Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

, von  Marian Schreier

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Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann
Der Kommissionspräsident sollte 2014 durch Direktwahl bestimmt werden! © European Union.

Januar 2014: Zwei Tage vor der ersten Vorwahl gibt der ehemalige griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou ein Interview vor der malerischen Kulisse des alten Hafens in Valletta, der maltesischen Hauptstadt. Der in Malta, laut Umfragen, favorisierte Papandreou beschuldigt seine schärfste Rivalin Helle Thorning-Schmidt, dänische Premierministerin, den kleinen Inselstaat nicht ernst zu nehmen.

Papandreou, der seine Kampagne für das Präsidentenamt der Europäischen Kommission an den Stufen der Akropolis mit einer beeindruckenden Rede bekanntgegeben hat, machte „Eine demokratischere Union“ zu seinem Thema. Seine Widersacherin Thorning-Schmidt hingegen nahm die gemeinsame europäische Geschichte zum Ausgangspunkt ihrer Kandidatur bei der Auftaktveranstaltung vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Im Moment sieht es so aus, als ob das Rennen zwischen den beiden Kandidaten entschieden würde, da der ehemalige spanische Premier José Luis Zapatero seine Kandidatur nach finanziellen Schwierigkeiten zurückgezogen hat.

Andererseits, so manche Kommentatoren, könnten die Vorwahlen der Sozialdemokratischen Partei Europas noch einmal spannend werden, wenn sich Tony Blair doch noch zu einer Kandidatur durchringt. Spätestens der „Super Sonntag“ Ende April, wenn Deutschland, Polen, Spanien, Portugal, Rumänien und Bulgarien ihre Vorwahlen abhalten, wird ein endgültiges Ergebnis bringen. Egal welcher Kandidat am Ende siegt, er oder sie wird gute Chancen haben, den konservativen Amtsinhaber José Manuel Barroso in den Wahlen im Herbst 2014 zu schlagen.

Vorwahlen sind nicht verbreitet in Europa

Spätestens seit den Vorwahlen der Republikaner in Iowa am 3. Januar ist es Zeit, einen europäischen Blick auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2012 zu werfen. Der Großteil der EU-Mitgliedsstaaten kennt keine Vorwahlen, was unter anderem auf das vorherrschende politische System zurückzuführen ist. Mit Ausnahme Frankreichs sind die meisten europäischen Staaten parlamentarische Demokratien. Das heißt, die Mehrheit des Parlaments wählt den Regierungschef, der häufig zugleich Vorsitzender der Partei mit dem größten Stimmenanteil ist. Zwar bestimmen manche Parteien, zum Beispiel in Italien, ihren Kandidaten durch parteiinterne Vorwahlen, dennoch wird das Gros immer noch auf altmodischen Parteitagen gewählt.

Wenn Vorwahlen scheinbar nicht zu den nationalen Umständen europäischer Demokratien passen, wäre es nicht denkbar sie für die Europäische Union anzuwenden? Warum könnte man nicht, wie zu Beginn skizziert, Vorwahlen nach US-amerikanischen Vorbild für die nächsten Wahlen 2014 abhalten?

Im Moment schlägt der Europäische Rat einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vor, der dann anschließend mit absoluter Mehrheit im Europäischen Parlament gewählt werden muss. Die Auswahl des Kandidaten soll, laut Artikel 17 EU-Vertrag, die Verhältnisse der letzten Wahl zum Europäischen Parlament widerspiegeln.

Nach der heftigen Niederlage bei den Europa-Wahlen 2009 haben die europäischen Sozialdemokraten vorgeschlagen, ihren Kandidaten für den Kommissionspräsidenten 2014 durch eine parteiinterne Vorwahl zu bestimmen. Dies ist ein erster Schritt, aber keine weitreichende Idee um dem oft beklagten Demokratiedefizit zu begegnen, da die Auswahl letztendlich doch wieder bei den Mitgliedsstaaten liegt.

Ein Vorschlag zur Demokratisierung der EU

Die Lösung liegt in der Kombination zweier unabhängig voneinander diskutierter Vorschläge. Erstens, die Direktwahl des Kommissionspräsidenten wie sie jüngst auch die CDU auf ihrem Parteitag gefordert hat. Zweitens, Vorwahlen in den beiden großen Parteien: der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei Europas.

Wie könnten diese beiden Maßnahmen das Demokratiedefizit der Europäischen Union reduzieren? Im vergangenen Jahr 2011 war die EU zwar fast täglich in den Schlagzeilen, aber trotzdem nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen. Weiterhin wird die EU eher als ökonomischer oder verwaltungstechnischer Akteur wahrgenommen. Einer der Hauptgründe ist sicher das Fehlen eines tatsächlichen europäischen Diskurses sowie fehlender sichtbarer politischer Wettbewerb. Mit den zwei ineinander verzahnten Vorschlägen würden sich mindestens drei Dinge ändern.

