Albanien – diesen Sommer durfte auch ich wieder etwas länger Zeit dort verbringen und sehen, wie sich das Land nach vorne bewegt hat. Und das hat es durchaus: Der Skanderbeg-Platz im Zentrum Tiranas ist zu einem richtig urbanen Hauptplatz umgestaltet worden, Autobahn- und Landstraßenbau wird vorangetrieben, die Strände von Vlora und Saranda füllen sich. Letzteres wird teils aber auch kritisch beäugt, nicht zuletzt wegen steigender Preise. Positiv wiederum – so möchte ich behaupten – wirkt sich der Tourismus auf das Image des Landes aus. Denn wen es in dieses doch relativ unbekannte Fleckchen Europas verschlägt, der merkt, dass sich Albanien perfekt zwischen Montenegro und Griechenland einordnen lässt – kulturell, kulinarisch, landschaftlich.
Die Menschen? Gastfreundlich und stolz. Beispielhaft leben die Konfessionen friedvoll in diesem komplett säkularen Staat zusammen, dessen Geschichte bis weit in die Antike zurückreicht, zu Illyrer*innen und Römer*innen bis hin zu Venezianer*innen und Osman*innen. Gegen letztere einte Nationalheld Skanderbeg – zuvor selbst osmanischer Kommandant – das Volk. Nach seinem Tod allerdings setzte ein großer Teil der Bevölkerung nach Italien über, wo es auch heute noch eine albanische Minderheit gibt. Diese Verbindung blieb über Jahrhunderte bestehen, im frühen 20. Jahrhundert verkam das Land – ehe es dem Kommunismus verfiel – jedoch zum Vasallenstaat des Duce. Heute noch kann man sich auf Italienisch mit einem großen Teil der Menschen unterhalten.
Generell erscheinen die Leute recht sprachgewandt, mit meinen Bekanntschaften kann ich mich nicht nur problemlos auf Englisch, sondern auch in makellosem Deutsch unterhalten. Viele von ihnen lebten bereits im Ausland, so sie der Diktatur oder den Wirren von 1997 entfliehen konnten. Bekannte Vertreterinnen der albanisch-kosovarischen Diaspora sind übrigens Musikgrößen wie Rita Ora, Dua Lipa oder Era Istrefi; und so darf es nicht verwundern, dass Albanien vor allem eines bietet: Nachtleben – sei es elegant in einer italienischen Villa aus den 1930ern, einer Rooftop-Bar hoch über den Dächern der Hauptstadt oder beim Clubbing am Strand. Doch im Ausland haben Albaner*innen vor allem mit Vorurteilen wie Gewaltbereitschaft zu kämpfen. Und auch wenn man hier gerne mal laut wird, so gilt: Sei respektvoll und auch dir wird mit größtem Respekt begegnet.
Hochgehalten wird hier vor allem auch die Familie. Sie kennenzulernen, gilt als höchste Ehre. Diese wurde mir während meines Besuches zuteil: Bis ins Zentrum der geschichtsträchtigen Bergstadt Kruja schaffe ich es mit dem Mietwagen, dann werde ich von einem Freund abgeholt. Blitzschnell navigiert er – vorwärts wie rückwärts – durch die engen Gassen, mein herzhaftes Lachen kann ich nicht unterdrücken, zu sehr fühlt es sich wie eine Achterbahnfahrt an. Dennoch: Sicherer könnte ich mich nicht fühlen; er weiß, was er tut.
Als wir im Elternhaus ankommen, ist bereits reichlich aufgetischt. Der kleinen Tochter meines Freundes wird es im Leben an nichts fehlen, denke ich mir. An seinen Eltern hat das harte Leben aber seine Spuren hinterlassen. Und doch ist da dieser Grundoptimismus in ihren Augen. Wie auch nicht? Unter Diktator Hoxha saß der Vater im Gefängnis, nun blickt er vom Garten seines Hauses in den Berghängen Krujas, um das man ihn in Mitteleuropa beneiden würde, auf das Kap Rodon, das in der Ferne aus dem gleißenden Sonnenlicht hervorblitzt, herab. Wer kann ihnen den Optimismus verübeln?
Es geht voran. Und wohin es gehen soll, das wurde mir mehr als einmal gesagt: Europa. Mit etwas Distanz wird darüber gesprochen. Als vollständigen Teil davon begreift man sich hier wohl noch nicht ganz. Dabei ist die jüngere Geschichte kein Unikum in der Region: Lange Zeit war der Staat von einem Mann kontrolliert. Anfang der 90er-Jahre gingen die Menschen auf die Straße, stürzten die zu Ehren des (bereits 1985 verstorbenen) Diktators errichtete Statue und kämpften für die Demokratie. Allerdings war das Land damals international komplett isoliert, hatte Hoxha doch sowohl mit Stalin als auch mit Tito gebrochen.
Mittlerweile wurde mit der Aufarbeitung begonnen. Zwei der unzähligen Bunker, die Hoxha überall im Land errichten ließ, wurden zu Museen umfunktioniert, die die Grauen des 20. Jahrhunderts aufzeigen. Geöffnet hat sich das Land sowieso: Nicht nur sehe ich ehemalige Busse der Wiener Linien durch die Straßen Tiranas fahren, einen Würstelstand findet man ebenso. Und längst ist Albanien verlässlicher NATO-Partner und kooperiert in vielen anderen Bereichen mit seinen europäischen Nachbarn, doch es besteht Konsens hinsichtlich des weiteren Weges: EU-Mitgliedschaft. Einigkeit scheint aber auch darüber zu herrschen, dass noch einiges getan werden muss. Beklagt wird vor allem Korruption und hier wird gefragt: Wer, wenn nicht Europa, soll uns helfen?
Ein Appell, der nicht verhallen möge. Längst hat das Buhlen um den Westbalkan begonnen. Die Türkei investiert massenhaft in religiöse Einrichtungen, die Flughäfen werden mit chinesischem Geld betrieben (mittlerweile kann man in Tirana übrigens auch wirklich gut Chinesisch essen gehen...). Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden, Investition ist definitiv nötig – Europa darf nur nicht zurückbleiben. Noch ist seine Strahlkraft nicht erloschen und so ist es zu begrüßen, dass die EU die Beitrittsgespräche mit dem kleinen Land Mitte 2019 starten will.
Dies wird ein langer Weg, ein steiniger. Doch einer, der am Ende die Reise wert war. Denn eines ist klar: Albanien – das ist Europa. Albaner*innen – waschechte Europäer*innen. Das dürfen wir nur nicht vergessen.
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