Seit 20 Jahren gibt es den Ostseerat. Den was? Ostseerat! Ganz erstaunt war ich bei einem Besuch mit einer schleswig-holsteinischen Reisegruppe im Auswärtigen Amt, dass dem Pressereferenten nichts Konkretes über die Arbeit des Ostseerats bekannt war, obwohl das Auswärtige Amt für die Koordinierung verantwortlich ist, obwohl ein Parteigänger und ein ehemaliger Amtsvorgänger Westerwelles, Hans-Dietrich Genscher, dieses Gremium mitbegründete und obwohl er in diesem Jahr sein 20jähriges Bestehen feiert (5./6.März)!
Dabei vermittelte uns der Referent vorher noch stolz, dass Mitarbeiter des Auswärtigen Amts Generalisten sind und alles (tun) können - von wegen, du Presseheini [1]! Guido, kümmere dich! Nur weil du Westerwelle heißt, muss du dich nicht nur um die westlichen Wellen, sondern gerade auch um die Ostseewellen kümmern! Das ist jetzt so ein Rösler-Kalauer, nicht?
Nichtsdestotrotz aufgepasst Auswärtiges Amt (kurz:AA), MitarbeiterInnen und alle anderen IgnorantInnen: der „Council of the Baltic Sea States“ wurde also am 5./6. März 1992 in Kopenhagen als internationale Organisation der Ostseeanrainerstaaten unter Einbeziehung von Norwegen und Island gegründet.
Warum bloß? Weil die Gründer glaubten, dass diejenigen, die um den gleichen See leben und arbeiten, mehr von einander haben, wenn sie mehr miteinander in wirtschaftlichen, politischen, kulturellen oder auch umweltpolitischen Feldern zusammenarbeiten. Zudem bot natürlich die Wende von 1989 die einmalige Chance, einen gemeinsamen Raum zu schaffen!
Soziologen würden wohl beschreiben, dass der Ostseerat dazu nützlich sein kann, ein Bewusstsein für die Ostseeregion, eine Ostseeidentität mit so einem subregionalem Gremium zu schaffen. Vertiefendes findet sich natürlich auf der Homepage des Ostseerats. Nach meinen Beobachtungen wird die Verflechtung im Ostseeraum in der Tat immer engmaschiger und man hat Gemeinsames: beispielsweise schon über die Hansestädte (Geschichte) mit ihrem auffälligen roten Backstein oder der Verzehr von Heringen in den vielfältigsten Zubereitungen (Kultur).
Der silbrige Hering als identitätsstiftende Figur? Warum nicht. Ich mag ihn am liebsten aus Marzipan. Es geht aber um viel Mee(h)r: Wie gestalten wir die Zukunft in dieser Region? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Umweltstandards um? Wie halten wir die Ostsee sauber, beziehungsweise, wie kriegen wir sie sauber? Wie schaffen wir es, den Menschenhandel im Ostseeraum zu unterbinden? Wie schaffen wir es, faire Arbeitsbedingungen zu organisieren? Wie schaffen wir es, Mobilität rechtlich und praktisch so unkompliziert wie möglich über Ländergrenzen hinweg zu regeln? Wie schaffen wir es, Handel oder Wirtschaft so aufzustellen, dass sie gemeinsam und nicht gegeneinander arbeiten? Wie schaffen wir es, nachhaltig mit der Ressource Ostsee umzugehen?
Wenn der Hering unsere Verbindung, unser Symbol, darstellt, bleibt mir nur zu fordern (auch um dem AA die Wichtigkeit des subregionaltätigen mulitlateralen, intergouvernmentalen Zusammenschlusses namens Ostseerat hervorzuheben):
Heringe, vereinigt Euch!
Damit ist wohl nebenbei der Beweis erbracht, dass solche Bildungsangebote weniger sinnvoll sind als Erlebnisse, wie ich es bereits in meiner letzten Kolumne geschildert hatte.
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