Zündfunke für einen europäischen Diskurs

An erster Stelle würde der ungefähr ein Jahr lang andauernde Prozess, von den ersten Vorwahlen im Januar bis zur Wahl im Herbst, die Bedeutung europäischer Wahlen erhöhen. Als Folge dessen würden die Parteien europäischen Themen größere Aufmerksamkeit zu Teil werden lassen und mehr politisches und ökonomisches Kapital in den Wahlkampf investieren. Dies würde den Fokus europäischer Wahlen von nationalen Themen, wie in den letzten Wahlzyklen beobachtet, hin zu wirklich europäischen Fragen verschieben.

Zweitens, der intensivierte politische Wettbewerb und die dadurch erhöhte Sichtbarkeit würden mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer höheren Wahlbeteiligung als den 43 Prozent bei den Wahlen 2009 führen.

Drittens und letztens, könnte die Verbindung einer Direktwahl des Kommissionspräsidenten mit Vorwahlen in den beiden großen Parteien der dringend benötigte Zündfunke für einen europäischen Diskurs sein. Oder, wie Jürgen Habermas es in seinem jüngsten Buch „Zur Verfassung Europas“ formuliert hat, „das bisher hinter verschlossenen Türen betriebene europäische Projekt endlich auf den hemdsärmeligen Modus eines lärmend argumentierenden Meinungskampfes in der breiten Öffentlichkeit umpolen.“

Ihr Kommentar
  • Am 14. Januar 2012 um 11:51, von  Aymeric L Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    Sehr guter Artikel!

    Auch zu diesem Thema (aber noch nicht übersetzt...):
     Et maintenant, des primaires européennes ? http://www.taurillon.org/Et-maintenant-des-primaires-europeennes-Les-enseignements-d-un,04550
     Le PSE organisera des primaires pour les élections de 2014 http://www.taurillon.org/Le-Parti-Socialiste-europeen-organisera-des-primaires-pour-les,04653

    Einige Bemerkungen:

     Die Vorwahlen der italienischen Mitte-Linken (heute Partito Democratico) sind nicht parteiinterne Vorwahlen, sondern offene Vorwahlen seit 2005. Die PS in Frankreich ist nicht die einzige sozialdemokratische Partei, die auf offene Vorwahlen setzt : Die griechische PASOK war die erste (2004), und dann kamen die Italiener.

     Nicht alle andere europäischen Sozialdemokratischen Parteien nehmen Parteitagen in Anspruch: 3 machen offene Vorwahlen, und darüber hinaus 8 (zumindest) organisieren parteiinterne Vorwahlen (UK, Flamen, Wallonen, CY, DK, IE, NL, PT). Die anderen lassen ihre Parteitagen entscheiden. Insbesondere die SPD, deren Wahlprozess vielleicht am wenigsten demokratisch ist, da das SPD-Präsidium eine relativ bedeutende Rolle spielt.

     Also man braucht keine direkten Präsidentschaftswahlen um die Wahl eines Spitzenkandidaten zu demokratisieren. Vorwahlen sind keine Spezifizität von präsidentiellen Regierungssystemen.

    Die SPE-Vorwahlen werden auf jedem Fall 2014 stattfinden, ohne Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Wir werden sehen wie das funktioniert.

    Ob europäische Präsidentschaftswahlen eine gute Idee sind wird sich auch auf diesem Anlass entscheiden.

  • Am 14. Januar 2012 um 13:59, von  Niklas Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    Eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten steht der föderalen Forderung nach einer Parlamentarisierung im Wege. Es ist natürlich bestechend, weil es gut in das jetztige System passt und zu einer schnellen und recht einfachen Demokratisierung beitragen kann. Es würde das EP aber schwächen und da bin ich einfach zusehr in parlamentarischen Systemen sozialisiert, als das gut heißen kann. Ohne eine Direktwahl, gleichwohl aber Vorwahlen abzuhalten, um die Kanditaten bekannter zu machen, wäre natürlich eine Idee! Aber ich wäre ja schon froh, wenn wir überhaupt mal klare Kandidaten und eine echte Wahl hätten...

  • Am 14. Januar 2012 um 15:36, von  Aymeric L Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    Dass eine direkte Präsidentschaftswahl nicht mit dem Föderalismus kompatibel wäre habe ich niemals gehört. Diese Interprätation scheint mir ziemlich übertrieben und unsachlich zu sein. Man sollte nicht diese Debatte zu einer Karikatur machen.

