Sehr geehrter Herr Lukaschenko,
als Journalist und Wahlbeobachter reiste ich im September 2016 erstmals in das Land, dass Sie seit nun 23 Jahren als Präsident führen. Das Visa und die Akkreditierung als Journalist beim weißrussischen Außenministerium bekam ich schnell und unkompliziert. Zu den Parlamentswahlen in Weißrussland luden Sie eine Vielzahl von Journalisten und Wahlbeobachtern ein. Nachdem bei den vorherigen Wahlen der Verdacht des Wahlbetrugs im Raum stand, wollten Sie der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass auch Sie ein lupenreiner Demokrat sind.
Wer sollte sich also nicht willkommen heißen, wenn Sie öffentlich dazu einluden, die Wahlen zu beobachten.
Keine freien und fairen Wahlen
In Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands, traf ich Gleichgesinnte, die mit mir über die Wahlen berichten wollten. Die weißrussischen Kollegen, die mir schnell ans Herz gewachsen sind, zeigten mir die andere Seite des weißrussischen Regimes. Für Einheimische war es schwieriger an die Akkreditierung zu kommen. Auch lernte ich, dass die Wahlen bei weitem nicht so demokratisch waren, wie Sie vorzugeben versuchten.
Zwar konnten wir Sie und Ihre Verwaltung nicht des Wahlbetrugs überführen, doch die Möglichkeiten zur Manipulation waren zahlreich. Darüber habe ich schon im September 2016 hier im treffpunkteuropa.de berichtet.
Zuletzt gelang Weißrussland wieder in die internationalen Schlagzeilen, weil Sie friedliche Proteste gegen eine sozial ungerechte Steuer nicht nur verboten, sondern auch mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen. Viele Menschen wurden verhaftet, mehrere hundert wurden ohne Verhandlung für bis zu 15 Tage eingesperrt. Dabei machte Ihre Spezialeinheit der Polizei auch vor Alten, Frauen und Minderjährigen nicht halt.
Menschen- und Bürgerrechte sind eingeschränkt
Trotz eines allmählichen Annäherungsprozesses zwischen Ihnen und der EU, bleibt die Menschenrechtsituation Ihres Landes prekär. Die Demonstrations- und Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt, an der Todesstrafe halten Sie weiter fest.
In Ihrer Zeit als Präsident des Landes haben Sie das Land nach Ihren Vorstellungen geformt, 80 Prozent der Unternehmen sind in Staatsbesitz, der Sozialstaat ist ausgebaut, vor zehn Jahren hatte Weißrussland noch zweistellige Wachstumszahlen. Doch für diesen scheinbaren sozialistischen Traum haben Sie einen hohen Preis bezahlt.
Schon zu Beginn Ihrer Präsidentschaft sicherten Sie sich umfangreiche Befugnisse und entmachteten das Parlament. Die Opposition wurde marginalisiert, Widerstand konnte nie zu einem Problem für Sie werden. Ein starker Geheimdienst und eine gewaltbereite Polizei sicherten Ihnen die Möglichkeit, durchzuregieren. Staatlich kontrollierte Medien und Ihr direkter Zugriff aufs Internet erschweren die Verbreitung alternativer Inhalte.
Aus dem sozialistischen Traum ist ein Orwellscher Staat geworden
Der Traum ist mittlerweile geplatzt. Weißrussland steckt seit einigen Jahren in einer Wirtschaftskrise, große Bevölkerungsteile auf dem Land leben in armen Verhältnissen und eine echte Zivilgesellschaft konnte sich nicht entwickeln. Die Menschen begehren auf, gehen auf die Straße und wollen ihre Interessen durchsetzen. Leider haben Sie nie gelernt, anders darauf zu reagieren, als mit Gewalt.
Im Gegenteil, Sie haben stetig den Druck auf die Menschen erhöht, Ihrem Regime zu folgen. Durch 1-Jahres-Verträge in Ihren Staatsunternehmen müssen die Angestellten jederzeit um ihre Arbeit bangen, Studenten wird bei Unfolgsamkeit der Platz im Studentenwohnheim verwehrt und willkürliche Verhaftungen sollen selbst die größten Kritiker verstummen lassen.
Statt eines Landes der Freiheit und Unabhängigkeit ist Ihr Weißrussland zu einem Orwellschen Polizei- und Überwachungsstaat geworden, der sowohl von Russland als Energielieferanten als auch der EU als Absatzmarkt und Investitionsbank abhängig ist. Immer mehr Bürger sind unzufrieden und wollen Veränderungen.
Hoffnung im Privaten
In den Gesprächen mit meinen Freunden in Weißrussland erlebe ich selten Hoffnungen auf bessere Zeiten und konstruktive Veränderungen. Trotzdem ist die junge Generation bereit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und trotz aller Hindernisse seitens Ihres Staates ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Im Internet oder auf Reisen lernen sie, wie selbstverständlich Demokratie und Rechtsstaat sein können, sie gründen ihre eigenen Unternehmen oder werden in NGOs aktiv. Sie lassen sich nicht den Mund verbieten und werden nicht aufhören, sich im Privaten ihre Freiheiten zurückzuerobern.
Wenn Sie, Herr Lukaschenko, jetzt nicht die Richtung ändern und auf die Protestbewegung zugehen, werden Sie in dreifacher Hinsicht verlieren:
Die EU wird sich von Ihnen abwenden, wenn rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte weiter mit Füßen getreten werden. Darunter werden die Wirtschaft und vor allem die Menschen in Weißrussland leiden.
Die Abhängigkeit vom östlichen Nachbarn wird weiter wachsen und auch russische Aggressionen wie in der Ostukraine sind nicht mehr unwahrscheinlich. Die Zeit ist vorbei, in der Sie isoliert vom Rest des Kontinents schalten und walten können, wie es Ihnen gefällt.
Die weißrussische Jugend emanzipiert sich und wird Ihnen und Ihrem Staat nicht mehr folgen. Gehen Sie auf die Interessen und Forderungen der Jugend ein, sonst ist eine Chance auf Zukunft schon heute vertan.
Mit europäischen Grüßen,
Alexander Steinfeldt
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