Anna Deparnay-Grunenberg : „Es geht nicht darum, unsere Mobilität zu begrenzen, sondern sie weiterzuentwickeln“

, von  Gesine Weber, Laura Mercier

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Anna Deparnay-Grunenberg : „Es geht nicht darum, unsere Mobilität zu begrenzen, sondern sie weiterzuentwickeln“
Foto: vom Büro Anna Deparnay-Grunenberg zur Verfügung gestellt

Einige Tage vor den Europawahlen haben Le Taurillon und treffpunkteuropa mit Anna Deparnay-Grunenberg gesprochen. Sie kandidiert für die Grünen für das Europaparlament.

Le Taurillon/ TreffpunktEuropa: Was ist die erste konkrete Maßnahme, die Sie im Europäischen Parlament verabschieden wollen?

Anna Deparnay-Grunenberg: “Öffentliches Geld für öffentliche Leistung” - Ich möchte mich dafür einsetzen, dass dieses Prinzip konsequent berücksichtigt wird.Im Bereich der Agrarpolitik kann man das sehr plastisch durchdeklinieren: Es darf nicht sein, dass EU-Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Widerspruch zum Gemeinwohl stehen. Wenn aber geförderte Praktiken den Nitratgehalt im Boden erhöhen, den Artensterben beschleunigen und den Tierschutz mit den Füßen treten, läuft etwas Grundsätzliches falsch. “Anders Wirtschaften” in der Agrikultur - das heißt auch die Würde des Landwirt*innen und Saisonarbeiter*innen, den Respekt des Bodens und den Umweltschutz als neue Erfolgsmessungskriterien zu definieren und demnach finanziell zu unterstützen..

Im Verkehrssektor brauchen wir ebenso dringend eine Reorientierung in Richtung Klimaschutz. Umweltfreundliche Verkehrsarten müssen steuerlich begünstigt werden. Heute ist genau das Gegenteil der Fall. Besseren, stressfreieren und günstigeren Schienenverkehr (auch grenzüberschreitender Verkehr, innereuropäische Nachtzüge sowie Güterverkehr) muss das Ziel sein sowie vernetzte Mobilität im urbanen Bereich. Technologisch muss ebenso Volldampf den Wandel eingeläutet werden, davon hängt auch unserer wirtschaftliche Stärke ab.

Frau Deparnay-Grunenberg, Sie nennen sich selbst ein “europäisches Multi-Kulti Produkt”, das Deutsch-Französische ist Ihnen sehr wichtig. Sind Sie zufrieden mit dem, was Deutschland und Frankreich in den letzten fünf Jahren für Europa getan hat?

Anna Deparnay-Grunenberg: Gemeinsame deutsch-französische Initiativen können Europa voranbringen, davon bin ich überzeugt! Es ist für mich eine große Freude zu sehen, wenn das funktioniert und die EU kann davon profitieren!

Allein im vergangenen Jahr legten Deutschland und Frankreich EU-Reformvorschläge vor, die von anderen Mitgliedstaaten unterstützt werden: Dazu gehört beispielsweise der Vorschlag eines Eurozonenbudgets oder der Besteuerung von Finanztransaktionen. Auch wenn es im deutsch-französischen Tandem - insbesondere unsere Staats- und Regierungschefs - Höhen und Tiefen gibt, so gab es diese auch schon vorher. Geht man über den politischen Bereich hinaus, bedeutet die deutsch-französische Freundschaft sehr viel mehr und ist in der Gesellschaft durch zahlreiche Städtepartnerschaften, Schul- und Hochschulaustauschprogramme (Programme Brigitte Sauzay, Deutsch-Französische Hochschule) fest verankert. Auch hierin sehe ich einen Erfolg der deutsch-französischen Vernetzung, die Europa auf gesellschaftlicher Ebene vertieft. Der neue Vertrag von Aachen bedeutet für mich eine Verfestigung der Zusammenarbeit; durch die deutsch-französische Regierungs- und Parlaments-Versammlungen sehe ich ein großes Potential für eine weitere EU-Integration, da diese Initiativen im Kontext des europäischen Projekts entstehen und für andere EU-Mitgliedsstaaten offen bleiben - und das ist auch wichtig!

