Sapere aude: Joachim Gauck in Brüssel

Ein Kommentar des ersten EU-Besuchs des Bundespräsidenten

, von  Marian Schreier

Sapere aude: Joachim Gauck in Brüssel
Joachim Gauck in Brüssel © European Union

Sapere aude! „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen“ so fasst Immanuel Kant 1784 den Geist der Aufklärung zusammen. Ein Gedanke, der bis heute fester Bestandteil der DNA Europas ist. Ein Pfeiler der Wertegemeinschaft EU. Für den Bundespräsidenten Joachim Gauck sind es eben diese Werte, welche die Europäische Union ausmachen und seine Wertschätzung für das europäische Projekt begründen.

Es ist deswegen nicht zufällig, dass Joachim Gaucks zweite Auslandsreise ihn zur Europäischen Union nach Brüssel und zum Europäischen Parlament in Straßburg geführt hat. Ein uneingeschränktes Ja zur Europa, wie er es selbst formuliert hat. In erster Linie stehen seine frühen Aufwartungen bei der EU für eine Fortsetzung des traditionell pro-europäischen Kurses der Bundesrepublik Deutschland. Gerade im Angesicht der schwersten Krise seit Bestehen der EU eine Haltung, die nicht oft genug unterstrichen werden kann. Neben dem klaren Bekenntnis mehr Europa wagen zu wollen, offenbaren die Äußerungen Joachim Gaucks in Brüssel auch Einblicke wie er sich ein Mehr an Europa vorstellt und wie dies erreicht werden kann.

Nicht überraschend ist Joachim Gaucks Zugang zum Thema Europa: Die Sehnsucht nach der Freiheit. Seine Biographie – in seinen Worten: der lange Weg aus dem Osten – hat ihn besonders für Europa als Ort der Freiheit sensibilisiert. Gauck pocht zu Recht darauf, dass dieses Faktum in den alten Mitgliedsstaaten nicht immer die gleiche Wertschätzung erfährt wie bei den osteuropäischen Mitgliedern der Union. Für Joachim Gauck war Europa lange Zeit der Ort, den es geben müsste. Nun ist es nicht mehr eine Utopie, sondern gegenwärtig. Darin liegt sein realistischer Blick auf Europa begründet. Er möchte am Haus Europa weiterbauen, Stück für Stück.

Die Entwicklung, die er im Blick hat ist evolutionär. Eine Politik der kleinen Schritte, eine schrittweise Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Union. Mit diesem Ansatz ist er ganz bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Management der Eurokrise er ausdrücklich lobt. Aber er setzt auch andere Akzente. Angst darf nicht die Triebfeder des Handelns sein. Denn sie „macht uns kleine Augen und ein enges Herz“. Wer möchte kann dies als einen Apell an die Staats-und Regierungschefs Europas verstehen, sich nicht von der antizipierten Reaktion der Finanzmärkte treiben zu lassen, sondern selbst das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Ein Plädoyer für politischen Mut und eine klare Absage an einen europaskeptischen Populismus, der mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger spielt.

Die spannendste Aussage Joachim Gaucks fällt nach einer Frage zur Machbarkeit der Vereinten Staaten von Europa. Diese seien eine Zukunftsvision, die er noch nicht zu teilen vermag. Europa ist noch nicht so weit. Denn: ein Mentalitätswandel in den Bevölkerungen braucht Zeit. Der Verstand, so Gauck, begreift schneller was notwendig ist – nämlich ein Mehr an Europa. Die einzelnen Staaten, führt er weiter aus, hätten „nicht mehr das Renommee und die wirtschaftliche und die politische Kraft, in den großen Kraftzentren dieser Erde wahrgenommen zu werden“. Dahinter versteckt sich ein Aufruf an Europas Bürgerinnen und Bürger. Ein „sapere aude“. Ein Aufruf, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und deshalb mehr Europa zu wagen. Der Herzeuropäer Gauck, dessen Europa auf der unbedingten Freiheitsliebe fußt, führt eine rationale Logik an, warum wir mehr Europa brauchen. Wenn er es weiter versteht beide Gruppen – Herz-und Kopfeuropäer- anzusprechen, dann wird er ein wahrhaft europäischer Präsident.

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