Die besondere Beziehung zwischen der Europäischen Union und den Kleinstaaten Europas

, von  Alexis Vannier, übersetzt von Patrick Geneit

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Die besondere Beziehung zwischen der Europäischen Union und den Kleinstaaten Europas
Fotoquelle: Flickr / Thibault Houspic / CC BY-NC-ND 2.0 und Flickr / Tim Reckmann / CC BY 2.0 Bildbearbeitung: Anja Meunier

Auf dem europäischen Kontinent befinden sich 5 Kleinstaaten, die es geschafft haben, ihre Unabhängigkeit durch geopolitische, sogar blutige Umwälzungen, die den Kontinent seit Jahrhunderten heimgesucht hatten, zu bewahren. Die Fürstentümer Monaco, Andorra und Liechtenstein, die Republik San Marino sowie der Vatikanstaat haben jeweils ihre eigenen historischen Werdegang in Bezug auf ihre Unabhängigkeit durchlaufen und stehen in mehr oder weniger engen Beziehungen mit ihren Nachbarländern, haben vergleichsweise sogar eine gewisse internationale Stimme, aber keine von ihnen ist Mitglied der Europäischen Union. Wieso?

Kleinstaaten im Angesicht zu ihren großen Nachbarn

Diese den kriegerischen und expansionistischen Umwälzungsprozessen in Europa entkommenen Kleinstaaten entstammen hauptsächlich feudalen, monarchischen Systemen, die Schwierigkeiten beim Zugang zur modernen Welt hatten. Obwohl sie alle unabhängig sind, zeichnen sich diese Staaten durch eine große Abhängigkeit von ihren Nachbarstaaten aus.

So unterzeichnete Monaco, das eine Zeit lang vom revolutionären, dann vom napoleonischen Frankreich besetzt war, am Ende des Ersten Weltkriegs einen Freundschaftsvertrag mit Frankreich, der den militärischen Schutz im Gegensatz für eine vollständige Angleichung seiner wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen garantierte. Andorra, dessen Unabhängigkeit im Jahr 780 von Karl dem Großen verliehen wurde, verfügt über ein weltweit einzigartiges System, das zwei Kofürst*innen politisch hält, wobei einer der Bischof des katalanischen Bistums Urgells ist, der andere das französische Staatsoberhaupt.

Die Republik San Marino, die älteste der Welt, wurde im Jahr 1600 gegründet und wird von Italien eingeschlossen, welches für ihre Verteidigungspolitik zuständig ist. Liechtenstein errang seine Unabhängigkeit im Jahr 1806 dank der Siege Napoleons über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Trotz alledem stellt es sich schnell unter Schutz seines größeren Nachbarn, der Schweiz.

Das letzte Beispiel, der Vatikan: Dieser wurde 1929 durch die Lateranverträge unter der Führung Benito Mussolinis geschaffen, um die sogenannte Römische Frage zu klären, also die Souveränität des Heiligen Stuhls auf einem Gebiet innerhalb Roms anzuerkennen und dadurch die Beziehungen zum Kirchenstaat zu normalisieren. Die Außenpolitik der meisten dieser Staaten ist an die des Staates gebunden, der sie verteidigungs- sowie außenpolitisch vertritt. Wie die pazifischen Inselstaaten, schlossen sie sich spät internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen an, 1990 Liechtenstein, 1992 San Marino, 1993 Monaco und Andorra, während der Vatikanstaat aufgrund seiner Natur kein Mitglied geworden ist.

Mehr oder weniger enge Beziehungen zur Europäischen Union

Diese sechs Kleinstaaten können entsprechend ihrer Beziehungen zur Europäischen Union in drei Kategorien eingeteilt werden: Erstens haben Monaco, Andorra und San Marino eine besondere und gemeinsame Beziehung zur EU. Dies ist nicht überraschend, da ihre jeweils protegierenden Nachbarstaaten seit Entstehung der EU Mitglied sind. Monaco trat 1963 dank seiner vor einem Jahrhundert abgeschlossenen Zollverträge mit Frankreich dem EU-Zollgebiet bei. Andorra und San Marino unterzeichneten ähnliche Verträge im Jahr 1991. Seit 2009 gab die EU neue Impulse für einen gemeinsamen Beziehungsrahmen mit den drei Kleinstaaten, unter Berücksichtigung ihres kleinen Staatsgebiets. Nach zahlreichen Diskussionen über die Entwicklung der Beziehungen zwischen den drei Staaten und der EU und unter Berücksichtigung der besonderen Lage mit den jeweiligen Märkten der großen Nachbarländer, stimmten die europäischen Institutionen für eine Unterzeichnung eines EU-Assoziationsabkommens mit den drei Ländern. Die Verhandlungen laufen seit Anfang 2015. Aktuell wird die Öffnung der Grenzen (u.a. durch die Implementierung der Prinzipien des freien Warenverkehrs und der Personenfreizügigkeit) eine große rechtliche Schwierigkeit darstellen, insbesondere mit Hinblick auf nationale Gesetze zur Bevorzugung der einheimischen Bevölkerung auf dem Arbeitsmarkt der Kleinstaaten.

