Deutsch-tschechische Beziehungen im europäischen Kontext oder wie Europa von der Lösung einiger Dilemmata profitieren könnte

, von  Robin R. Mudry

Deutsch-tschechische Beziehungen im europäischen Kontext oder wie Europa von der Lösung einiger Dilemmata profitieren könnte
Die Regierungschefs Deutschlands, Tschechiens und der Slowakei bei der gemeinsamen Diskussion mit Studierenden der drei Länder zum Thema „Mitteleuropas Beitrag zur europäischen Zukunft“. © Bundesregierung/Steins

Deutschland, Tschechien und die Slowakei feierten kürzlich das 25-jährige Jubiläum des Deutsch-Tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages. Ein guter Anlass, um die deutsch-tschechischen Beziehungen im europäischen Kontext in einem Essay zu analysieren.

Am 3. April 2017 fand eine historische trilaterale Zusammenkunft im Berliner Bundeskanzleramt statt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) traf ihren tschechischen und slowakischen Amtskollegen – die Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka (ČSSD, Sozialdemokraten) und Robert Fico (Smer-SD, Sozialdemokraten) – um gemeinsam das 25-jährige Jubiläum des Deutsch-Tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages zu feiern. Dieser wurde am 27. Februar 1992 geschlossen. Da die Unterzeichnung vor der sogenannten „Samtenen Trennung“ der heutigen Tschechischen und Slowakischen Republiken stattfand, wird das Dokument immer noch als Deutsch-Tschechoslowakisches bezeichnet. Die 1993 vollzogene friedliche Trennung der beiden mitteleuropäischen Länder ändert nichts daran, dass der Vertrag bis heute die gesetzliche Grundlage für die deutsch-tschechischen Beziehungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs darstellt. Aus diesem Grund fand auch das Treffen in Berlin in einem dreiteiligen Format mit den Regierungschefs aller drei Länder statt.

Im Folgenden soll zunächst die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen nach der Wende von 1989/90 nachvollzogen werden, wobei auf die wichtigsten Abkommen hingewiesen wird und die Beziehungen in den Kontext der Europäischen Integration gesetzt werden. Zudem wird kurz auf die starken wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den beiden Ländern eingegangen. Im Anschluss daran werden drei Dilemmata entwickelt–wobei zwei generell und ein drittes eher punktuell zu betrachten sind. Diese Dilemmata erscheinen wichtig, um die Schwierigkeiten zu verstehen, die bis heute in den deutsch-tschechischen Beziehungen sowie in der allgemeinen Haltung der Tschechischen Republik zu Europa fortbestehen. Es wird zudem versucht, die Beschreibung dieser Dilemmata mit Einblicken des Berliner Treffens zu unterfüttern, an dem die Regierungschefs, nach einem gemeinsamen Mittagessen und einer Pressekonferenz, eine Stunde lang mit Studierenden der drei Länder diskutiert haben. Es besteht die Hoffnung, dass die vorgebrachten und als Gedankenanstöße gehaltenen Argumente, zum Verständnis der gegenwärtigen Situation der deutsch-tschechischen Beziehungen beitragen und den Leser dazu anregen, sich weiter mit dem Thema zu befassen.

Der Deutsch-Tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag klammerte schwierige Themen aus

Als Václav Havel und Helmut Kohl 1992 im Spanischen Saal der Prager Burg den Deutsch-Tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag unterzeichneten, war ziemlich klar, dass nicht alle bestehenden Probleme adressiert wurden. Der Vertrag sprach von guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit und zielte darauf ab, eine Grundlage für den zukünftigen Austausch in allen Bereichen zu schaffen: politisch, wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich. Regelmäßige zwischenstaatliche Treffen auf Regierungsebene wurden vorgesehen. Zudem wurden die bestehenden Grenzen gegenseitig anerkannt und die deutsche Minderheit in Tschechien erhielt weitgehende Minderheitenrechte. Andere schwierige Themen in Bezug auf die verworrene gemeinsame Geschichte –etwa eine beiderseits geteilte Sichtweise auf das Münchner Abkommen von 1938, Reparationszahlungen und die Restitution von Land und Vermögen an Sudetendeutsche, die in Folge der sogenannten Beneš-Dekrete nach dem 2. Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden – wurden nicht nur nicht besprochen, sondern absichtlich vermieden. Dies kann im Anhang des Vertrages nachgelesen werden. Der Vertrag wurde daher auf beiden Seiten unterschiedlich rezipiert: Während Kohl das Dokument als von historischer Wichtigkeit pries, fiel Havels Reaktion umso bescheidener aus, indem er signalisierte, dass nur das in den Vertrag geschrieben wurde, worauf sich beide Seiten zum damaligen Zeitpunkt einigen konnten. Augenscheinlich war die Situation eine andere denn im Jahre 1973, als ein Vorgängervertrag zwischen Westdeutschland und der sozialistischen Tschechoslowakei geschlossen worden war. Während Deutschland damals mit einem stärkeren Bewusstsein für das schwierige Schicksaldes Nachbarlandes auftrat, stand die wiedervereinte Bundesrepublik 1992 klar auf der Siegerseite der Geschichte und auf der tschechischen Seite waren Befürchtungen vor einer erneuten „Germanisierung“ groß. Letzteres insbesondere mit Blick auf die beträchtlichen deutschen Investitionen und Aufkäufe, welche im direkten Anschluss an die Samtene Revolution einsetzten. Obwohl diese Ängste rückblickend nicht gerechtfertigt erscheinen, war klar, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen nunmehr asymmetrischer Natur sein würden.

