Der Europäische Meme-Kommissar

Interview mit Stephan Raab

, von  Florian Bauer

Der Europäische Meme-Kommissar
Irn Bru und Bernd das Brot begleiten Stephan Raab auch ins Büro im Europaparlament.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Stephan Raab verwendet.

Stephan Raab arbeitet als Trainee beim Besuchsdienst des Europaparlaments und engagiert sich schon lange für Europa, u.a. bei den Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland e.V. Uns ist er durch seine kreativen Memes aufgefallen: Wir haben ihn deshalb zu einem Interview über die „Memeifizierung Europas“ und seine Arbeit im Europaparlament eingeladen. Ein Gespräch über mächtige Memes, Satire, Irn Bru und die Brüsseler „EU-Bubble“, die manchmal weniger elitär ist als gedacht.

Wenn du über die Europäische Union berichtest, arbeitest du auf Facebook und anderen Plattformen oft mit Memes. Wie bist du darauf gekommen?



Es begann alles durch Planspiele, zum Beispiel die Models European Union (MEU), die ich früher oft mitorganisiert habe. Dort habe ich spontan begonnen, Bilder von den Debatten mit Kommentaren zu posten, die sehr gut angekommen sind. Durch das viele positive Feedback habe ich dann begonnen, regelmäßig Memes zu machen.

Welchen besonderen Wert haben Memes, um Europapolitik zu kommunizieren?

Memes funktionieren so gut, weil sie Ironie und Witz in die oft als langweilig und bürokratisch wahrgenommene EU-Politik bringen. Mit ihnen kann man vor allem unter jungen Menschen große Aufmerksamkeit erreichen, denn sie sind das Mittel, um in den sozialen Medien kurze, prägnante Botschaften zu vermitteln. Außerdem sind sie wunderbar dazu geeignet, mit einem selbstironischen Blick auch die Schwächen der heutigen EU zu thematisieren und zu ihrer gemeinsamen Weiterentwicklung anzuregen.

Du hast in letzter Zeit vor allem zwei Elemente in deine Memes eingebaut, die immer wiederkommen: Ein Brot, das durch Europa reist, und das ominöse Getränk „Irn Bru“. Kannst du erklären, was es damit auf sich hat?

Die Idee mit Bernd das Brot ist ursprünglich aufgekommen, als ich als Reisebegleiter vor dem Problem stand, dass ständig Reisende die Abfahrtszeiten vergessen haben und zu spät zum Bus zurückgekommen sind. Ich habe dann einfach gesagt, dass wir abfahren, wenn das Brot an Bord ist - und auf einmal hat das sehr gut funktioniert. Damit ist dann die Idee entstanden, Bernd das Brot als Maskottchen auf eine Reise durch Europa zu schicken und damit etwas zur Identifikation zu bieten. Inzwischen fragen mich viele Leute aus ganz Europa nach dem Brot. Irn Bru haben wir bei einer Simulation der Europäischen Union in Glasgow für uns entdeckt und es ist sehr schnell zum Meme geworden. Wir warten allerdings immer noch auf einen Sponsoring-Vertrag. Es geht einfach darum, gemeinsame Identifikationsgegenstände zu bieten und durch diese immer wiederkehrenden Elemente eine Art „Storytelling“ zu ermöglichen. Bei Planspielen hilft es gerade den unerfahreneren Teilnehmer*innen, einen solchen gemeinsamen Running Gag zu haben.



Wie bewertest du den Medienwandel, durch den Social Media immer mehr zum Fokus politischer Kommunikation wird? Kann damit die Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen überbrückt werden? Oder sollte man vor allem auf die Gefahr achten, wenn gerade Populist*innen Social Media für sich nutzen?

Eine positive Entwicklung ist die größere Dynamik und die neue Möglichkeit der Interaktion mit den Bürger*innen vor Ort. Andererseits ist diese Dynamik oft so schnell, dass Informationen nicht mehr wirklich verarbeitet und reflektiert werden können. Dadurch ergibt sich dann auch eine größere Gefahr von Populismus und der Verbreitung von Fake News. Dabei haben in der Vergangenheit beim Brexit und der Trump-Wahl übrigens auch Memes eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt, wobei sie teils zur Verbreitung von Falschmeldungen genutzt wurden. Memes sind mächtig.

Was kann die EU gegen Desinformation in Medien unternehmen?

Es wäre wichtig, schneller auf Falschmeldungen zu reagieren und diese entschieden zurückzuweisen. Das ist vor dem Brexit leider nicht genug geschehen: Daher war der Brexit auch ein gewisser Weckruf für eine bessere Kommunikationsstrategie der Europäischen Union. Bisher fehlt es noch an vielen didaktisch gut aufbereiteten Materialien. Zudem braucht es eine „Europäische Zentrale für politische Bildung“, wo über die EU informiert wird. Letztendlich muss es darum gehen, die Medienkompetenz der Menschen im Umgang mit sozialen Medien zu stärken.



