Der geschmähte Präsident

Kolumne „Ein Brief an Europa“

, von  Marcel Wollscheid

Der geschmähte Präsident
Ausschnitt aus dem extra3-Beitrag „Erdowie, Erdowo, Erdogan“. Foto: Screenshot aus extra 3 / YouTube, März 2016

Recep Erdoğan hat den deutschen Botschafter in Ankara aufgrund eines Satirevideos des Norddeutschen Rundfunks (NDR) einbestellt. Grund genug, dem türkischen Präsidenten in dieser Woche den „Brief an Europa“ zu widmen.

Sehr geehrter Herr Präsident Erdoğan,

Ihr Umgang mit einem Satirevideo der NDR-Sendung extra 3 hat die Menschen in Deutschland gelinde gesagt verblüfft. Dass sich der Staatspräsident einer bedeutenden Nation an einer Persiflage derart aufhängt und tatsächlich diplomatische Hebel ergreift, um die Verbreitung eines Videos zu stoppen, ist ein relativ unerhörter Vorgang. Mir ist nicht völlig klar, warum Ihnen derart drastische Schritte aufgrund eines Medienbeitrages in Deutschland notwendig erschienen. Vielleicht fühlen Sie sich durch das unangenehme Video in Ihrer Ehre gekränkt. Vielleicht sehen Sie sich und Ihren politischen Kurs falsch dargestellt. Vielleicht sind Sie kein großer Fan der Sängerin Nena.

Lassen Sie mich jedoch feststellen, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland und der Europäischen Union geschützt ist. Kein Regierungschef hat das Recht, Journalisten zu zensieren oder mit Repressalien zu bedrohen. Mit Ihren Bemühungen, die Arbeit der freien Presse sogar im Ausland zu unterbinden, bestätigen Sie gerade die Kritik, die im NDR-Beitrag zum Zustand der Pressefreiheit in der Türkei geäußert wird. Wollen Sie den Spiegel zerschlagen, der Ihnen hier vorgehalten wird?

Noch vor wenigen Tagen forderte der Premierminister Ihres Landes Ahmet Davutoğlu offensiv den EU-Beitritt der Türkei. Ihr Verhalten zeigt, dass die Türkei keineswegs reif für diesen Weg ist und auf lange Zeit nicht sein wird.

Derweil hat die NDR-Redaktion das Satirevideo aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses nach Ihrer Intervention in Türkisch und Englisch übersetzt, sodass weitere Millionen Menschen den Beitrag sehen und bewerten können. Im besten Falle sollte wenigstens dies eine Lektion für Sie darstellen.

Hochachtungsvoll,

Marcel Wollscheid

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In „Ein Brief an Europa“ schreiben unsere Autorinnen und Autoren wöchentlich einer Person oder Institution, die zum Zeitpunkt der Kolumne im europäischen Rampenlicht steht.


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