Anfang Dezember 2010 haben die europäischen Sozialminister die Forderungen des Europäischen Parlaments zum Mutterschaftsurlaub abgelehnt. Es ging dabei hauptsächlich um die Verlängerung der Mindestdauer und eine Erhöhung der Vergütung dieser Auszeit. Auch wenn diese Abstimmung leider wenig Echo gefunden hat, so lohnt es dich doch genauer hinzusehen. Nicht zuletzt, weil die Forderungen die Lebensqualität vieler europäischer Bürgerinnen betreffen. Das Thema steht exemplarisch für die Funktionsweise der Europäischen Union was die Stellungnahmen der verschiedenen Instanzen angeht. Die Odyssee zeigt auch einmal mehr die Schwierigkeiten ein wirkliches „soziales Europa“ zu schaffen, wie es einige anstreben.
Das Europäische Parlament – Keimzelle progressiver Ideen
Seit zwei Jahren war das Thema Mutterschaftsurlaub bereits im Spektrum der Aufmerksamkeit und seit der Stellungnahme der Europäischen Kommission im Oktober 2008 wurde eine Entschließung angekündigt. Die Stellungnahme schlug auf Empfehlung der International Labour Organisation die Verlängerung der Mindestdauer des Mutterschaftsurlaubs von 14 auf 18 Wochen vor, sowie eine Anhebung der Vergütung. Ein schönes Ziel auch wenn die Mindestdauer der Mutterschaft heute bereits durchschnittlich 18 Wochen beträgt.
Außerdem sollten Frauen besser vor Entlassungen nach dem Mutterschaftsurlaub geschützt werden. Eine lobenswerte Initiative, damit Frauen voll und ganz in der Arbeitswelt bleiben können, was ihnen häufig verwehrt ist. Außerdem hat die Kommission empfohlen ihnen mehr Flexibilität bei der Ausschöpfung der Mutterschaft vor und nach der Geburt zuzusprechen, anstatt willkürlich vier Wochen vor der Geburt und die verbleibende Zeit nach der Geburt festzuschreiben. Das Parlament musste also Stellung beziehen. Es gab viele Debatten, manchmal leidenschaftlich geführt und von symbolischen Aktionen gekrönt, wie zum Beispiel die der dänischen Europaabgeordneten Hanne Dahl, die ihr Baby zu einer Abstimmung mitbrachte. Ebenso die italienische Europaabgeordneten Licia Ronzulli, die am 22. September 2010 mit ihrem einmonatigen Neugeborenen zu einer Plenarsitzung kam, „um an alle Frauen zu erinnern, die Schwangerschaft und Beschäftigung nicht vernünftig unter einen Hut bringen können“.
Nach einigen Abstimmungen hat das Europäische Parlament schließlich im Oktober 2010 eine Stellungnahme für die Verlängerung auf 20 Wochen und eine hundertprozentige Vergütung abgegeben, was über die ursprünglichen Forderungen der Kommission hinausging. Der Rat der europäischen Sozialminister ist diesen Forderungen nicht gefolgt. Was sollen wir davon halten? Haben die Minister die Vorschläge des Parlaments zurückgewiesen, weil sie unrealistisch waren? Wie waren die Vorschläge zustande gekommen?
„Seid fruchtbar und mehret euch…“: die wirtschaftlichen Herausforderungen eines Sozialprojekts
Die portugiesische Europaabgeordnete Edite Estrela, Autorin des Berichts über den Mutterschaftsurlaub hat diese Entscheidung wie viele andere stark kritisiert. Sie bemängelte, dass einige Vertreter der Mitgliedstaaten angedeutet haben, dass für sie ausschließlich die Stellungnahme der Kommission Grundlage der Diskussion war. Diese Haltung sei respektlos gegenüber dem Parlament, weil die Minister sich über deren Abstimmung hinweggesetzt haben. Man hätte erwarten können, dass das Parlament mit den Reformen des Vertrags von Lissabon ein größeres Gewicht einnimmt, doch die alten Gewohnheiten scheinen hartnäckig. Andere Stimmen haben sich gegen diese Entscheidung gestellt, wie die dänische Europaabgeordnete Britta Thomsen, Sprecherin für Frauenrechte der sozialdemokratischen Abgeordneten, die betonte, dass die Entscheidung kurzfristig angelegt sei.
Das Argument der Minister kann man vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise sehen. Die Staaten könnten die Mehrleistungen nicht erbringen, die mit 20 Wochen Mutterschaftsurlaub bei einer vollen Vergütung verbunden wären. Unabhängig vom Wohl der zukünftigen Mütter. Die Stellungnahme des Parlaments hingegen argumentiert langfristig und lässt sich von dem Argument des demographischen Wandels in Europa leiten. Sie möchte, dass Frauen Arbeit und Schwangerschaft miteinander vereinbaren können. In Staaten wie Deutschland ist die Geburtenrate stark zurückgegangen. Und zwar weil Familie und Beruf nur schwer zu vereinbaren sind. Einige Frauen bekommen so einfach keine Kinder mehr. Sollen die zukünftigen Generationen die Last der Renten schultern können, erscheint die Entscheidung der Minister sich so über die Vorschläge des Parlaments hinwegzusetzen falsch. Doch wieso hat sich das Parlament für diese Lösung entschieden anstatt für eine andere? Wäre es nicht einfacher die Infrastruktur für Kinderbetreuung zu verbessern, um den Frauen einen schnelleren Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen, als den Mutterschutz zu verlängern?
