Die Stimmzettel sind eingeworfen, erste Hochrechnungen werden am späten Abend erwartet. An ein Ende der seit 2010 andauernden Regierungszeit von Viktor Orbán will niemand glauben. Sind die Wahlen in Ungarn bereits zum bloßen Ritual zur Machtsicherung der Regierungspartei Fidesz verkommen? Wer genauer hinsieht, entdeckt, dass doch einiges auf dem Spiel steht.
Von den „am wenigsten vorhersehbaren Wahlen seit dem politischen Wandel 1989“ sprachen zuletzt die Analysten der Budapester Denkfabrik Political Capital, Róbert László und Bulcsu Hunyadi.
Aufgrund der Aufsplitterung der Opposition und der großen Anzahl kleinerer Listen ist die Zusammensetzung des Parlaments nach den Wahlen schwer vorherzusehen. Zusätzlich zur Fünfprozenthürde gilt in Ungarn eine Zehnprozenthürde für Wahlbündnisse. Besondere Relevanz hat dies für das Bündnis der sozialdemokratischen MSZP mit der Partei „Dialog für Ungarn“, das derzeit in den Umfragen als drittstärkste Kraft nach Regierungskoalition und der rechtsextremen Jobbik gehandelt wird. Daneben spielen kleinere Parteien im linken, liberalen und progressiven Milieu eine Rolle.
Wenn die Oppositionsparteien der Regierung Orbán heute und in Zukunft gefährlich werden wollen, hängt alles von der Koordinierung ab. Einigungen auf gemeinsame lokale Kandidaten sollten die Chancen der Opposition insgesamt erhöhen. Einige Kanidaten wurden dabei selbst noch so kurz vor dem Wahlabend zurückgezogen, dass die Namen von Hand von den Kandidatenlisten im Wahllokal gestrichen werden mussten.
Mehrheit ist nicht gleich Mehrheit
Wenn die ungarischen Wähler heute auf die ersten Hochrechnungen warten, fragen sie sich weniger ob die Regierungskoalition ihre Mehrheit verteidigen konnte, als vielmehr welche Mehrheit sie gewinnt. Verpasst Orbán die Zweidrittelmehrheit, die er 2014 noch erreicht hatte, bekäme der über Staat und Justiz ausgebreitete Machtapparat erste Risse. In der kommenden Legislatur stehen die Neubesetzung für Ämter aus, die eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments voraussetzen, wie beispielsweise der Vorsitzende der Curia, Ungarns Oberstem Gerichtshof, sowie ein Verfassungsrichter und der Ombudsmann.
Wichtig sei auch der psychologische Effekt. Wenn Viktor Orbán lediglich mit einer geringen Mehrheit seine Regierung bilden könnte, würden zukünftig mehr Wähler glauben, dass er besiegbar ist, so der Analyst Róbert László.
Eine Hoffnung der Opposition hat sich zumindest bereits bestätigt. Am Abend zeichnete sich die höchste Wahlbeteiligung seit 1994 ab.
Nur nicht zynisch werden und wählen gehen, könnte das Credo der Ungarn lauten, die noch an die Demokratie in ihrem Land glauben. Eine Einstellung an der sich auch Demokraten in anderen Teilen Europas ein Beispiel nehmen können.
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