EU-Energiepolitik vor alten und neuen Herausforderungen
Noch vor einigen Jahren hatte die Europäische Kommission ein Vorzeigeprojekt auf dem Energiemarkt vorzuweisen: Die Nabbucco-Pipeline. Beginnend in der Kaukasusregion hätte sie Gas durch die Türkei über Bulgarien nach Europa geliefert. Doch die Kosten für das Großprojekt stiegen, es häuften sich technische Probleme bei der Umsetzung – letztlich wurde Nabbucco nicht verwirklicht. Ein ähnliches Projekt, eine moderne, EU-geförderte, transnationale Pipeline war “South-Stream”. In diesem Fall sollte die europäische Energienachfrage mit einer Pipeline von Russland durch das Schwarze Meer über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich bedient werden. Doch auch dieses Projekt ist nun Geschichte. Das Ende der Idee hängt mit der Monopolstellung der Firma Gazprom zusammen. Das Untenehmen wäre Produzent, Gasverkäufer und Besitzer der Leitungen gewesen. Dies ist nicht mit europäischen Marktrecht vereinbar. Unter anderem der Druck der EU, aber auch innenpolitische Regierungswechsel bewirkten, dass beteiligte Länder wie Bulgarien das Projekt in seiner ursprünglichen Form nicht mehr unterstützten. Was zunächst wie ein finanzieller und logistischer Verlust scheint, kann auch eine Chance für Europa bedeuten.
Dies betont auch Judy Dempsey auf “Carnegie Europe”, einem renommierten Brüsseler Think Tank: Endlich sei der Moment gekommen, in dem sich die EU-Staaten von der Russischen Gasabhängigkeit und der Monopolstellung Gazproms befreien und die lang angestrebten Reformen auf dem Weg zu einer Energie-Union umgesetzt werden müssten. Das Ziel einer nachhaltigen Energiepolitik ist angesichts dieser Herausforderungen auch Priorität der neuen Kommission. Dabei steht der Ausbau der nötigen Infrastruktur, insbesondere die Vernetzung Bulagriens mit den Nachbarländern, im Vordergrund.
Türkisch-russisches Pipelineprojekt verschiebt geopolitische Machtverhältnisse
Die Reaktion aus Moskau auf die Blockade der EU ist eine Intensivierung bestehender außereuropäischer Partnerschaften. Die Zuwendung zur Türkei als “verlässlicher Partner” und die Absage des South-Stream-Projektes kommentiert die deutsche Wochenzeitschrift die “Die Zeit” mit den Worten: “Was wie eine Meldung für Energiespezialisten klingt, ist in Wahrheit ein politisches Erdbeben”.
Dieses Erdbeben ist dennoch keine Überraschung, betrachtet man die schon seit Jahren bestehenden gemeinsamen Interessen beider Länder. Russische Touristen verbringen ihre Sommer an der türkischen Südküste. Russland hat sich als Hauptimportquelle der türkischen Wirtschaft etabliert. 2013 machten die Importe etwa 10% des Gesamtimports aus. Damit steht Russland als einzelnes Land als Handelspartner an erster Stelle, gefolgt von China und Deutschland. Die Bevölkerungsentwicklung der Türkei und das rasante Wachstum unter Erdoğans Regierung hat insbesondere die Nachfrage im Energiesektor zusätzlich gestärkt. Das gemeinsame Interesse der beiden Länder, ihre Einflusszonen auf die Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres zu stabilisieren, sowie die nun gefestigte Kontrolle des regionalen Energienetzes manifestieren einen russisch-türkischen Machtblock im Osten.
Dennoch ist die Umorientierung nicht auf allen Ebenen ein Gewinn für Russland. Die Leitung wird vorraussichtlich länger und teurer. Länder, die im Interesse der russischen Einflussspähre liegen, insbesondere Serbien und Ungarn, sind nicht mehr in der in der Transitroute inbegriffen.
Neue Partnerschaften, neue Perspektiven
Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei stagnieren derzeit. Das Vordringen des Islamischen Staates bedeutet außerdem langfristige Instabilität an der südöstlichen Grenze. Es ist abzuwarten, wie sich die Gaslieferungen aus dem Iran an die Türkei entwickeln.
Dennoch ist es verwunderlich, dass sich ein EU-Beitrittsland vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen der EU, der Ukraine und Russland, so klar auf eine langfristige Kooperation mit Russland einlässt. Ein Thema, dass lange vergessen war, wird im Licht des neuen Energiedeals wieder interessant: Die Beziehung der Türkei zu der von Russland und China geführten “Shangaier Organisation für Zusammenarbeit” (SOZ) auch als “Shangai 5” bekannt. In der Hochphase eines möglichen EU-Beitrits der Türkei rückte die SOZ völlig in den Hintergrund, bietet der Türkei nun aber eine regionale Alternative zur möglichen EU-Mitgliedschaft. Schon 2013 wurden die Beziehungen intensiviert und die Türkei als Dialog-Partner eingestuft. Mit ihrem wirtschaftlichen Aufschwung, der hohen Bevölkerungszahl und einem weiterhin stabilen Einfluss durch Präsident Erdoğan nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich die Türkei bald zwischen EU und SOZ entscheiden muss. Die mögliche Kooperation im Energiebreich ist also auch ein weiterer Schritt, um die regionale Vormachtstellung der Türkei zu festigen.
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