Fünf Jahre später (1997) wurde die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet, welche den Nachbarschaftsvertrag ergänzen sollte und die Grundlagen für den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (Česko-Německý Fond Budoucnosti) und das Deutsch-Tschechische Diskussionsforum (Česko-Německé Diskusní Fórum) legte. Diese sind bis heute die wichtigsten Plattformen für den gegenseitigen Austausch der Zivilgesellschaften beider Länder. Sie fördern überdies eine beachtliche Anzahl an grenzüberschreitenden Projekten. Das Deutsch-Tschechische Jugendforum ist dabei nur ein Beispiel der erfolgreichen Interaktion, die auf der Basis des Diskussionsforums entstehen konnte. 2015 wurden die deutsch-tschechischen Beziehungen zudem durch einen Strategischen Dialog zwischen den Außenministerien intensiviert.

Deutschland unterstützte den Beitritt der Tschechischen Republik in die EU

Zweifelsohne gab der Prozess der Europäischen Integration, den die Tschechische Republik von Beginn ihrer Unabhängigkeit anstrebte, den Rahmen für die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen vor. Deutschland gehörte dabei immer zu den Ländern, die die EU-Erweiterung nach Zentral- und Mitteleuropa besonders unterstützten. Dies liegt sicher auch an der gemeinsamen Erfahrung der kommunistischen Unterdrückung – zumindest was Ostdeutschland betrifft – die in der Beziehung der beiden Länder nicht vergessen werden sollte. Der gemeinsame Einsatz für Europa stand deshalb auch im Mittelpunkt des Statements, welches die Außenminister Deutschlands, Tschechiens und der Slowakei zur Feier des Nachbarschaftsvertrags gemeinsam veröffentlichten.

Eine weitere unbestreitbare Tatsache ist, dass die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der guten Beziehungen waren. Deutschland ist auf der einen Seite das Land, in das Tschechien am meisten exportiert. Auf der anderen Seite sind die Tschechische Republik und die Slowakei wichtige Glieder in der Zulieferkette für die deutsche Automobilindustrie. Wie wir später sehen werden, ist Handel jedoch keine ausreichende Basis für gegenseitige Anerkennung und eine insgesamt gute Beziehung.

Sobotka und Fico war es sehr wichtig, in Berlin ihren gemeinsamen Einsatz für ein starkes und vereintes Europa an der Seite Deutschlands zu betonen. Beide hoben zudem ihren Konsens mit Deutschland in den Brexit-Verhandlungen hervor, genauso wie ihre Übereinstimmung mit Blick auf vertiefte Handelsbeziehungen und wissenschaftlichen Austausch sowie der Notwendigkeit, die Herausforderungen, vor denen Europa heute steht, gemeinsam anzugehen. Selbst hinsichtlich der Migrationsproblematik wurden versöhnliche Töne angeschlagen. Es bestand Einigkeit darin, dass Solidarität von allen gezeigt werden muss. Solidarität kann dabei allerdings verschiedene Formen annehmen und muss daher nicht notwendigerweise die Aufnahme von Flüchtlingen bedeuten. Insgesamt schien es, als wären die deutsch-tschechischen Beziehungen wunderbar – mit Ausnahme einiger kleinerer Unstimmigkeiten bezüglich der PKW-Maut vielleicht. Ministerpräsident Sobotka hielt denn auch fest, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen besser als je zuvor seien. Nachdem ich mit vielen Menschen in der Tschechischen Republik gesprochen habe –mit Akademikern, Studierenden, Schülern, Arbeitern usw. – wage ich allerdings zu behaupten, dass die Beziehungen – oder zumindest deren Wahrnehmung – so harmonisch nicht sind.