    Die Neigung zum Präsidentialismus besteht in allen heutigen Demokratien: man wählt nicht nur für die Labour party, Platforma obywatelska or die PSOE, sondern auch und vor allem für ihre Spitzenkandidaten. Deutschland ist vielleicht eine Ausnahme von diesem Standpunkt, aber aus historischen Gründen.

    Klare Kandidaten entstehen nicht wie von selbst, sie müssen erst von den Parteien ausgewählt werden. Würden wir die heutigen europäischen Parteien machen lassen, dann hätten wir die Wahl zwischen einem linken Barroso und einem rechten Barroso, zwischen Polikern ohne Projekt, ohne Ambition, ohne Kontakt mit den Wählern, die von ihren Parteien nur dafür ernannt werden würden, um jeden Eingriff in die nationalen Debatten zu verhindern. Genau das ist 2009 passiert. Das läuft aufs gleiche heraus, gar keinen Kandidaten zu haben.

    Vorwahlen, seien sie offene oder parteiinterne Vorwahlen, sind nur da um das zu vermeiden, um zu vermeiden dass die Bürokratien der nationalen Parteien die Spitzenkandidaten neutralisieren.

    Vorwahlen und die Direktwahl sind zwei rein föderale Optionen, die ich befürworte. Europa braucht neue Ideen, sonst wird die Teilnahme an den Europawahlen weiter sinken unter die 40%-Hürde. Das können wir nicht passieren lassen.

  • Am 14. Januar 2012 um 16:21, von  Christoph Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    Das Problem - oder je nach Standpunkt das Gute - am Föderalismus ist, dass dieses Wort einfach fast alles bedeuten kann. Blickt man auf das U.S. amerikanische föderale System, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Wahl des Präsidenten durch die Bürger eine gewisse Ähnlichkeit mit der Direktwahl des Kommissionspräsidenten aufweist. Niemand käme jedoch deshalb gleich auf die Idee den föderalen Charakter der USA in Frage zu stellen. Andererseits finde ich es auch überzogen zu behaupten, dass Vorwahlen und die Direktwahl zwei rein föderale Optionen seien. Genuin föderal ist in meinen Augen lediglich ein Zweikammernsystem, bei dem sowohl das politische Gesamtgebilde, als auch die Gliedstaaten repräsentiert werden.

  • Am 14. Januar 2012 um 16:59, von  Aymeric L Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    Bedeutet Föderalismus ein Zweikammernsystem? Wir haben schon dieses Zweikammernsystem: das EP und den Rat, der genau wie der Bundesrat funktioniert. Und? Ist Europa föderal?

    Einverstanden mit dir, wir sind alle Föderalisten, aber unsere Meinungen weichen viel zu viel voneinander ab, was die Bedeutung von Föderalismus angeht.

    Meines Erachtens fusst Föderalismus auf 4 Prinzipien:
     Rechtsstaat (Kant)
     Subsidiarität (oder Delegationsprinzip),
     Effizienz
     Demokratische Legitimation und Teilnahme, und Bürgernähe.

    http://jef.communicate-europe.co.uk/about-jef/political-platform/

    Ich bin für ein Zweikammernsystem, aber beschränkt sich Föderalismus darauf? Nein.

    Ich sage nicht dass die Direktwahl und Vorwahlen unverzichbare Bedingungen des Föderalismus sind. Ich sage nur, dass sie föderalistische Optionen sind, die ich befürworte, insofern sie zur Bürgernähe und zur demokratischen Legitimation beitragen.

    Aber vielleicht gibt es andere Lösungen, um das europäische Leviathan zu demokratisieren?

  • Am 23. Januar 2012 um 12:45, von  Aymeric L. Als Antwort Was die Europäische Union vom US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen lernen kann

    „Es ist in erster Linie dieses Bild in der Öffentlichkeit, was nicht zuletzt auch wir von der JEF entkräften und widerlegen sollten und müssen.“

    Es stimmt teilweise mit Barroso, weil er überhaupt nichts macht. Was es immer der Fall vorher? Die Franzosen hätten Delors 1995 mit riesiger Mehrheit zum Präsidenten gewählt, Prodi wurde auch in Italien gewählt. Und auch wenn das immer der Fall wäre, müssten wir damit einverstanden sein ?

    „müsste der Präsident ein noch stärkeres Gegenstück zum Rat und den Regierungschefs darstellen“

    Genau das erzielt eine Direktwahl, sei es in Frankreich oder America, wo die Staaten auch vorherrschen. Die europäischen Regierungschefs werden den/die KommissionspräsidentIn erst dann respektieren, wenn er auch eine demokratische Legitimität haben wird. Erst dann wird ein gewählter Präsident mit ihnen Auge in Auge sprechen können, und daran erinnern, warum die Wähler sein Wahlprogramme unterstützt haben.

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