Die vielleicht bekanntesten deutschen Europaparlamentarier und Meme-Produzenten sind derzeit Nico Semsrott und Martin Sonneborn. Siehst du sie als Bereicherung für das Europaparlament?

Viele meiner Kolleg*innen hier in Brüssel ärgern sich über die beiden und sehen sie als „bezahlte Hofnarren“ der EU. In meinen Augen sind sie aber durchaus eine Bereicherung, denn Hofnarren hatten ja schon im Mittelalter die Aufgabe, unter dem Schutz der „Narrenfreiheit“ ihre Könige hemmungslos zu kritisieren. Auch die EU braucht diese kritische Auseinandersetzung. Ich denke dabei etwa an die Art und Weise, in der von der Leyen nach der Europawahl zur Kommissionspräsidentin wurde: Hier wird Europa zum Teil seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Ich finde es allerdings schade, wenn Besuchsgruppen kommen, die als Europapolitiker*innen ausschließlich Martin Sonneborn oder Nico Semsrott kennen. Denn die beiden sind zwar humoristisches, kritisches Korrektiv, haben aber keinen Anspruch, selbst die EU mitzugestalten. Sie haben mit ihrem satirischen Ansatz aber eine Lücke in der EU-Medienlandschaft gefüllt, denn bisher fehlt leider noch eine europäische Satire-Sendung wie es z.B. die heute-Show, extra 3 oder „Die Anstalt“ für die deutsche Politik sind. Europa müsste gemeinsam mehr über sich selbst lachen können.

Neben deiner Hobbytätigkeit als „Meme-Kommissar“ bist du derzeit als Trainee im Besuchsdienst des Europaparlaments. Was machst du dort genau?

Als Hauptaufgabe organisiere und betreue ich die Besuche von unterschiedlichsten Gruppen hier im Europaparlament . Das ist zwar eine Herausforderung, weil man sich immer wieder neu anpassen muss und das Vorwissen und die Motivation der Gruppen stets unterschiedlich sind, aber auch unglaublich spannend. Jede Gruppe ist anders. Und es kommen manchmal sehr lustige Begegnungen zustande: Einmal hatten wir einen Lehrer, der seinen Schüler*innen vorher noch eingeschärft hat, gut aufzupassen, aber dann während des Vortrags selbst eingeschlafen ist. Ein andermal hat sich ein Abgeordneter, der eigentlich in einer anderen Sitzung Manfred Weber vertreten sollte, zu uns verirrt und sich dann spontan Zeit für Fragen genommen. Einmal ist während eines Besuches sogar der Strom ausgefallen, sodass ich spontan mit Stift und Papier arbeiten musste. Solche Erlebnisse und die direkten Rückmeldungen der Besucher*innen sind sehr motivierend und ich bin froh, in diesem engen Kontakt zu Bürger*innen zu stehen. Wir als Besuchsdienst sind sozusagen das Schaufenster des Europäischen Parlamentes.

Was hast du während deines Traineeships bisher persönlich Neues über die EU gelernt?

Überrascht hat mich der sehr beherzte, unkomplizierte Umgang über Parteigrenzen hinweg. Die meisten sind sehr offen und zugänglich. Allerdings merke ich auch, dass sich vieles hier in Brüssel in einer Art „EU-Blase“ abspielt. Manchmal fehlt der Kontakt zur normalen Bevölkerung und insbesondere zu den Brüsseler*innen.

Hast du ein paar Tipps für junge Menschen, die sich für Europapolitik und vielleicht sogar ein Praktikum in den EU-Institutionen interessieren?

Ich würde alle dazu ermutigen, es einfach mal zu versuchen. Oft gibt es den falschen Eindruck, in den EU-Institutionen würden nur Menschen von Elite-Unis mit absolut herausragenden Lebensläufen arbeiten. Das habe ich nicht so erlebt: Es herrscht im Gegenteil eine große Vielfalt an Hintergründen unter den Trainees und auch ich habe ganz normal in Bamberg studiert. Wichtig ist es aber, Leidenschaft und Engagement für die europäische Idee zu zeigen. Ich kann nur jedem raten, sich zu trauen und sich auch einmal außerhalb des eigenen Landes für Praktika oder Jobs zu bewerben. Auf meiner Website findet ihr einige hilfreiche Links für die vielfältigen Möglichkeiten, Europa kennenzulernen und sich europapolitisch zu engagieren. Immer wieder sage ich auch meinen Besuchsgruppen: Seid neugierig, seid kritisch, genießt die Möglichkeiten der Europäischen Union und entwickelt sie weiter.

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