Das Verhalten „kleiner Staaten“ im Kontext der Europäischen Integration

Es ist sehr schwierig, die Frage asymmetrischer zwischenstaatlicher Beziehungen wissenschaftlich anzugehen. Nichtsdestotrotz gibt es Literatur zu sogenannten „kleinen Staaten“ und darüber, wie diese sich verhalten, insbesondere im Kontext der Europäischen Integration. Die Schwierigkeiten kommen daher, dass es keine oder kaum empirische Daten zu dem Thema gibt, da eine Reihe subjektiver und nur schwer messbarer Variablen eine Rolle spielen. Wenn man von „kleinen Staaten“ spricht, ist die erste Herausforderung bereits eine definitorische. Es können verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, wenn es darum geht ein Land als „kleinen Staat“ zu klassifizieren. Eine vereinfachende Analyse, die sich ausschließlich auf Kriterien wie das BIP, den Haushalt oder die Ressourcen eines Landes stützt, ist dabei unzureichend, da Selbst- oder Fremdwahrnehmung eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen. Die Selbstwahrnehmung in der Tschechischen Republik ist oft jene eines „kleinen Landes“ und selbst wenn der Lebensstandard steigt, die Wirtschaft mit hervorragenden Zahlen, insbesondere einer sehr niedrigen Arbeitslosigkeit, gut dasteht und das gewaltige kulturelle und intellektuelle Erbe in den Augen eines Zugezogenen (wie mir) zu einer ziemlich anderen Ein- und Wertschätzung führen mag, sind eine Art Minderwertigkeitskomplex und manchmal sogar politischer Defätismus fest in der Selbstwahrnehmung der Tschechen verwurzelt und scheinen allen offensichtlichen Veränderungen standzuhalten. Diese Beobachtung ist bei der Betrachtung der bereits erwähnten Dilemmata bedeutsam. Letztere sind in erster Linie im größeren Kontext der Europäischen Integration zu sehen, lassen sich aber auch auf die deutsch-tschechischen Beziehungen anwenden.

Dilemma Nummer eins: Die Samtene Revolution brachte der Tschechischen Republik durch das Ende der sowjetischen Hegemonie endlich ihre nationale Unabhängigkeit und Souveränität zurück. Es ist daher nur zu verständlich, dass diese neuerworbene Autonomie besonders hoch geschätzt wird und die Bürgerinnen und Bürger sich ihrer erfreuen wollen. Die Vorstellung, diese Autonomie scheinbar zu reduzieren, indem Souveränität auf eine supranationale Ebene transferiert wird – was eines der Hauptprinzipien der EU, die Subsidiarität, definitiv impliziert – dürfte daher von einem beträchtlichen Teil der Wählerschaft abgelehnt werden. Eine solche Position kann momentan in ganz Mittel- und Osteuropa beobachtet werden. Mehr und mehr, und sicherlich auch mit Blick auf das teilweise Scheitern der EU in der Bewältigung der Finanz - und Flüchtlingskrise, haben Politiker dieses Argument in ihren Diskurs aufgenommen. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir davon sprechen, die „Autonomie scheinbar zu reduzieren“, da ebenfalls klar ist, dass in einer immer globalisierteren Welt – mit grenzüberschreitenden und sogar globalen Problemen genauso wie international agierenden Firmen, die oft auch eine Bedrohung für die Souveränität von Staaten darstellen – das Festhalten an Souveränität auf nationaler Ebene letztendlich zu deren Verlust führen wird. Die Bündelung von Souveränität auf einer supranationalen Ebene hingegen ist die einzige Möglichkeit, souverän zu bleiben und damit auch die einzige gangbare Option, um nationale Souveränität wirksam zu erhalten. Politische Entscheidungsträger in Mittel- und Osteuropa sind sich dessen durchaus bewusst. Zweifelsohne ist es jedoch schwierig, ein solches Konzept den Wählern zu verkaufen.

