Sarkozys „grand bluff“
Nicht zuletzt, um Frankreichs Machtposition im Mittelmeerraum und der EU zu festigen, forderte Sarkozy 2007 auf einer Wahlveranstaltung eine Mittelmeerunion. Nach dem Willen des späteren französischen Präsidenten sollte diese nur aus Mittelmeeranrainerstaaten bestehen.
Während Italien und Spanien die Initiative begrüßten, stieß sie bei den mittel- und nordeuropäischen EU-Staaten, allen voran Deutschland, auf Skepsis. Diese fürchteten eine Spaltung der EU und kritisierten eine „Verdopplung“ von bereits vorhandenen EU-Institutionen.
Entgegen Sarkozys Bestrebungen entschied man sich auf dem Gipfel von Paris am 13. Juli 2008, statt einer exklusiven Mittelmeeranrainerunion unter französischer Führung, den bisherigen Rahmen der EU-Mittelmeerpolitik EUROMED (Barcelona-Prozess) weiterzuentwickeln und alle EU-Mitgliedstaaten (MS) einzubinden. Dies bedeutete auch die Bevorzugung eines breiteren gegenüber eines intensiveren Integrationsansatzes, da eine tiefgreifende Integration schon aufgrund des ewig schwelenden Nahostkonfliktes ausgeschlossen ist. Der dort gegründeten Union für den Mittelmeerraum (UfM) gehören nun alle EU-MS, die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten sowie Jordanien und Mauretanien an.
Neue Ziele, neue Strukturen, neuer Fokus
Neben den Zielen aus dem Barcelona-Prozess sind die Säuberung des Mittelmeers, bessere Verkehrsnetze, Katastrophenschutz, ein Solarplan für den Mittelmeerraum, Bildungs- und Forschungsprogramme sowie die Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen angepeilt. Die Projektarbeit wurde durch die Neuauflage der gemeinsamen Mittelmeerpolitik deutlich in den Fokus gerückt.
Oberstes Gremium der UfM sind die im Zweijahresrhythmus stattfindenden Treffen der Staats- und Regierungschefs, in denen Richtlinien und Projekte verabschiedet werden. Dieses wählt außerdem die Co-Präsidentschaft, bestehend aus jeweils einem Vertreter der südlichen Partnerländer und einem Vertreter der EU/EU-Mitgliedstaaten. Das duale Repräsentationsprinzip soll dabei Ausdruck gemeinsamer Verantwortung sein. Nach Spannungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten um die Besetzung der Präsidentschaft, hält das Amt seit 2012 die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.
Daneben wurde 2010 ein Sekretariat mit Sitz in Barcelona eingerichtet, das die Projekte koordiniert und betreut.
Jede Menge Altlasten und ein Funke Hoffnung
Als multilaterales Dialogforum gilt heute auch die UfM als gescheitert. Der vormalige französische Außenminister Alain Juppé betonte im Juni 2011 in einer Anfrage der Assemblée Nationale, dass ohne neue Bewegung im israelisch-palästinensischen Friedensprozess für die UfM nichts zu erreichen ist. Ähnlich äußerte sich 2010 auch die Bundesregierung anlässlich einer kurzen Anfrage im Bundestag.
Problematisch ist auch die Unwilligkeit der Mitgliedstaaten, die UfM finanziell auszustatten. So beklagte sich der 2011 zurückgetretene Generalsekretär, S.E. Dr. Ahmad Masa’deh, in einem Interview, dass der Budgetantrag der UfM durch die Geberländer um 60% gekürzt worden sei. Der ehemalige EU-Kommissar Günther Verheugen warf der EU und ihren MS vor, mangelndes Interesse an ihren Nachbarn zu haben.
Schließlich mögen die enormen und anhaltenden sozioökonomischen, legalen und sozialstaatlichen Unterschiede zwischen der EU und ihren Partnern einen negativen Einfluss auf den gemeinsamen Dialog und die Zusammenarbeit gehabt haben.
