellen, zum Beispiel aus der geplanten Finanztransaktionssteuer.
Kultur und Bildung sind keine Ware und keine „Einsparreserven“
Doch zurück zu Bildung und Kultur: Beide sind vernünftigerweise Teil öffentlicher Daseinsvorsorge und können nicht sinnvoll nach vor allem marktlogischen Regeln behandelt werden. Es ist schlicht kurzsichtig und schadet auf lange Sicht der Gesellschaft als Ganzes, wenn in den öffentlichen Haushalten - ob auf kommunaler, Länder-, Bundes- oder EU-Ebene - oft als erstes bei Kultur- und Bildung gespart wird.
Zugang zu Kultur, Bildung und Information, ist eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts: Er entscheidet über die Entwicklungs- und Teilhabechancen von Menschen und Gesellschaften. Es geht sowohl um soziale Sicherheit, als auch das Erlernen friedlichen und kooperativen Zusammenlebens und um Demokratie. Ich darf die Präsidentin des Kulturausschusses im Europaparlament zitieren, die frei jedes Verdachts ist, meiner Partei oder Fraktion besonders nahezustehen, hier aber sind wir uns einig: „Wenn nicht in Bildung und junge Menschen investiert wird - dann können wir die Europäische Union vergessen!“
In einem zusammenwachsenden Europa sind Fremdsprachenkenntnisse und das Wissen um die politischen Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten ebenso wichtig wie der direkte Austausch mit Lernenden und Lehrenden in anderen Ländern, auch unabhängig vom individuell verfolgten Bildungsweg. Dazu gehört auch der Dialog über ost- und westeuropäische Biographien, zwischen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Ansätzen sowie eine Erinnerungs- und Toleranzkultur, die sich mit der gemeinsamen und vielfältigen Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa in allen ihren positiven und negativen Aspekten auseinandersetzt.
Das Zusammenwachsen wird auf Dauer nur Bestand haben können, wenn es (wieder) zum Herzensprojekt der Menschen in Ost und West wie Süd und Nord wird - wenn sich eine europäische Öffentlichkeit und Identität als Bereicherung der bestehenden Identitäten entwickeln kann. Deshalb ist Bildungs- und Kulturpolitik eben keine nettes Extra, sondern ganz entscheidend für das Gelingen des Projekts Europa.
Ist nun das Europaparlament das entscheidende Korrektiv?
Ein klares Jein. Ja, weil es längst nicht mehr so ist, dass Kultur und Bildung „Ländersache“ sind. Natürlich werden weiterhin viele konkrete Entscheidungen in diesem Bereichen vor Ort getroffen, das macht auch Sinn. Aber über die Gesetze zu Struktur und Finanzausstattung von Programmen wie Erasmus (bzw. nun „YES Europe“), die EU-Kultur- und Filmförderung (z. B. MEDIA) oder die Regionalförderung entscheidet das EP gleichberechtigt mit dem Rat. Beim alles entscheidenden Haushalt geht ebenfalls am Ende nichts ohne eine Mehrheit im Parlament. Man darf hoffen, dass das sie weiterhin auf angemessene Mittel für die notwendigen Investitionen bestehen wird.
Oft nimmt das EP in seiner Gesetzgebungsarbeit eine „modernere“, europäischere und sogar sozialere Perspektive ein, als die Regierungsvertreter der Nationalstaaten. Das mag mit daran liegen, dass wir Europaparlamentarier selbst einen ziemlich „europäischen“ Lebens- und Arbeitsalltag haben. Gleichwohl sind auch im EU-Parlament die politischen Unterschiede zwischen den Fraktionen vorhanden. Ich zum Beispiel glaube im Gegensatz zu einer Mehrheit im EP nicht, dass mit dem Bologna-Prozess in der Bildungspolitik oder mit einer Kulturpolitik, die immer stärker auf wirtschaftliche Verwertbarkeit von Bildung und Kulturangeboten setzt, die richtigen Wege eingeschlagen wurden.
Nur wer sich einmischt, kann mitbestimmen
Deshalb gilt genau wie bei den nationalen Parlamenten, dass Parlamentarier zwar die Regierungen (oder eben Rat und Kommission) kontrollieren. Aber die Bürgerinnen und Bürger sollten ihren gewählten Parlamentsvertretern regelmäßig auf die Finger schauen - nicht nur kurz vor Wahlen. Das „Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger“ bietet einen guten Anlass Bürgerinnen und Bürger zu ermuntern, Europapolitik genauer zu verfolgen und sich in den politischen Entscheidungsprozess mit einzubringen.
SERIE: "Gebt dem EU Parlament eine Stimme!"
Zwei Wochen bringen wir Gastbeiträge von Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
- Teil 1: Jutta Steinruck MdEP (S&D/SPD): Armut in Europa muss endlich wirksam bekämpft werden
- Teil 2: Michael Gahler MdEP (EVP/CDU): Gut gebrüllt, Löwe - Europäische Aktivitäten und Unterlassungen im Mali-Konflikt
- Teil 3: Dr. Eva Lichtenberger MdEP (GRÜNE): Die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T): Nationale Prestigeprojekte verhindern europäische Verkehrspolitik!
- Teil 4: Prof. Dr. Lothar Bisky (LINKE): Düstere Aussichten für EU-Mobilitätsprogramme
- Teil 5: Alexander Alvaro MdEP (ALDE/FDP): Cybersicherheit: Eine überfällige EU-Strategie
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