Die Position Tschechiens in der Diskussion um ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“

Konkret können die Auswirkungen dieses Dilemmas in der Diskussion um ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ beobachtet werden, welches verschiedene Stadien der Integration mit sich bringt und damit einhergehend auch ein jeweils unterschiedliches Maß an Souveränität, das geteilt werden muss. Wiederum ist Tschechien, genauso wie seine slowakischen Nachbarn, bestrebt, in der ersten Liga mitzuspielen und sich nicht mit den hinteren Rängen zufrieden zu geben. In Berlin machte Ministerpräsident Fico klar, dass es für die Slowakei keine andere Option gibt, als jener, Teil „Kerneuropas“ zu sein. Denn beide Länder riskieren, abgehängt zu werden, sollten sie es nicht schaffen, mit den europäischen Spitzenreitern mitzuhalten. Und dennoch weiß jeder, dass Länder, die Teil eines „Kerneuropas“ sein wollen, bereit sein müssen, sich mehr zu integrieren, Souveränitätsrechte an die Gemeinschaftsinstrumente abzugeben sowie aktiver und engagierter zu sein. Es ist auch klar, dass die Mitgliedschaft in der Währungsunion, die mit der Einführung des Euro einhergeht, ein integraler Bestandteileines jeden „Kerneuropas“ ist. Die tschechische Regierung zeigte sich bisher jedoch äußerst zurückhaltend, wenn es darum ging, den Prozess einer Währungsreform in Gang zu setzen. Dies könnte denn auch der Grund sein, weshalb Ministerpräsident Sobotka sich mit Blick auf ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ weniger kritisch als sein Amtskollege Fico äußerte. Dennoch ist es auch in Tschechiens bestem (ökonomischen) Interesse, den Anschluss an Europas Vorreiter nicht zu verlieren.

Die Rolle der Tschechischen Republik in der Visegrád-Gruppe

Die hier beschriebenen Probleme führen uns zu einem zweiten – kleineren, aber nicht weniger wichtigen – Dilemma: Die Rolle der Tschechischen Republik in der Visegrád-Gruppe. Als diese Gruppe 1991 von Polen, Ungarn und damals noch der Tschechoslowakei gegründet wurde, bestand das Hauptziel darin, sich gegenseitig auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft und die NATO zu unterstützen. Heute scheint es allerdings manchmal, als hätten sich die Anliegen der Gruppe, wenn nicht umgekehrt, so doch in eine ganz andere Richtung verschoben. Dass diese Entwicklung die deutsch-tschechische Beziehung belasten kann, ist klar und wurde auch von Journalisten auf der Pressekonferenz in Berlin angesprochen. Jüngste Treffen der V4-Länder haben gezeigt, dass ein Konsens zwischen der Tschechischen und der Slowakischen Republik auf der einen Seite und Polen und Ungarn – mit immer autoritäreren Tendenzen – auf der anderen Seite nur mit Hinblick auf die Migrationsproblematik besteht. Die Tschechische Republik findet sich in einer Position zwischen Ost und West wieder – von der viele in der Vergangenheit meinten, sie könne für das Land von Interesse sein und ihm zu einer Rolle des Brückenbauers verhelfen – doch ist sie dabei vor die Frage gestellt, ob sie sich zu ihren regionalen Partnern bekennt und damit auf Distanz zum „Kerneuropa“ geht, oder ob sie sich mehr an Deutschland orientieren und die Integration vertiefen will.

Das dritte Dilemma bezieht sich direkt auf die deutsch-tschechischen Beziehungen und hat mehr mit Gefühlen, Mentalitäten und Eindrücken zu tun als mit Fakten und strategischen Fragen. Die Beziehung zwischen den beiden Ländern ist ziemlich ambivalent in dem Sinne, dass Deutschland oft als Beispiel angesehen wird, dem es zu folgen gilt. Sei es nun in wirtschaftlichen Angelegenheiten oder in der Organisation, viele Tschechen sind dazu entschlossen, die deutschen Strukturen nachzuahmen und den Standard ihrer westlichen Nachbarn zu erreichen. In einigen Fällen – etwa in der Hauptstadtregion Prag – ist dies denn auch bereits in weiten Teilen gelungen. Diese Empfindungen suggerieren, dass eine Intensivierung der Beziehungen und des Austauschs ebenso unvermeidlich, wie deutscher Rat willkommen ist. Man hört sogar, dass Tschechien wirtschaftlich gesehen das 17. Bundesland Deutschlands sei. Doch Obacht! Diese Bezeichnung ist nicht nur in einem positiven Sinne gemeint und Deutschland wird oft als zu dominant empfunden – in Europa genauso wie gegenüber der Tschechischen Republik. Die eingangs erwähnte Furcht vor einer Germanisierung tritt erneut auf den Plan. Angela Merkel, mit welcher sich die Ministerpräsidenten in Berlin trafen und welcher sie ihre Anerkennung und Zustimmung in fast allen Angelegenheiten aussprachen, wird oft als die mächtigste Person in der EU und deren einzige wirkliche Anführerin gesehen. Es handelt sich hierbei um eine gefährliche Fehlinterpretation, die angegangen werden muss, wenn die deutsch-tschechischen Beziehungen weiter vorangebracht werden sollen und in Tschechien langfristig eine positive Einstellung in Bezug auf Europa erreicht werden soll.

