Was ist schon sicher?

Sicherheitspolitik ist alles andere als objektiv und die Wahl haben wir selbst!

, von  Daniel Matteo

Was ist schon sicher?
Was die Gesellschaft als Gefahr betrachtet ist subjektiv Bestimmte Rechte vorbehalten, von kakhun.wart.

Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa, Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der Sicherheitspolitik und ist auf der JEF-Webseite kostenlos erhältlich. Treffpunkt Europa online veröffentlicht drei Artikel aus dem gedruckten Heft. Am Mittwoch folgt eine Analyse zur EU-Mission in Bosnien-Herzegowina und am Freitag ein Aufruf für die Gründung einer EU-Armee.

Jährlich sterben in Europa etwa 40.000 Menschen durch Verkehrsunfälle. Mit gewohnter Regelmäßigkeit verfehlen Kometen unseren Planeten. Sollte einer davon einschlagen, könnte es potentiell das Ende der Menschheit bedeuten. Was haben diese zwei Beispiele gemeinsam? In beiden geht es um das Überleben unzähliger Menschen. Doch wenn wir von Sicherheitsgefahren reden, spielen Straßenverkehr und Kometeneinschläge kaum eine Rolle. Es ist dagegen der internationale Terrorismus, der von den meisten Staaten als die größte Sicherheitsgefahr wahrgenommen wird.

Sicherheit ist, was wir daraus machen

Welche der Gefahren ist nun realer? Wir könnten nüchtern Opferzahlen vergleichen. Dann wären Verkehrsunfälle nämlich die deutlich größere Gefahr. Wenn wir den Zeithorizont erweitern, stellen sich Kometeneinschläge wiederum als die Größte der drei genannten Gefahren dar. Der Vergleich hinkt jedoch, da sich diese Zahlen auf die Vergangenheit beziehen. Sie helfen uns nicht weiter, denn Gefahr bezieht sich auf die Gegenwart und auf die Zukunft. Einen Panzer, der gerade eine Staatsgrenze überquert, müssten wir aber doch als unmittelbare und unmissverständliche, reale Gefahr bezeichnen können, oder? Wenn es sich beispielsweise um einen nordkoreanischen Panzer handelt, der die südliche Grenze überquert, dann müsste die Gefahr für Südkorea sehr real sein.

Wenn es sich allerdings um einen deutschen Panzer handelt, der die Grenze zu Frankreich überquert, ist das eine so unmissverständliche Gefahr für Frankreich? Vor 70 Jahren vielleicht ja, aber nicht heute – es könnte sich um eine gemeinsame Militärübung handeln oder um eine Truppenverlegung zum Hauptquartier des Eurocorps in Straßburg. Selbst in diesem offensichtlichen Fall eines rollenden, bewaffneten Panzers fällt es uns schwer, von einer objektiven Gefahr zu sprechen. Und noch ein Beispiel: Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts nahm der Westen die Sowjetunion nicht mehr als Gefahr war. Der riesige Militärapparat und das Nukleararsenal, von denen man sich die vergangenen Jahrzehnte bedroht fühlte, waren aber trotzdem nicht über Nacht verschwunden. In der Tat ist es also sehr schwierig von objektiven Gefahren zu sprechen.

Auch wenn wir das könnten, hilft es uns nicht weiter. Wir könnten zwar feststellen, ob ein Akteur eine Gefahr richtig oder falsch einschätzt. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese richtige oder falsche Einschätzung sehr reale Konsequenzen hat. Sobald ein Staat etwas zur Sicherheitsgefahr gemacht hat, räumt er sich das Recht ein, außergewöhnliche Maßnahmen zu treffen, um die Gefahr abzuwenden. Dies kann bei Einschränkungen der Bürgerrechte anfangen und bis hin zu Präventivschlägen reichen.