Neben Merkel und Macron: Wie arbeiten eigentlich deutsche und französische Abgeordnete im EP zusammen? Und unterscheidet sich das vom Verhältnis mit anderen MEPs?

Anna Deparnay-Grunenberg : Vereint in Vielfalt! - Das ist das Motto der EU und das lässt sich in meinen Augen auch im EU-Parlament gut widerspiegeln. Kultur- und Sprachkompetenzen sind wichtig! Um sich zu verstehen, bedarf es auch im EU-Parlament die Sprache des anderen zu beherrschen, die kulturellen Nuancen zu kennen und damit Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man Französische(r), Polnische(r), oder Deutsche(r) Abgeordnete(r) ist. Für mich gibt es hinsichtlich der Arbeit im EU-Parlament keine Unterschiede der Nationalität - wichtig ist, dass man kommunizieren kann und sich sprachlich und kulturell versteht! Für mich stellt mein deutsch-französischer Hintergrund selbstverständlich den Vorteil dar, dass ich mich mit MEPs aus einer Zahl von Ländern, wie auch Belgien oder Österreichs problemlos verständigen kann und insbesondere Deutschlands und Frankreichs Kulturen und Arbeitsweisen sehr gut kenne!

Sie beschäftigen sich viel mit Nachhaltigkeit. Tut Europa mit dem Verbot von Einmalplastik genug?

Anna Deparnay-Grunenberg : Nein, tut es nicht. Das Verbot von Einmalplastik ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei Weitem nicht ausreichend, um den Klimawandel einzudämmen und unseren Planeten zu bewahren! Heute erscheint es uns unmöglich, ohne Wegwerf-Plastik im Alltag zu leben. Unser Plastikkonsum hat sich seit 2000 verdoppelt und ist auch heute noch exponentiell wachsend! Die Recyclingraten hingegen sind viel zu niedrig Europa (30%), China (25%) und USA (9%). (Plastikmüll Statistik 2017) - und genau hier müssen wir ansetzen. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft, in der wir unsere Ressourcen und Materialien wiederverwerten und wiederverwenden, ist vielversprechend! Die Digitalisierung wird es ermöglichen, dass alles zu einer Ressource für einen anderen Sektor gehandelt werden kann. Dazu hat die EU Kommission bereits 2015 einen Aktionsplan vorgelegt, den wir als Grundlage nehmen können, aber es gibt noch viel zu tun! Durch die Kreislaufwirtschaft können wir ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum fördern und neue Arbeitsplätze schaffen. Es Bedarf weitere Anreize, um die Kreislaufwirtschaft im öffentlichen und privaten “als Standard” zu etablieren. Wir sehen, Nachhaltigkeit ist mehr als ein “Plastikverbot”. Es bedarf ein neues, nachhaltiges Wirtschaftsmodell, dass das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt!

Tausende Jugendliche bei Fridays for Future sagen: Leute, wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken. Wie können Sie das Europas Großkonzernen und den Auto liebenden Bürger*innen beibringen, ohne Stimmen zu verlieren? Gerade in Baden-Württemberg fahren schließlich viele Grünen-Wähler*innen SUV.

Anna Deparnay-Grunenberg : In der Tat brauchen ein grundsätzliches Umdenken und das haben die Jugendlichen, die sich um ihre Zukunft sorgen machen, verstanden! Sie fordern die Politik auf, die Versprechen in die Tat umzusetzen und den Klimawandel JETZT zu stoppen. Wir Grüne unterstützen dies! Die Mobilität ist ein Bereich von vielen, in dem Klimaschutz-Maßnahmen notwendig sind. Und es geht nicht darum, unsere Mobilität einzuschränken, sondern zu verändern. Wir brauchen neue Konzepte für nachhaltige Mobilität - ja eine Mobilitätswende! Die abgasfreien und klimafreundlicheren Alternativen - Elektrocars, Zug mit Ökostrom, Fahrrad/E-Bike, urbane Seilbahnsystem..- und auch neue Modelle der Nutzung - Carsharing, Nachtzuginitative, Rent a bike - existieren und es kommen stetig neue kreative und nachhaltige Ideen hinzu. Denn es geht nicht darum, den Bürgerinnen und Bürgern und auch Auto-Liebhaber*innen Hürden zu bauen, sondern ihnen neue stressfreie und klimafreundliche Transportmöglichkeiten vorzuschlagen und das Verständnis und die Einsicht zu vermitteln, dass eine Mobilitätswende notwendig ist . Was Grünen-Wähler*innen für Autos fahren ist mir nicht bekannt.