Die Relevanz deutsch-tschechischen Austausches

Die Tatsache, dass die Regierungschefs Deutschlands, Tschechiens und der Slowakei gemeinsam mit Studierenden aller drei Länder in Berlin diskutierten, wurde als ein Beispiel für den Austausch zwischen den Zivilgesellschaften angeführt. Es ist genau diese Art von Austausch, die meiner Meinung nach am wichtigsten und am ergiebigsten ist. Handel kann zwar den Ökonomien beider Länder zuträglich sein, aber er wird nicht unbedingt dabei helfen, Grenzen einzureißen, Stereotypen und Vorurteile zu dekonstruieren und wirkliche freundschaftliche Kooperation und intensive Beziehungen zu fördern; so wie sie im Nachbarschaftsvertrag avisiert wurden. Die Jungen Europäischen Föderalisten – als Organisation, die Völkerverständigung und das Zusammenbringen von Menschen aus ganz Europa zu ihren Zielen zählt– können und sollten einer der entscheidenden Akteure in dieser Interaktion von Zivilgesellschaften sein. Zugegebenermaßen müssen aber auch die Regierungen und politischen Amtsträger der einzelnen Länder ihre Haltung ändern. Auf der einen Seite sollte Tschechien selbstbewusster eigene Ideen und Lösungen in die europäische Debatte einbringen. Auch müssen tschechische Spitzenpolitiker eigene Visionen für ihr Land als aktives und integriertes Mitglied der europäischen Familie entwerfen. Auf der anderen Seite sollten die Deutschen weiterhin mit ihren östlichen Nachbarn kooperieren und dabei offener und feinfühliger sein. Es ist für Deutschland wesentlich, Allianzen mit „kleinen Staaten“ einzugehen, falls es das Image eines zu dominanten Staates in Europa loswerden will. Tschechien könnte beides sein: Ein guter Partner und das Tor zu Mittel- und Osteuropa auf einer Mission, deren Ziel es ist, die Region zurück ins Herzen der EU zu bringen.

Als Teil der deutschen Studierendendelegation nahm der Autor am 3. April an der Diskussion zwischen den Regierungschefs und Studierenden in Berlin teil. Der Inhalt dieses Essays wurde zunächst auf einem Treffen der JEF Tschechien in Prag am 11. April 2017 vorgestellt und für diese Veröffentlichungleicht abgeändert.

Ihr Kommentar
  • Am 26. April 2017 um 20:31, von  Pavel Nemcek Als Antwort Deutsch-tschechische Beziehungen im europäischen Kontext oder wie Europa von der Lösung einiger Dilemmata profitieren könnte

    Meines Erachtens ist das „Problem“ der Tschechen mit den Deutschen kein spezielles. Vielmehr nehmen auch Staaten wie Belgien, Luxemburg oder Österreich Deutschland als dominant und wenig sensibel gegenüber den eigenen Anliegen wahr. Die Tatsache, dass erst durch die Erwecker die tschechische Identität gefestigt wurde ist insofern bedeutsam, als das dieser Prozess von der kommunistischen Propaganda genutzt wurde, um den kapitalistischen Feind im Bewusstsein zu verankern. In der persönlichen Begegnung gibt es im übrigen kaum Ressentiments von Seiten der Tschechen. Hingegen wird Deutschland und die Deutschen im Allgemeinen kritisch gesehen. Dies liegt daran, dass in der tschechischen Politik insbesondere im Blick auf die Benes-Dekrete vor deutscher Einflussnahme gewarnt wird. Die Mehrheit der Tschechen steht jedenfalls hinter der jetzigen Politik der Regierung und des Präsidenten. Ein Bewusstsein dafür, dass ein Verharren in der Provinzialität letztendlich zum Verlust von Eigenständigkeit führen wird und zwar eher in Richtung Russland als in Richtung EU besteht noch nicht.

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