Russlands Oligarchen sind nicht der teuerste Skandal

, von  Sven Giegold MdEP

Russlands Oligarchen sind nicht der teuerste Skandal
Sonnige Aussichten für Steuerflüchtlinge in Zypern. Die Bundesregierung gibt ihren Widerstand gegen Hilfskredite wohl nun doch noch auf. Bestimmte Rechte vorbehalten von Photo_Robson.

Auf Zypern horten russische Oligarchen Milliarden an Schwarzgeld. Nachdem sich die deutsche Regierung deshalb lange gegen EU-Hilfspakete für Zypern gesträubt hatte, knickt sie offenbar nun doch ein. Aber das ist nicht der teuerste Skandal, denn eine Debatte um Europas Steuergerechtigkeit scheuen konservative und liberale Politiker bis heute.

In Europa gibt es keine Steuergerechtigkeit

Türkisblaue Swimmingpools, schneeweiße Yachten und ein Hilferuf an die europäischen Steuerzahler. Die Signale aus Zypern sind so schrill, dass sie die Boulevardzeitungen alarmieren. Europäische Regierungen stimmen – zur Regenbogenpresse schielend – in die Empörung ein, wenn „russische Oligarchen“ laut des deutschen Geheimdienstes bis zu 26 Milliarden Euro Schwarzgeld auf Zypern horten. Schließlich sollen europäische Steuerzahler nicht für „russisches Schwarzgeld“ in Zypern haften müssen.

Im Ansatz haben die Kritiker von den Konservativen und Liberalen Recht. Doch sie belassen es bei oberflächlicher Scheinkritik. Es ist so wohlfeil wie folgenlos, den „russischen Oligarchen“ in der Rettungsdebatte zum Schreckgespenst zu erklären. Zugleich wird damit notorisch vom grundsätzlichen Problem abgelenkt: In Europa gibt es keine Steuergerechtigkeit.

Die EU duldet seit vielen Jahren Steueroasen wie Zypern. Deutsche, französische, englische Steuervermeider sind dort ebenso willkommen wie grenzüberschreitend tätige Holdinggesellschaften, die sich im Rest Europas jeder Solidarität entziehen. Die Mittelmeerinsel wirbt nicht nur mit der niedrigsten Körperschaftsteuer der gesamten EU – der Steuersatz liegt bei 10 Prozent, sondern verweigert sich auch Quellensteuern auf Dividenden. Wie einfach es ist, mit einer Briefkastenfirma in Nikosia den Steuerbehörden der europäischen Nachbarn zu entkommen, zeigten jüngst ZDF-Reporter. „Unternehmensberatungen“ bieten im Internet gleich das Komplett-Paket „Firmensitz auf Zypern“. Auch auf den Seiten des „Netzwerks Steuergerechtigkeit“ kann man sich über die wahrhaft skandalösen Verhältnisse in der EU informieren – von Zypern über Malta bis Luxemburg.

Steueroasen greifen das Fundament europäischer Staaten an

Stattdessen wird so getan, als wären die zahlreichen Tricks nicht seit Jahren bekannt, mit denen Unternehmen und Besserverdienende einem funktionierenden europäischen Staatswesen das Fundament entziehen – seine Steuereinnahmen. Es ist abzusehen, dass bei den Verhandlungen zu den Euro-Rettungshilfen nicht über effektive Steuerregeln gesprochen wird. Die deutsche Regierung sichert hingegen ausgerechnet Zyperns Konservativen im Wahlkampf Unterstützung zu, die sich jede ausländische Kritik am zypriotischen Steuersystem verbieten. Doch das „Steuerparadies“ Zypern ist genauso eine europäische Frage wie die Krisenhilfe der EU. Zypern verlangt nach Solidarität der anderen Euro-Länder. Warum wird nicht im Gegenzug die Solidarität Zyperns und deutscher Steuerflüchtlinge gegenüber den europäischen Bürgern eingefordert?

Steuerwettbewerb führt zu Steuerdumping

Die deutsche Krisenpolitik zwingt EU-Länder zu harten sozialen Einschnitten. Doch das hohe Lied auf den europäischen Steuerwettbewerb mit all seinen bizarren Auswüchsen singen die meisten konservativen und liberalen Parteien in Europa unverdrossen weiter. Werden den Nehmerländern Bedingungen für EU-Hilfen diktiert, wird das Thema Steuergerechtigkeit seltsamerweise ausgespart.

Von Portugal wurde die Schließung der Steueroase Madeira nicht verlangt. Griechenland darf weiter seine Reeder steuerlich pflegen. Irland offeriert sich weiter als Unternehmenssteueroase transnationaler Unternehmen. Und im Entwurf eines „Memorandum of Understanding“ Zyperns mit den internationalen Geldgebern werden zwar höhere Grundsteuern und Mehrwertsteuern verlangt, aber zu den Privilegien für Holdinggesellschaften und Briefkastenfirmen findet man nur Leerstellen.

Im europäischen Binnenmarkt niedergelassene Unternehmen können überall grenzüberschreitend in der EU agieren. Gleichzeitig sind die Steuersysteme weiterhin in jedem Land der Europäischen Union unterschiedlich. Das hat dafür gesorgt, dass fast jedes Land in der EU versucht, Unternehmen und Privatpersonen mit immer niedrigeren Steuersätzen zu locken. Innerhalb des gemeinsamen Marktes wurde so eine Abwärtsspirale der Steuersätze in Gang gesetzt.

Ein gerechtes Steuersystem für Europa

Deshalb sind im europäischen Binnenmarkt Mindestanforderungen an die nationalen Steuersysteme notwendig. Wir brauchen einen europäischen Steuerpakt, der mit Steueroasen mitten in der EU Schluss macht und Mindeststeuersätze für Unternehmen durchsetzt. Auch die Europäische Kommission hat erste Vorschläge für Reformen gemacht. Ohne ein nachhaltiges und gerechtes Steuersystem in Europa ist keine Haftung der Gemeinschaft vermittelbar. Wer die Nachbarn um Hilfe bittet, muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen, statt auf ebenso gemeinschaftsschädliche Steuerpolitik andernorts zu verweisen.

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