Im Sommer geht die Sonne über dem Mittelmeer früh auf. Der Strand ist noch fast menschenleer. Nur die städtisch beauftragten Reinigungskräfte haben schon mit der aufwendigen Säuberung begonnen. Sie befreien den feinkörnigen Sand von Tüten, Flaschen, Dosen, Feuerzeugen, Kleidungsstücken und Verpackungsmüll. Aber nicht nur der Strand zeigt sich jeden Tag aufs Neue vermüllt, auch die Wasserqualität des Mittelmeers ist in einem alarmierenden Zustand.
Unterschiedlichste Schadstoffe bedrohen Mensch und Natur
Die Mittelmeerküste ist dicht besiedelt. Zahlreiche Küstenstädte verfügen nicht über Kläranlagen und leiten ihr Abwasser stattdessen direkt ins Mittelmeer. Hinzu kommt die Verschmutzung durch Öltanker, welche illegale Tankspülungen auf dem offenen Meer durchführen. Auch Industrie und Landwirtschaft verunreinigen das Mittelmeer mit Abfällen und Schadstoffen. Diese gelangen über die Flüsse bis ins Meer. Im Jahr 2018 ereignete sich in der Stadt Gabès im Südosten Tunesiens einer der verheerendsten Umweltskandale am Mittelmeer. Deutschlandfunk berichtete, dass dort eine Chemiefabrik radioaktiven und krebserregenden Abfall, welcher bei der Phosphatproduktion entstand, direkt ins Meer leitete.
Die Bedrohung durch Schadstoffe erweist sich für das Mittelmeer als außerordentlich groß, weil es überdurchschnittlich salzig und warm ist. Deshalb enthält es wenig Sauerstoff, welcher eine große Rolle beim Abbau von Schadstoffen spielt. Außerdem verfügt das Mittelmeer über keine nennenswerten Meeresströmungen, sodass der Sauerstoff nicht in tiefere Schichten gelangen kann. Auch durch die schmale Meerenge von Gibraltar zirkulieren nur geringe Mengen des frischen Atlantikwassers. Große Mengen Schadstoffe und Abfälle reichern sich daher über lange Zeiträume im Mittelmeer an. Das größte Problem stellt dabei der Plastikmüll dar.
Im April 2019 wurde an der Küste Italiens ein Pottwal angespült, in dessen Magen laut WWF 22 Kilo Plastikmüll gefunden wurden. Aber auch kleine Meerestiere sind betroffen, weil sich das Plastik im Wasser zu winzigen Partikeln zersetzt. Der Plastikmüll zerkleinert sich zwar über die Jahre, ist aber nicht biologisch abbaubar und kann sich niemals komplett auflösen. Das sogenannte Mikroplastik wird nicht nur von Fischen und Schildkröten aufgenommen, sondern gelangt über diese auch in die menschliche Nahrungskette. Welche Auswirkungen Mikroplastik auf die menschliche Gesundheit hat, kann noch nicht vorhergesagt werden. Sicher ist, dass der Mensch sich durch den Plastikmüll selbst schadet.
Schuld sind nicht die Küstenbewohner*innen
Besonders in den Sommermonaten bevölkern unzählige Tourist*innen die Mittelmeerküste – oft ebenso viele wie Küstenbewohner*innen. Die Abwässer aus den Hotels, die Ölverschmutzung durch Motorboote und die Rückstände von Sonnencreme belasten das Mittelmeer. Das drängendste Problem besteht aber im Plastikmüll, den die Tourist*innen hinterlassen. In den Urlaubshochburgen steigt die Menge an Plastikmüll im Sommer um bis zu 40 Prozent. Laut MDR geben Forscher*innen an, an der korsischen Küste und im Golf von Lyon rund 300 Müllteile pro Quadratkilometer gefunden zu haben. Nachdem der Müll in das Mittelmeer gelangt ist, wird er im Laufe weniger Jahre wieder an die Küsten gespült und trübt dort das paradiesische Urlaubspanorama.
Der Plastikmüll stammt laut FAZ vor allem aus Spanien, der Türkei, Frankreich, Italien und Ägypten. Wer allerdings denkt, dass Deutschland vom Mittelmeer zu weit entfernt liegt, um Teil des Problems zu sein, irrt sich. Jede*r Deutsche produziert etwa 220 Kilogramm Verpackungsmüll pro Jahr. Einen Teil seines Plastikabfalls exportiert Deutschland unter anderem in die Türkei. Im Jahr 2018 handelten es sich dabei laut WWF um über 50.000 Tonnen Kunststoffmüll. Problematisch sind vor allem offene Mülldeponien, von denen aus der Wind den Müll unkontrolliert über die Flüsse ins Meer treibt.
Tiefgreifende Maßnahmen sind nötig
Im Kampf gegen die Verschmutzung könnte Deutschlands Rolle in Zukunft sein, das eigene Abfallmanagement zu überarbeiten und einen nachhaltigeren, lokalen Plastikzyklus zu etablieren, der auf Recycling im eigenen Land basiert. Auch auf EU-Ebene sind erste Maßnahmen beschlossen: Von den rund 100 Milliarden Plastiktüten, die nach Angaben des Europaparlaments aus dem Jahr 2015 in der EU jährlich verbraucht werden, gelangen etwa acht Milliarden in die Weltmeere. Die EU-Staaten haben im Mai 2019 beschlossen, dass Einwegplastik, für das es nachhaltige Alternativen gibt, ab 2021 vom Markt verschwinden soll. Betroffen sind davon unter anderem Strohhalme, Wattestäbchen und Plastikgeschirr. Kunststoffe stecken aber nicht nur in diesen Produkten, sondern auch in Kleidungsstücken aus Polyester, Kosmetikprodukten und Hygieneartikeln. Einen unterschied können demnach nur ein generelles Bewusstsein und Umdenken der EU-Bürger*innen machen: Dazu zählt sowohl Müll als auch Flip Flops, Frisbeescheiben oder ganze Strandmuscheln nach dem Strandbesuch wieder mit nach Hause zu nehmen, als auch kleine Kunststoffteilchen wie Flaschendeckel, Zigarettenkippen und Bonbonpapier aufzusammeln.
Letztendlich kommt es daher auf die politischen Entscheidungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wie auch auf die individuellen Entscheidungen einzelner Bürger*innen an, wenn es um die Rettung des Mittelmeers geht. Neben der Einrichtung von Meeresschutzgebieten kann auch der Bau von Kläranlagen in den Küstenregionen sich positiv auf die Wasserqualität auswirken. Auch die ausgeweitete Überwachung, Kontrolle und Sanktionierung von Öltankern durch die Küstenwache kann zur Rettung des Mittelmeeres beitragen. Wichtig sind aber vor allem ein nachhaltiger Plastikzyklus in allen EU-Mitgliedstaaten und die Reduktion des Plastikkonsums. Vielleicht zeigt sich das Mittelmeer dann eines Tages in seiner natürlichen Pracht, wie es heute schon die Kanäle Venedigs tun.
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