Wir Europäer sind zu sesshaft: Nur 2,5 Prozent der EU-Bürger wohnen in einem anderen Mitgliedsland. Unsere Staaten sind zu ängstlich: Zehn der Mitgliedsstaaten haben immer noch Arbeitsbeschränkungen für Rumänen und Bulgaren in Kraft. Die Folge: Anstatt des gemeinsamen Arbeitsmarktes haben wir 27 verschiedene. Die Krise zeigt jedoch, dass Europa Migration neu denken und fördern muss. Sie ist keine Bedrohung für die einheimische Bevölkerung, sondern bringt Vorteile für alle.
Die Migranten: Anstellung und Qualifikationszuwachs
Der größte Anreiz für auswanderungswillige Menschen: Wenn es auf dem heimischen Arbeitsmarkt düster aussieht, kann die Suche im Ausland zur Anstellung führen. Denn besonders die Jugend ist gut gebildet. In Irland, Spanien und Griechenland haben mehr 25- bis 34-jährige einen Universitätsabschluss als in Deutschland, wo nur ungefähr jeder Vierte graduiert. Doch trotz der guten Qualifikation ist die Jugend besonders hart von Arbeitslosigkeit betroffen: In Spanien und Griechenland ist jeder Zweite unter 25 Jahren arbeitslos, in Italien fast jeder Dritte, in Rumänien jeder Vierte und im gesamteuropäischen Durchschnitt mehr als jeder Fünfte. Auch die Auslandserfahrung an sich bringt Vorteile: Wer einige Zeit im Ausland gearbeitet hat, hat später auch daheim bessere Chancen im Berufsleben.
Zwei Punkte halten viele davon ab, ins Ausland zu gehen. Zum einen sind es fehlende Sprachkenntnisse, wegen der Migranten oft unterhalb ihrer Qualifikation eingestellt werden. Zum anderen sind es die sozialen Bindungen: Vielen fällt es schwer, die eigene Familie und den Freundeskreis zu verlassen.
Das Herkunftsland: Weniger Sozialausgaben und Brain Circulation
Auch die Herkunftsländer profitieren, wenn ihre gut ausgebildeten Arbeitslosen zumindest temporär in ein anderes EU-Mitgliedsland ziehen. Die Erfahrung aus der EU-Erweiterung 2004 und 2007 zeigt, dass die Herkunftsländer ihre Arbeitslosigkeit abbauen und die damit verbundenen Sozialausgaben senken konnten. Dazu kommen die Geldsendungen der Emigranten an ihre zuhause gebliebenen Familienangehörigen: ungefähr acht Milliarden Euro pro Jahr.
Auf der Negativseite stehen kurzfristig steigende Löhne und ein möglicherweise langfristiger Verlust von Fachkräften, der so genannte Brain Drain. Dieser muss in eine Brain Circulation umgewandelt werden: Fachkräfte gehen für einige Zeit ins Ausland, arbeiten dort, lernen hinzu und kommen anschließend wieder zurück.
Das Empfängerland: Schlaue Köpfe und keine Mehrkosten
Wenn die Wirtschaft brummt, wird eingestellt. So könnte es in Deutschland sein. Doch dem Wirtschaftsmotor Europas fehlt der Treibstoff. Bis zu 80.000 Ingenieurstellen konnten im Januar nicht besetzt werden und viele Unternehmen rechnen mit Schwierigkeiten bei der Arbeitnehmersuche 2012. Die Prognose zeigt, dass zukünftig noch mehr junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Denn bis 2030 verliert Deutschland ungefähr acht Millionen Menschen im erwerbstätigen Alter (20-65 Jahre) – eine reale Gefahr für die deutsche Wirtschaft.
Deutschland braucht junge und schlaue Köpfe. Doch anstatt die Chancen der Osterweiterung zu nutzen, richtete die Bundesrepublik Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein. Daraufhin wendeten sich die Osteuropäer von Deutschland ab und zogen ins Vereinigte Königreich und nach Irland. Und selbst im Jahr 2010 wollten kaum mehr Leute nach Deutschland als nach Spanien oder Griechenland – obwohl dort die Wirtschaft am Boden liegt. Nur 1,6 Personen pro 1.000 Einwohner zogen netto nach Deutschland. Das ist ein richtig schlechter Wert.
Dabei können Länder mit einer starken Wirtschaft nur von Zuwanderung profitieren. Immigranten schließen Joblücken und verursachen kaum Kosten. Zwar variiert die Statistik von Land zu Land, doch insgesamt beziehen Zuwanderer aus der EU-25 weniger beitragsfinanzierte und nicht signifikant höhere Sozialleistungen als Inländer. Auch führt die Zuwanderung nicht zu schweren Ungleichgewichten auf dem Arbeitsmarkt: weder was die Einstellung von Inländern, noch das Lohnniveau angeht. Denn Migranten gehen vor allem dorthin, wo sie eine Chance auf Einstellung haben. Ist der Markt gesättigt, nimmt auch der Zuzug ab.
Trotz der insgesamt sehr positiven Bilanz der Einwanderung, sollten zwei Negativpunkte nicht verschwiegen werden: Erstens, da Immigranten deutlich unter ihren Qualifikationen eingestellt werden, konkurrieren sie mit den heimischen Geringqualifizierten. Zweitens sind Zuwanderer aus den neuen Mitgliedsstaaten in Deutschland überdurchschnittlich arbeitslos – in Irland oder dem Vereinigten Königreich ist das allerdings nicht der Fall.
Nur Vorteile für Europa
Für die Europäische Union als Ganzes ist eine erhöhte Mobilität ausschließlich zu begrüßen. Erstens wirkt eine hohe Arbeitsmobilität als Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftsregionen. Insbesondere im Euro-Raum, in dem die Währungen nicht mehr ab- oder aufgewertet können, ist Arbeitsmobilität ein wichtiges Werkzeug, um kurzfristige und strukturelle Unterschiede auszugleichen. Zweitens erhöht die Mobilität von Arbeitern das Bruttoinlandsprodukt. Die durch die Osterweiterung hervorgerufene Migration ließ das BIP zwischen 2004 und 2007 kurzfristig um 0,11 und langfristig um 0,2 Prozent pro Jahr ansteigen. Drittens erhöht sich das Innovationspotential und die Effizienz der Ressourcennutzung. Viertens wird Europa europäischer. Je mehr EU-Bürger in anderen Mitgliedsstaaten leben und arbeiten, desto mehr werden sie sich als Europäer fühlen. Für uns Föderalisten muss dieser ideelle Vorteil von gleicher Bedeutung sein, wie die genannten finanziellen Nutzen.
Die JEF muss sich dafür einsetzen, dass Migration als Gewinn angesehen wird – in ideeller, wie in finanzieller Hinsicht. Europäer, packt die Umzugskartons, quetscht sie ins Auto und zieht dorthin, wo ihr dringend gebraucht werdet. Wir alle werden davon profitieren!
Christopher Sebald sieht Arbeitsmigration kritisch. Er meint, nicht alle profitieren von einer hohen Arbeitsmobilität.
Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa, Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der europäischen Integration als Antwort auf die Krise und ist auf der JEF-Webseite kostenlos erhältlich. Treffpunkt Europa online veröffentlicht drei Artikel aus dem gedruckten Heft.
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