Andererseits ist nicht alle Hoffnung für eine Zusammenarbeit im Mittelmeerraum geschwunden. So konnten im Projektbereich und in der technischen Zusammenarbeit Fortschritte erzielt werden. Außerdem gelang es der EU, den bilateralen Dialog und die Kooperation im Rahmen der ENP auszuweiten. Schließlich senden kleinere multilaterale Dialogformen im westlichen Mittelmeerraum sowie im Maghreb positive Signale [1].
Projekte und Perspektiven
Die Staaten des Mittelmeerraums unterliegen einem erheblichen gesellschaftlichen Wandel. Zum einen gerieten die südlichen EU-Staaten in wirtschaftliche und soziale Turbulenzen. Gleichzeitig destabilisiert der Bürgerkrieg in Syrien sowie die ungelöste israelisch-palästinensische Frage die Lage im Nahen Osten. Der „Arabische Frühling“ hat seinerseits zu immensen gesellschaftlichen Umwälzungen geführt und verlangt der EU verstärkte Aufmerksamkeit ab.
Der Maghreb gehört zu den am wenigsten integrierten Gebieten der Welt. Da die EU ihren eigenen Angaben zufolge ein Interesse an einem integrierten, demokratischen und stabilen Maghreb hat, begrüßt sie die jüngsten Bestrebungen, eine Union des Arabischen Maghreb (UAM) voranzutreiben.
Im Rahmen der ENP bietet die EU den südlichen Mittelmeerstaaten den Abschluss von bilateralen, vertieften und umfassenden Freihandelszonen mit Binnenmarkt-Perspektive an. Diese sind jedoch an Fortschritte im demokratischen Reformprozess gebunden. Dies steht im Einklang mit dem langfristigen Ziel einer Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den ENP-Partnern und der EU.
Im Projektbereich sind mehrere Erfolge zu vermelden. So soll etwa die Mittelmeerstrategie „Horizont 2020“ 80% der Verschmutzungsquellen bis 2020 beseitigen. Mittel- bis langfristig plant die EU, den südlichen Mittelmeerraum in den EU-Energiebinnenmarkt zu integrieren oder doch zumindest diese Perspektive verlässlich zu bieten. Der Fokus liegt hier vorerst auf den politisch stabileren Maghreb-Staaten.
Am weitesten sind die Maßnahmen in Marokko vorangeschritten. Dort soll um das größte solarthermische Kraftwerk der Welt in Ouarzazate ein 1-Gigawatt-Solarnetzwerk entstehen [2]. An dem Projekt wird bereits gearbeitet – bis 2014/15 wird eine Produktionskapazität von 120 – 160 Megawatt angestrebt. Marokko verfügt außerdem bereits über eine Anbindung an das Europäische Hochspannungsnetz über die Gibraltar-Meerenge [3].
Die Euro-Mediterrane Universität (EMUNI) [4] ist ein Netzwerk von 206 Forschungsinstitutionen aus 42 Ländern der UfM. Es fördert den Austausch und das gemeinsame Lernen von Studierenden aus Ländern der UfM und zielt auf die Schaffung eines gemeinsamen Raums für Wissen und Innovation ab.
Die EU will außerdem Mobilitätspartnerschaften mit Partnerländern schließen, dabei legale Migration fördern, die Visapolitik überarbeiten und illegale Migration stärker bekämpfen [5].
Projekte statt Programmatik
In der Draufsicht bietet sich dem Betrachter ein gemischtes Bild. Ein weitreichender Durchbruch, der alle Mittelmeerländer in einen gemeinsamen „Raum des Friedens“ eingliedert, ist gegenwärtig sehr unwahrscheinlich. Andererseits scheint eine vertiefte Nachbarschaftspolitik mit dem Maghreb durchaus in Griffweite. Es kommt nun darauf an, dass die EU zu ihrem Angebot steht und die Maghreb-Staaten positiv in ein gemeinsames Entwicklungskonzept einbindet. Dies wäre eine Chance, sowohl für die Stabilität des Maghreb, als auch für die EU.
Eines steht aber auch fest: mit dem Projektkonzept wird sich die EU nicht am eigenen Schopf aus dem Krisensumpf ziehen. Dazu müsste sie schon Kanonenkugeln reiten können und davon ist die EU im Moment weit entfernt.
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