Liechtenstein wurde 1995 Mitglied der EFTA, einer streng wirtschaftlichen Organisation, die u.a. die Schweiz, Norwegen und Island beinhaltet und somit als Europäischer Wirtschaftsraum (ohne die Schweiz) ein vertieftes Freihandelsgebiet zwischen der EFTA und der EU festlegt. Der Kleinstaat profitiert also von seinen besonderen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zur Europäischen Union. Der Vatikan hingegen bildet mit Italien eine Zollunion.

Der Euro und das Schengener Abkommen – Mittel einer Integrationspolitik unterschiedlicher Geschwindigkeiten

Während die Verpflichtung, die gemeinsame Währung einzuführen, nicht für alle EU-Mitgliedsstaaten gilt, haben sich einige Kleinstaaten dazu entschieden, genau das zu tun und zwar auf unterschiedliche Weise. Die 1865 in Kraft getretene Zollunion zwischen Frankreich und Monaco enthielt auch ein Währungsabkommen über den monegassischen Franc. 2001 wurde dieser per Abkommen durch den Euro ersetzt.

Während der Antrag auf Einführung des Euros in San Marino 1999 von den EU-Behörden ohne Probleme genehmigt wurde, war das in Andorra nicht der Fall. Tatsächlich verhinderten Unstimmigkeiten in Steuerfragen zwischen dem kleinen Fürstentum und Brüssel eine Einigung bis 2011, als Andorra sich erst dann bereiterklärte, sich den europäischen Regelungen anzupassen. Die Ausgabe der andorranischen Münzen wurde jedoch verzögert: Brüssel verweigerte die Bestätigung der 10-, 20- und 50-Cent-Münzentwürfe, auf denen Jesus Christus abgebildet war und sah das Neutralitätsprinzip verletzt. Nach Anpassung der Entwürfe begann die Ausgabe ab dem Jahr 2015.

Im Jahr 2000 schloss der Vatikan ein Abkommen mit der EU zur Einführung des Euros. Der Vatikanstaat sollte somit das Recht besitzen, jährlich 1 Millionen Euro in den Umlauf zu bringen. Bei Liechtenstein wahrt die Schweiz ihre finanzpolitischen Interessen, nach dem Abschluss einer Währungsunion mit der Schweiz im Jahr 1924. Also wird mit dem Schweizer Franken in Liechtenstein bezahlt.

Im Hinblick auf den Schengen-Raum ist bis heute nur Liechtenstein richtiges Mitglied, den EFTA-Staaten folgend. Monaco ist de facto Teil des Schengen-Raums durch seine Zollunion mit Frankreich. San Marino und der Vatikan sind Enklaven in Italien und öffnen ihre Grenzen ohne formelles Abkommen den EU-Bürger*innen. Währenddessen hält Andorra noch an einer eigenen Politik fest und kontrolliert Pässe und Visa an den Grenzen.

Trotz mehr oder weniger engen Beziehungen zu den EU-Behörden plant keiner der vorgestellten Kleinstaaten derzeit, der EU als Vollmitglied beizutreten, trotz der Anwesenheit von Parteien, die dies fordern. Dabei handelt es sich in der Regel um sozialdemokratische oder Umwelt-Parteien. Das Argument einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung wirkt hier nicht stark, sondern eher in Gebieten wie im westlichen Balkan, sodass ein EU-Beitritt ein ganz anderes politisches Gewicht besitzt. Stattdessen sind die genannten Kleinstaaten besorgt, ihre Unabhängigkeit aufgrund des politischen Mehrheitsprinzips zu verlieren, in welchem sie aufgrund ihrer Art eindeutig unterrepräsentiert werden würden, was unvorteilhaft wäre. Es ist trotzdem interessant anzumerken, dass im Jahr 2013 in San Marino ein Referendum über einen möglichen EU-Betritt abgehalten wurde. Der knappe Sieg der „Ja“-Fraktion reichte jedoch nicht aus, da die formalen Gründe nicht eingehalten wurden, also die Mindestbeteiligung der Bevölkerung San Marinos nicht im Referendum erreicht wurde – so steht die Frage nach einem Beitritt erstmal offen.

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