Objektive Gefahren auszumachen ist daher weniger wichtig als die Frage, wie etwas zur Sicherheitsgefahr wird. Wenn wir im internationalen Kontext von Sicherheit sprechen, dann stellen wir eine bestimmte Sache als dringend und existentiell dar. Wir präsentieren sie als so wichtig, dass sie nichts für das politische Alltagsgeschäft ist, sondern sich die Spitzen des Staates schnell und entschlossen darum kümmern müssen. Einer Sache das Label Sicherheit aufzudrücken, ist das Gegenteil oder zumindest eine extreme Art von Politik. Über sie soll oder kann nicht offen diskutiert werden. Meinungsverschiedenheiten sind fehl am Platz, denn wenn das Problem nicht sofort gelöst wird, könnte es zu spät sein.

Man könnte mir jetzt vorwerfen, ich hätte den Treffpunkt.Europa ausgenutzt, um Verkehrsunfälle und Kometeneinschläge zur Sicherheitsgefahr zu machen, zu etwas also, dessen sich die Politik unverzüglich und entschlossen annehmen muss. Ob der Versuch erfolgreich war, ist wohl eher fraglich. Denn es reicht nicht, dass jemand etwas als Sicherheitsgefahr darstellt. Diese Interpretation muss von der Bevölkerung akzeptiert und geteilt werden. Ein Regierungschef oder Minister hat dabei natürlich größere Aussichten auf Erfolg als ein JEF-Mitglied. Sicherheit ist also nicht bloß subjektiv, sie ist intersubjektiv: Erst wenn ich eine bestimmte Gruppe überzeugt habe und sie das genau so sieht, existiert eine Sicherheitsgefahr.

Wessen Sicherheit und wollen wir sie überhaupt?

Wer soll überleben? Sprechen wir tatsächlich über die Sicherheit von Menschen oder der Menschheit insgesamt? In einer Welt von Staaten ist das eine legitime Frage, denn tatsächlich ist meistens staatliche oder nationale Sicherheit gemeint. Menschliche und staatliche Sicherheit müssen sich nicht ausschließen. Und im Alltag der meisten Europäer spielt der Unterschied praktisch keine Rolle mehr. In anderen Teilen der Welt dagegen sieht das anders aus. Als 2008 der Zyklon Nargis über Myanmar zog, blockierte die Regierung des Landes internationale Hilfsmaßnahmen. Die Menschen benötigten die Hilfe dringend, das Militärregime jedoch befürchtete einen Regierungssturz durch den Westen. Westliche Kriegsschiffe vor seiner Küste nahm es als Gefahr und nicht als Hilfe wahr.

Wie viel ist uns also Sicherheit wert? Ohne ein bestimmtes Maß an Sicherheit, könnte unsere Gesellschaft nicht so funktionieren wie sie es tut. Doch Sicherheit ist ein Wert neben vielen anderen. Häufig müssen wir entscheiden, ob wir Freiheit abgeben möchten, um ein Mehr an Sicherheit zu gewinnen. Auch wenn es so etwas wie absolute Sicherheit gäbe und wir sie problemlos haben könnten: Wollen wir sie überhaupt? Wenn wir Sicherheit im weiteren Sinne verstehen, nicht nur als bloßes Überleben, dann gehört Unsicherheit zum Leben dazu. Und macht es sogar lebenswerter: schnelle Autos, Bungeejumping, neue Beziehungen, neuer Job. Unsere freie Marktwirtschaft ist im Prinzip auf Unsicherheit aufgebaut. Wenn Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sind, gehen sie vom Markt und Arbeitsplätze sind in dem System nicht garantiert.

Fazit: Wir haben die Wahl

Sollte die Politik Verkehrsunfälle und Kometeneinschläge nun auf die Sicherheitsagenda setzen? Darüber kann man sich streiten. Klar sein sollte: Es ist nicht illegitim, etwas als Sicherheitsgefahr darzustellen. Aber da Sicherheit intersubjektiv ist, steht auch fest: Wir haben die Wahl, worauf wir das Sicherheits-Label kleben. Und als Bevölkerung haben wir die Wahl, was wir als Sicherheitsgefahr akzeptieren.

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