Das Problem sind nicht Nationen, sondern Nationalstaaten

, von  Pascal Letendre-Hanns, übersetzt von Leonie Charlotte Wagner

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Das Problem sind nicht Nationen, sondern Nationalstaaten
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Wenn man für die EU ist, und vor allem, für die Gründung eines föderalen Europas, ist es nicht ungewöhnlich den Vorwurf zu hören, man wolle „die Nation zerstören". Doch die Realität ist, dass die Integrität der Nation mit einem vereinten Europa, das eine Vielzahl von Nationen zusammenbringen würde, völlig vereinbar ist. Es gibt kaum den Wunsch, selbst unter den leidenschaftlichsten Pro-Europäer*innen, ihre Nation zu zerstören. Der eigentliche Einwand liegt am Nationalstaat.

Nationen sind im allgemeinen Sinne politische Gemeinschaften, eine Vereinigung von Menschen. Andersons berühmte Definition der Nation als eine „imaginierte Gemeinschaft“ ist buchstäblich die Idee, dass man nicht wirklich alle Mitglieder dieser Gemeinschaft physisch kennen und treffen und behaupten könnte, dass man eine Affinität zu ihnen hätte. Man muss sich einfach vorstellen, dass es so wäre. Ob man glaubt, dass Nationen an lange, historische Wurzeln gebunden sind, dass es sich um relativ junge Gebilde handelt oder, dass Nationen von politischen Akteur*innen gebildet werden, wie andere Gemeinschaften auch, spielt fast keine Rolle. Der Kernpunkt bleibt, dass es nichts gibt, was der Nation innewohnt und der Idee der europäischen Einheit und Integration feindlich gesinnt ist.

Stattdessen ist es der Nationalstaat, der wirklich die Kraft ist, die den Vormarsch eines friedlichen und wohlhabenden Europas am stärksten verhindert. Nationalstaaten sind keine automatische Voraussetzung für die Existenz von Nationen. Es gibt zahlreiche historische Beispiele für multinationale Staaten. In der Tat sind Nationalstaaten das Ergebnis eines bewusst nationalistischen Programms. Nationalist*innen erklären, dass die Nation von anderen Nationen getrennt gehalten werden muss, damit ihre Reinheit erhalten bleibt und dass die gemeinsame Entscheidungsfindung mit anderen Nationen den Tod der Nation selbst einläuten würde. Sie glauben, dass wir ein globales Divisionssystem durchsetzen müssen, um sicherzustellen, dass die Nationen voneinander getrennt bleiben. Diese Argumente folgen einer Logik, die wir von keiner anderen Gemeinschaft, weder von ethnischen noch von religiösen, akzeptieren würden, die wir aber bedingungslos befolgen, wenn es um Nationalstaaten geht.

Das eigentliche Problem des Nationalstaats ist, dass er unweigerlich als Brutstätte des Nationalismus fungiert. Solange man den Nationalstaat bewahrt, kann es keine Befreiung vom Nationalismus geben, da das eine das direkte Produkt des anderen ist. Das bedeutet, dass die Übel des Nationalismus, sein Hass und seine Gewalt, auch die nationalstaatliche Politik für immer infizieren werden. In Europa, wo wir durch nationalistische Fantasien so sehr gelitten haben, sollte dies eine ernste Warnung sein. Bestenfalls kann man hoffen, sie für eine Weile zu unterdrücken, aber nur in dem Wissen, dass sie jederzeit wieder in den Vordergrund der Politik und Kultur eines Staates rücken könnte. Diese Realität macht sich heute wieder in Europa breit. Die einzige dauerhafte Lösung muss darin bestehen, sich vom Nationalstaatsmodell zu lösen und aus der nationalistischen Box auszubrechen, die unsere Versuche, uns eine politische Organisation vorzustellen, die für das 21. und nicht für das 19. Jahrhundert geeignet ist, verhindert.

Ist das möglich? Neben dem akademischen und moralischen Fehler, Nationen und nicht Nationalstaaten zu beschuldigen, gibt es auch einen taktischen Fehler. Auf etwas abzuzielen, an das viele Menschen sehr gebunden sind, ist zwangsläufig kontraproduktiv, wenn man versucht, ein vereintes Europa voranzubringen. Der Schlüssel liegt darin, die Verbindung zwischen der bloßen Existenz der Nation, der Präsenz einer kohärenten Gemeinschaft und dem Nationalstaat zu lösen. Wir müssen die Menschen daran erinnern, dass sie das eine ohne das andere haben können, dass sie das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer größeren Gemeinschaft genießen können, ohne Grenzen zwischen sich und anderen Gemeinschaften zu setzen. Wir können zusammenleben, ohne gleich zu sein. Oder, um mit dem Motto der Europäischen Union zu sprechen, können wir „in Vielfalt vereint“ sein.

Ihr Kommentar
  • Am 26. Juli 2020 um 12:18, von  Egon Hugo Balder Als Antwort Das Problem sind nicht Nationen, sondern Nationalstaaten

    Wer so eine Scheiße schreibt, den sollte man öffentlich ans Kreuz nageln

  • Am 25. Januar 2021 um 22:17, von  Marco W. Als Antwort Das Problem sind nicht Nationen, sondern Nationalstaaten

    Die EU ist gefährlich für die Menschen die in ihr Leben. Die Corina Krise offenbart die Unfähigkeit der EU eine Strategie gegen Corina zu entwickeln und umzusetzen. Die Regierungen in den jeweiligen Ländern haben den Auftrag und die Verpflichtung alles nötige für das EIGENE Volk zu tun. Sie verstecken sich aber hinter einer unfähigen EU und gefährden so viele Menschenleben in ihren eigenen Ländern. Um diesen für alle gefährlichen Zustand zu beenden muss es ein zurück zum Nationalstaat und nationalstaatlichen Interessen geben, sowie die Abschaffung der EU.

    Dafür werde ich kämpfen.

    MBG... M.W.

  • Am 12. Februar 2021 um 18:04, von  Jakub B Als Antwort Das Problem sind nicht Nationen, sondern Nationalstaaten

    Völig richtig. Ein föderales Europa ist längst überfällig. Leider sind - besonders im Osteuropa - unverschämter Nationalismus und Lobeshymne an die angeblich unersetzlichen Nationalstaaten so laut wie lange nicht mehr. Das Problem wird als Lösung vorgestellt.

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