Nochmal zurück zu Fridays for Future: Wie wollen Sie junge Leute langfristig in die europäische Klima-und Umweltpolitik einbeziehen?

Anna Deparnay-Grunenberg : Wir brauchen umwelt- und klimapolitisches Handeln auch vor Ort - das habe ich als langjähriges Mitglied des Gemeinderats Stuttgart für die Grünen auch erleben und aktiv mitgestalten können. Insbesondere in diese lokale Umwelt- und Klimapolitik müssen die Bürger*innen einbezogen werden, und damit auch die jüngeren Generationen. Aber auch die europäische Umwelt- und Klimapolitik muss sich die Wünsche und Bedürfnisse der Zivilgesellschaft anhören und mit einbeziehen. Als potentielle Abgeordnete des EU-Parlaments verstehe ich mich als Repräsentantin der Bürger*innen-Interessen, was ich auch sein möchte! Dazu gehört auch, sich die Stimmen des Volkes - insbesondere die, die mit Fridays for Future den Klimaschutz fordern - anzuhören und mit all meinen Mitteln und Möglichkeiten zu vertreten. Ich selbst bin Mitglied der Europa-Union und stehe hinter den Zielen, die diese zivilgesellschaftliche und transeuropäische Organisation vertritt.

Was ist die europäische Staatsbürgerschaft für Sie?

Anna Deparnay-Grunenberg : Die europäische Staatsbürgerschaft erinnert uns, unter anderem auf unserem Reisepass, an unsere Zugehörigkeit zur europäischen Gemeinschaft. Die europäische Staatsbürgerschaft gibt uns Rechte, wie die Reisefreiheit, den Rechtsschutz oder das Recht zu wählen, wie am kommenden Sonntag, den 26. Mai bei den Europa- und Kommunalwahlen. Dieses Recht können wir ausüben, ganz egal in welchem EU-Mitgliedstaat wir uns gerade befinden. Aber die europäische Staatsbürgerschaft ist für mich mehr als nur eine Reihe an Rechten, sie ist Teil meiner europäischen Identität, wie meine Identität als Stuttgarterin, als Deutsch-Französin und als Weltbürgerin. Diese vereint uns Europäer*innen und ich finde es wichtig, sich dessen bewusst zu machen und diese auch zu (er)leben!

Laut einer aktuellen Umfrage des IFOP werden 77% der 18-25-jährigen Französinnen und Franzosen nicht am 26. Mai wählen. Was Nachricht möchten Sie als deutsche Kandidatin ihnen mitgeben, um ihre Meinung zu ändern?

Anna Deparnay-Grunenberg : Europa ist unsere Zukunft - und das sollte insbesondere der jungen Generation bewusst sein. Viele junge Menschen gehen auch in Frankreich mit Fridays For Future auf die Straße, um für den Umweltschutz einzustehen. Dann ist es besonders jetzt auch wichtig, den Politiker*Innen im EU-Parlament, das Mandat zu geben, sich verstärkt für den Umweltschutz einzusetzen! Europa ist ein einmaliges Friedensprojekt und hat uns das Leben in Sicherheit und Wohlstand beschert. Es ermöglicht uns europaweit zu reisen, zu studieren (Erasmus), zu arbeiten und vieles mehr! Wir haben beim Brexit gesehen, was geschieht, wenn die junge Generation sich enthält. Wir brauchen Eure Stimme JETZT für den Frieden, für die Freiheit und für den Planeten!

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