Rassistische Polizeigewalt in Deutschland

„Die Mehrheitsgesellschaft muss des Systems genauso überdrüssig sein wie Betroffene.“

, von  Friederike Graupner

„Die Mehrheitsgesellschaft muss des Systems genauso überdrüssig sein wie Betroffene.“
„Systemischen Rassismus beenden!“ Foto: Pixabay / UnratedStudio / Pixabay Lizenz

Nach dem Tod von George Floyd am 25. Mai 2020 rückt auch die Rassismus-Kritik gegenüber der deutschen Polizei in den Blick. Aktivismus gegen rassistische Polizeigewalt gab es aber auch schon vor den Protesten – sowohl in den USA, als auch in Deutschland und Europa. Die Aufmerksamkeit, die dem Thema jetzt zukommt, weist auf mehr als Probleme in den Strukturen der Polizei hin: Vielmehr zeigt sie eine Akzeptanz und ein Ignorieren von Rassismus durch die Zivilgesellschaft im gesamten System auf.


Diskriminierungssensible Sprache


BIPoC: Black, Indigenous and People of Colour
PoC: People of Colour -> Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung, die nicht als weiß1 wahrgenommen werden und sich selber nicht als weiß definieren
BPOC: Black and People of Colour-> bezieht explizit auch Schwarze2 Menschen ein

1Weiß wird hier kursiv geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass es sich um einen politischen Begriff handelt. Es wird nicht die Hautfarbe, sondern die gesellschaftspolitische Norm und Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus beschrieben.
2Auch bei Schwarz mit großem „S“ handelt es sich um einen politischen Begriff und nicht um eine Hautfarbe.

Mehr Infos findest du hier.


Das Thema rassistische Polizeigewalt ist nicht neu. Auch in Deutschland gab es in den letzten Jahren unzählige, auch tödliche Gewalttaten gegen BIPoC durch Polizist*innen oder in Polizeigewahrsam. Einer der bekanntesten Fälle ist Oury Jalloh, der im Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle auf einem Polizeirevier in Dessau verbrannt wurde. Nach einem ersten Freispruch der beiden verdächtigen Polizisten folgte ein erneutes Verfahren, in dem einer der beiden wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Trotz neuer Erkenntnisse wie dem jüngsten Brandgutachten, dem zufolge der aus Sierra-Leone stammende Jalloh sich und die Matratze nicht selbst angezündet hatte, wurde das Verfahren im Oktober 2017 eingestellt - mangels Tatverdacht gegen Dritte und weil „eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten“ sei. Ein Einzelfall ist Jalloh nicht: Achidi John (2001, Hamburg), Hussam Fadl (2016, Berlin), Robble Warsame (2019, Schweinfurt), Amad Ahmad (2016, Kleve) und Laye-Alama Condé (2005, Bremen) kamen ebenso durch Polizeigewalt ums Leben.

Rassismus als alltäglicher Begleiter

Rassismus und rassistisch motivierte Polizeimaßnahmen stellen für viele BIPoC Alltagserlebnisse dar: Situationen, in denen sie aufgrund phänotypischer Merkmale wie zum Beispiel Aussehen und Kleidung verdächtigt werden, häufen sich. Das ist auf mehr als einer Ebene problematisch: Einerseits verfestige sich so eine Kriminalisierung von BIPoC im öffentlichen Raum, berichtet Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V., im Gespräch mit der Bildungsstätte Anne Frank.



Eine solche Kriminalisierung entstehe ihm zufolge durch Reaktionen auf Vorfälle wie jener in der Silvesternacht in Köln 2015/16, in der es im Bereich des Doms zu sexualisierten Übergriffen gegen Frauen kam. Als Täter wurden in der Berichterstattung in erster Linie Menschen mit Migrationserfahrung genannt. So entstand das Bild „der migrantischen jungen Erwachsenen, die junge, weiße Frauen angreifen, was zu einer allgemeinen Gefahr für die gesamte Gesellschaft hochstilisiert wurde“, beschreibt Della. „Im Folgejahr wurde dann offenkundig und unverblümt davon gesprochen, diesen Menschen, also migrantischen jungen Männern, den Zutritt zur Domplatte zu verwehren. Es wurde ganz klar Racial Profiling betrieben (…) und keine*r hat das für problematisch befunden.“

Weiter, erklärt Della weiter, entstehe durch die negativen eigenen Erfahrungen und Erzählungen anderer auch die Frage, ob BIPoC, die selbst Opfer einer Straftat werden, überhaupt die Polizei um Hilfe bitten können - oder befürchten müssen, vom Opfer zum*zur Täter*in gemacht zu werden. Er sieht hier den Ursprung des Misstrauens und der Abneigung gegen staatliche Behörden.