Wo sind die Frauen?
Die Stellungnahme des Parlaments wurde unter anderem von der europäischen Lobby der Frauen (EWL) unterstützt. Diese besteht aus nationalen Vertretungen, die selbst wiederum jeweils mehr oder weniger feministischen Vereinen als Mitglieder zählen. Deren Aktivismus für die Stellungnahme mag von der Sicht einer progressiven und feministischen Lobby aus erstaunen. Stehen die Vereinfachung und Verlängerung des Elternurlaubs nicht für eine Entfernung der Frauen vom Arbeitsmarkt? Je länger eine Frau aus dem Betrieb ist, desto schwieriger wird es anschließend einen gleichwertigen Job zu finden oder wiederaufzunehmen. Diskriminierung bei der Einstellung ist ebenfalls eine Gefahr. Denn ein Arbeitgeber wird vermutlich eher zögern jemanden einzustellen, der ggf. länger ausfällt. Auch wenn dieses Argument schockiert, ist es dennoch eine Realität, der wir begegnen müssen.
Die Vorschläge gehen außerdem von dem Ziel aus, mit der Verbesserung des Mutterschaftsurlaubs die Geburtenrate zu erhöhen. Letztere hängt jedoch stark von der Kultur eines jeden Mitgliedstaates ab. Die Studien der deutschen Soziologin Ute Gerhard bestätigen dies. Sie stellte einen Vergleich zwischen deutschen Frauen in Ost und West an und untersucht ihr Verhältnis zur Mutterschaft in Abhängigkeit von der jeweiligen Sozialpolitik. In Ostdeutschland ist die Geburtenrate höher, wobei die Frauen häufiger arbeiten als in Westdeutschland, wo weiterhin ein traditionelles Familienbild vorherrscht. Nehmen wir daneben die Französinnen, die heute in Europa die höchste Beschäftigungsrate haben, so bekommen sie mit durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau auch am meisten Nachwuchs. Es ist daher falsch die Einschränkungen der Beschäftigung unmittelbar und systematisch mit der zurückgehenden Geburtenrate zu verbinden.
Eine Lösung um die Geburtenrate zu erhöhen wäre es doch, die Betreuungsmöglichkeiten dort zu verbessern, wo die Frauen ihre Karriere nur so kurz wie möglich unterbrechen möchten. Würde die Lobby der Frauen Lösungen unterstützen, die nicht vollständig in die Richtung der Emanzipation der Frauen gehen?
Das Argument einiger Gegner der Position des Europäischen Parlaments ist, dass die Vorschläge populistisch und demagogisch seien. Letztendlich sind die Vorschläge in Krisenzeiten kaum mehrheitsfähig, vor allem weil Frauen als erste von Arbeitslosigkeit betroffen sind und die Kultur in unseren Ländern dahin neigt, sie zurück in den Haushalt zu schicken, um auf dem Arbeitsmarkt Platz für Männer zu machen.
Was bleibt?
Selbst wenn der Vorschlag die Situation der Frauen verbessern möchte, sind die Rahmenbedingungen für Frauen in den verschieden Ländern nicht vergleichbar. Die Legitimität der Lobby der Frauen einstimmig für alle Frauen der EU zu sprechen scheint sehr fraglich. Die soziale Harmonisierung in Europa ist schwer zu realisieren und dies gilt ebenso für den Bereich der Mutterschaft.
1. Am 8. September 2011 um 20:25, von ? Als Antwort Wo bleibt die Harmonisierung des Mutterschaftsurlaubs in Europa?
Nach einem Jahr Mutterschaftsurlaub hat der Vater Anspruch auf 8 Wochen Erziehungsurlaub , Mutter und Vater sind getrennt, kind lebt und ist gemeldet beim Vater , vater darf 6 stunden am Tag Arbeiten und das Kind irgendeiner Person überlassen , mutter muß zuschauen wie eine wildfremde Frau auf Ihr Kind aufpaßt, was ist das nur für ein Staat , der so etwas duldet!!!!!!
2. Am 9. September 2011 um 14:50, von Vincent Als Antwort Wo bleibt die Harmonisierung des Mutterschaftsurlaubs in Europa?
Liebe/r „?“,
grundsätzlich würde ich sagen: wenn der Vater ebenfalls Erziehungsberechtigter ist, dann kann er genauso wie die Mutter entscheiden, wer auf das Kind aufpasst.
Er müsste es ja auch tolerieren, wenn sie das Kind zur Obhut jemand anderes anvertraut.
Geschlechtergerechtigkeit funktioniert in beide Richtungen.
Liebe Grüße, Vincent
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