Bevor wir tiefer in die Statistiken einsteigen, braucht es einen kleinen Disclaimer – Deutschland ist gut neunmal so groß wie die Schweiz. Dadurch müssen die Züge nicht nur weitere Strecken zurücklegen, auch das Schienensystem ist komplexer. Während ein Schweizers Schnellzug meist nicht schneller als 220 km/h fährt, braust ein ICE schon mal mit 330 Stundenkilometern von Berlin nach München, was die Schiene auch viel mehr belastet. Dennoch lohnt sich ein Vergleich der beiden Systeme in Bezug auf Pünktlichkeit, Fahrkomfort und den Preis.
Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk
In der Schweiz erreichten in 2024 ganze 98,6 Prozent der Fernzüge ihr Reiseziel pünktlich. In Deutschland traf dies auf lediglich 62,5 Prozent der Fernzüge zu. Dabei legt die Schweiz den Begriff „Pünktlichkeit“ sogar noch strenger aus. Während ein Zug in Deutschland erst ab einer Verspätung von sechs Minuten als unpünktlich gilt, zählt er in der Schweiz bereits ab drei Minuten als zu spät. Alexander Kaas Elias, Sprecher des deutschen Verkehrsverbands VCD, kommentiert: „DB und Flixtrain müssen noch eine Schippe drauflegen (…) „um ein besseres Angebot für Deutschland und Europa bereitzustellen.“ Ein Grund für die Verspätungen in Deutschland ist das marode Schienennetz. Seit 1994 ist der Personen- und Güterverkehr im Land massiv gestiegen. Gleichzeitig gab es in diesem Zeitraum einen Rückgang der Schienen von 20 Prozent. Die Folge – überlastete Strecken, Baustellen, und letztlich Verspätungen. Noch verheerender sieht es bei den Weichen aus. Während es 1994 noch 132.000 Weichen gab, waren es in 2021 gerade noch 65.500. Dadurch kommen auf ein Gleis immer mehr Züge, die zudem oft nicht das Gleis wechseln können, um Hindernisse zu umfahren. Doch die Deutsche Bahn möchte handeln – bis 2027 will sie die Pünktlichkeit der ICE- und EC-Züge auf bis zu 80 Prozent steigern.
Fahrkomfort im Vergleich
Aber kann Deutschland mit seinen schnelleren Zügen wenigstens durch mehr Komfort punkten? Wohl kaum. Zwar gibt es im größten Land Europas die Möglichkeit, gegen Aufpreis eine Sitzplatzreservierung zu buchen. Fällt der Zug allerdings aus, so wie in 6,7 Prozent der Fälle, erlischt auch die Reservierung. In der Schweiz hingegen steht in den meisten Fällen gar keine Sitzplatzreservierung zur Auswahl, einfach, weil ohnehin genug Plätze da sind. Zudem glänzen die Schweizer Züge mit breiteren Türen, die das Ein- und Aussteigen erleichtern. Zwar muss man auf die selbe Strecke oft mehr umsteigen. Dies ist in der Schweiz jedoch kein Problem, da man wesentlich kürzer auf die Anschlussverbindung warten muss. Und das, obwohl die Schweizer Bahnen noch stärker mit Bergen und Wintereinbrüchen zu kämpfen hat. Die Lösung: bereits im Frühling werden die ersten Planungen vorgenommen, um die Bahn rechtzeitig winterfest zu machen. Zudem sind sechs von zehn Schienen beheizt.
Deutscher Underdog gewinnt Rennen um günstigsten Fahrpreis
Preislich kommt die Schweiz europaweit nur auf Rang 11 der günstigsten Zugtarife. Während die Deutsche Bahn auch im Preisvergleich schwächelt und regelmäßig mit Tariferhöhungen Schlagzeilen macht, sorgt ein neuer Player für Aufsehen – das deutsche Unternehmen Flixtrain ist europaweit der günstigste Anbieter, im Schnitt sind die Ticketpreise viermal günstiger als die der Deutschen Bahn.
Das Schweizer Geheimrezept heißt Schulden machen
Die Schweizer lieben ihre Bahn. Mindestens genau so wie ihre Schokolade. Schließlich ist ihre Bahn schon über 120 Jahre alt. Die Politik nimmt dies auf und investiert doppelt so viel in ihr Zugsystem wie die Deutschen. Die Neue Zürcher Zeitung beschreibt das so:„Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft unter Beweis gestellt. Es gehört zur Tradition helvetischer Verkehrspolitik, dass der Bundesrat große Pakete für den Bahnausbau präsentiert, die daraufhin vom Parlament weiter vergrößert werden.“ Im Jahr 2023 gab die Schweiz umgerechnet 477 Euro für die Bahn pro Person aus. In Deutschland waren es nur 115 Euro. Dies hat auch zur Folge, dass es bereits seit den 80ern einen einheitlichen nationalen Fahrplan gibt, nach dem sich alles richten muss. Ein „Deutschlandtakt“, also ein zusammenhängender Fahrplan im ganzen Bundesgebiet, der vieles erleichtern würde, ist hingegen erst seit 2018 in Planung. Während in Deutschland also massiv eingespart wurde, Strecken wegfielen und die Pünktlichkeit immer weiter nach unten schoss, haben Volksentscheide und Parlamentsbeschlüsse in den letzten Jahren regelmäßig für eine ausreichende Finanzierung der Schweizer Bahn gesorgt. Dennoch hat dieses Prinzip eine Schattenseite – denn die SBB schreiben rote Zahlen. Im ersten Halbjahr 2024 verzeichnete die Schweizer Bahn einen Schuldenstand von umgerechnet 12,3 Milliarden Euro. Das Unternehmen schreibt dazu auf seiner Website: „Die finanzielle Lage bleibt angespannt. (…) Die Nettoverschuldung ist (…) nach wie vor hoch“ Damit machen die SBB mehr Schulden, als ihr vom Staat erlaubt wurden. Doch auch die Deutsche Bahn ist mit immerhin 33 Milliarden Euro belastet - in Relation zur Größe der Länder ein kleiner Pluspunkt.
Was kann die Deutsche Bahn von der Schweiz lernen?
Vielleicht wartet ein Licht am Ende des Bahntunnels – denn bis 2027 will die DB ein Gesamtprogramm zur Stärkung und Sanierung ihrer Infrastruktur starten. Bis dies umgesetzt ist, und die Deutsche Bahn ernsthaft mit den Schweizer Bundesbahnen auf Augenhöhe ist, werden allerdings noch Jahrzehnte vergehen. Auch der zusammenhängende “Deutschlandtakt” wird wohl erst im Jahr 2070 umgesetzt sein. Klar ist – wenn die umweltfreundliche Bahn eine echte Alternative zu Auto und Flugzeug werden soll, braucht es mehr Schienen und Weichen, modernere Züge, und ein Verständnis in der Politik dafür, dass die Bahn eine wichtige Stütze in Richtung Zukunft sein muss. Schlussendlich fallen dort, wo saniert wird, auch Baustellen an. Dies muss mitgedacht werden – durch Teil- statt Vollsperrungen und einen vorausschauenden Schienenersatzverkehr. Und dann geht es wohl auch nicht ohne ein Fünkchen der Liebe zur Bahn, die uns das Schweizer Völkchen so voraus hat.
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