Brief an Europa: Großbritanniens Scheidungsanwalt

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Großbritanniens Scheidungsanwalt
David Davis Foto: Jason / Flickr / CC BY NC 2.0-Lizenz

An diesem Montag haben in Brüssel die Brexit-Verhandlungen begonnen. Aus diesem Grund richtet sich der Brief an Europa diese Woche an David Davis, der als Staatssekretär für die Verhandlung der Austrittsmodalitäten auf britischer Seite verantwortlich ist.

Sehr geehrter David Davis,

man könnte sich durchaus einen leichteren Job vorstellen als den Ihren. Als Staatssekretär für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union haben Sie nun die mehr oder weniger ehrenvolle Aufgabe, Großbritannien mit einem annehmbaren Trennungsakt und zumindest einigermaßen würdevoll aus dem Bund mit 27 anderen Staaten herauszulösen. Dass Ihnen dazu noch die Staats-und Regierungschefs einiger Mitgliedstaaten mit der Anforderung im Nacken sitzen, dass die Verhandlungen vertragsgemäß bis März 2019 abgeschlossen sein sollten, dürfte Ihr Stress-Level noch um ein weiteres erhöhen.

Auch Ihre Chefin und britische Premierministerin Theresa May macht es Ihnen nicht gerade leichter, Ihre Aufgabe anzugehen, ganz im Gegenteil. May hat Großbritannien und als seinen Vertreter Sie mit der Ankündigung von Neuwahlen und der Wahlschlappe, die Ihre Partei auf Grund eines schwachen Wahlkampfes zu Recht hat einstecken müssen, auf europäischer Ebene noch mehr ins Abseits katapultiert. Anstatt mit Rückenwind aus den Reihen der eigenen Bürger*innen starten Sie nun in die Verhandlungen um den EU-Austritt als Vertreter desjenigen Landes, das für seinen politischen Kurs in den Medien regelmäßig Spott und Häme erntet. Noch schwieriger macht es Ihnen Theresa May allerdings mit ihren deutlichen Äußerungen: Sie fordert einen harten Brexit, hält kein Abkommen mit der EU immer noch für besser als eines, das nachteilig für Großbritannien sein könnte. Damit wirkt Ihre Position festgefahren, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben.

Kurz: Vor Ihnen liegt eine Herkulesaufgabe, und damit Sie später als heldenhafter Bezwinger dieser Aufgabe in die britischen und europäischen Geschichtsbücher eingehen können, müssen Sie auch Heldenhaftes leisten. Wie soll sie funktionieren, diese Trennung nach über vierzig Jahren schwieriger, oft distanzierter, anstrengender und nervenaufreibender Beziehung? Ist es möglich, auf Augenhöhe respektvoll miteinander zu verhandeln, obwohl Großbritannien dem Traum vom gemeinsamen Wachsen einen so harten Dämpfer verpasst hat? Wie können Kollateralschäden eingegrenzt oder im besten Fall vermieden werden?

Robert Schuman, einer der Gründungsväter der Europäischen Union, nannte in seiner berühmten „Rede im Uhrensaal“ die Schaffung von tatsächlicher Solidarität das zentrale Element für europäische Integration. Auch wenn es sicher nicht im Sinne Schumanns wäre, lässt sich dieser Gedanke auch passend auf europäische Desintegration anwenden, wie sie die Union gerade zum ersten Mal in ihrer Geschichte erlebt. Wie beim Zueinander-Finden geht es auch beim Voneinander-Finden darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide nicht nur leben können, sondern den sie mittragen. Deshalb sollte es Ihnen als Scheidungsanwalt Großbritanniens nicht darum gehen, der EU so viele schmerzhafte Zugeständnisse wie nur möglich abzuringen und sie regelrecht ausbluten zu lassen, während sich Großbritannien im Ruhm seiner vermeintlichen Verhandlungserfolge sonnt und auf einen zerbrochenen Ex-Partner herabsieht. Viel eher muss es Ihr Ziel sein, ein Konzept zu entwickeln, auf dessen Basis Großbritannien und die EU zwar nicht mehr eng umschlungen, aber immer als gleichberechtigte Partner nebeneinander herlaufen können. In den vierzig Jahren enger Beziehung haben sich Großbritannien und die EU derart aufeinander eingestellt, dass komplette Funkstille für beide erheblich Nachteile, vor allem in Hinblick auf die wirtschaftliche Situation, bringen würde.

Viele gute Scheidungsanwälte sind nicht nur Experten für die vertragliche Abwicklung von Trennungen, sondern auch Mediatoren. Das Problem in Ihrem Fall ist, dass es kaum fachliche Expertise für die Abwicklung eines EU-Austritts gibt, da der Fall der erste seiner Art ist; aus diesem Grund ist vor allem geschickte Mediation gefragt. Auch und gerade in einem Prozess der Trennung ist es wichtig, dass sich die Partner wohlwollend betrachten und es trotz Auseinander-Gehen schaffen, beim Austausch von Vorstellungen und Prioritäten aufeinander zuzugehen. Das bedeutet keinesfalls die Aufgabe der eigenen Positionen, sondern viel mehr die aktive Suche nach der Vereinbarkeit der Positionen und permanentes Entgegenkommen. Es ist eine gefährliche Fehlperzeption, die EU und Großbritannien ab dem Tag nach dem Brexit als Gegner anzusehen. Die aktuelle Situation ist auf eine Beziehung zurückzuführen, an der die EU und Großbritannien gleichermaßen interessiert und beteiligt waren, und die es nun gemeinsam zu lösen gilt; Schuldzuweisungen bringen eine Lösung dabei keinen Millimeter voran. Die Aufgabe von Ihnen als Scheidungsanwalt und Mediator sollte es nicht sein, zusammen mit ihrem Kollegen auf Seite der EU, Michel Barnier, das gegenseitige Zerfleischen anzuheizen, sondern konstruktiv auf einen Kompromiss hinzuarbeiten.

Noch stellt der Scheidungsakt die EU und Großbritannien vor einen Scherbenhaufen und große Ratlosigkeit. Aber es gibt Lichtblicke: Einerseits gibt es einen Fahrplan, damit die Verhandlungen nicht vollständig gegen die Wand gefahren werden. Andererseits verkündete Theresa May bereits diese Woche einen wichtigen Kompromiss, da in Großbritannien lebende EU-Bürger nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU nicht zum Verlassen des Landes gezwungen sein sollen. Sie als Scheidungsanwalt Großbritanniens können weitere entscheidende Trennungsmodalitäten verhandeln und Kompromisse erwirken – damit die Trennung wenigstens als harmonische in die britischen und europäischen Geschichtsbücher eingeht.

Hochachtungsvoll,

Gesine Weber

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