Das System als Problem

Im System als Ganzes lassen sich dabei unzählige Mängel aufzeigen. Kommen rechte Netzwerke wie NSU 2.0, rechtsextreme Chatgruppen oder Berichte über Beamt*innen, die auf einer Kirmes rechte Parolen rufen, ans Licht, wird in der Politik von Einzelfällen gesprochen. Thomas Blenke, CDU-Innenpolitiker, betonte am 04.06.2020: „Deutschland ist nicht die USA. Wir haben hier kein Rassismus-Problem in der Polizei.“

Della sieht das anders: Es handele sich nicht um Einzelfälle innerhalb der Polizei, sondern um ein institutionelles und strukturelles Problem, betont er. Im Endeffekt sei aber nicht nur eine Verbesserung der Polizeiarbeit nötig, „sondern starke und effiziente Rahmenbedingungen, die rassistische Polizeiarbeit unmöglich machen. Es braucht solche engmaschigen, gesetzlichen Rahmenbedingungen, die deutlich machen, dass [rassistische Polizeigewalt] sofort zu Konsequenzen führt.“

Ein Beispiel für solche Fehler im System findet sich im Schengen-Raum: Dort wird auf Ausweiskontrollen an nationalen Grenzen verzichtet. Deutschland führte daher Maßnahmen zur Verhinderung irregulärer Migration ein. Bei solchen „verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“ entscheiden die Beamt*innen aufgrund von „Lageerkenntnissen und grenzpolizeilicher Erfahrung“. Diese sehr vage Formulierung bietet Raum für Interpretationen. Das Verwaltungsgericht Koblenz urteilte 2010: Bei derartigen Personenkontrollen darf die Auswahl der Kontrollierten „anhand von Hautfarbe und Gesichtszügen“ erfolgen. Sogenanntes Racial Profiling durch die Bundespolizei ist somit legal.

Dass es auch anders geht, zeigt England: Dort musste die Polizei alle sogenannten „Stop and Account“-Kontrollen dokumentieren, berichtet Della. Die Dokumentationspflicht entstand nach dem Mord an Stephen Lawrence, der von mehreren Täter*innen aus rassistischen Motiven erstochen wurde. Die Polizei wurde stark für ihre Ermittlungen kritisiert, da sie trotz deutlicher Hinweise die Verdächtigen erst nach zwei Wochen festnahm. Nach Abschluss des Verfahrens wurde von der Regierung eine Untersuchungskommission eingesetzt, die der Londoner Polizei von institutionellem Rassismus geprägtes Handeln vorwarf.

Quis custodit custodes? Wer überwacht die Wächter*innen?

Der*die Ansprechpartner*in für Beschwerden über das Verhalten von Polizist*innen ist in Deutschland die Polizei. Nur drei Prozent aller erhobenen Vorwürfe gegen Polizist*innen führen dabei zur Anklage. Das spricht je nach Interpretation entweder für eine hervorragende Polizeiarbeit oder für ein unwirksames System. Daher fordern Kritiker*innen, unter ihnen auch Della, eine externe, nicht-polizeiliche Kontrollinstanz. Nur so könne die Polizei und ihre Arbeit kontrollierbar werden.

Eine derartige Kontrollinstanz gibt es beispielsweise bereits in England und Wales: Das Independent Office for Police Conduct (IOPC) hat die Möglichkeit ein Verfahren anzustoßen - und zwar unabhängig von der Staatsanwaltschaft, der von Kritiker*innen häufig eine zu große Nähe zur Polizei vorgeworfen wird. Gleichzeitig hat das Office das Recht, Polizeibeamt*innen zu Befragungen vorzuladen. Eine ähnliche polizeiexterne Struktur braucht auch Deutschland, argumentiert Della: Eine solche Kontrollinstanz müsse „von Menschen besetzt werden, die selber Rassismuserfahrungen gemacht haben, die gleichzeitig aber auch einen kritischen Blick auf die Polizei vorweisen können.“

Das Gespräch mit Della zeigt damit auch: Es gibt durchaus Lösungsvorschläge und -ideen. Für Della braucht es anhaltende Debatten und Veränderungen, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse deutlich zu machen: „Ist das System, in dem wir gerade leben, optimal oder muss es da grundlegende Veränderungen geben?“, fragt er. Sein Appell richtet sich dabei nicht nur an BIPoC: „Die Mehrheitsgesellschaft muss des Systems genauso überdrüssig sein wie Betroffene“, sagt er. „Es sollen eben nicht weiße Menschen etwas für Schwarze Menschen machen. Sie sollen es für sich selbst und die Gesellschaft machen.“

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