Das menschliche Gehirn denkt in einer Standardsprache. Menschen, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, entdecken oft leichte Veränderungen in ihrer Persönlichkeit, je nachdem in welcher Sprache sie sprechen. Alleine diese Tatsache zeigt, dass bestimmte Strukturen durch die verwendete Sprache geformt werden. Es ist daher von großer Bedeutung, sich dieser Muster bewusst zu sein und sie, je nach Kontext, hinnehmen oder umgehen zu können.
Um aufzuzeigen, wie sehr wir uns der Sprache bewusst sein sollten, wollen wir zunächst das englische Wort „stranger“ genauer betrachten. Vermutlich die Hälfte von euch wird bei diesem Wort zunächst an eine Person denken, die jemanden unbekannt ist; die andere Hälfte wiederum sieht darin etwas, das mehr als merkwürdig ist. Um zu erklären, wie ein Wort zwei verschiedene Bedeutungen haben kann, können wir die Definitionen aus dem Wörterbuch zu Rate ziehen: Ein „stranger“ (auf Deutsch: Fremder) ist eine „Person, die einer anderen unbekannt ist, die sie nicht kennt“; „strange“ (auf Deutsch: merkwürdig / fremd) dagegen wird definiert als „ungewöhnlich und überraschend; etwas, das sich nur schwer verstehen oder erklären lässt“.
Suchen wir außerdem zum Beispiel noch nach dem englischen Wort „prejudice“. Es kann als Vorurteil übersetzt werden und bedeutet eine „voreilig gefasste Meinung, die nicht auf Erfahrung oder Tatsachen beruht“. Es kann jedoch auch eine andere Bedeutung haben, nämlich Schaden oder Nachteil, „der durch eine Handlung oder Beurteilung entsteht oder entstehen kann“.
Angesichts dieser Ähnlichkeiten kommen wir ins Stutzen: Haben diese Bedeutungen etwa einen gemeinsamen Ursprung und wenn ja, in welcher Form? Wollten unsere Vorfahren, die sich dieses verwirrende Sprachsystem ausgedacht haben, uns damit beibringen, dass ein Fremder jemand ist, vor dem man Angst haben sollte? Oder wollten sie uns eher darauf aufmerksam machen, dass eine vorgefertigte Meinung Schaden verursachen kann? Diese Übereinstimmungen, die wir hier aufgrund ihres verwirrenden Gebrauchs hervorgehoben haben, sollen uns als Beispiel dafür dienen, wie wichtig Sprache im täglichen Gebrauch ist.
In vielerlei Hinsicht öffnet Sprache uns Türen. Durch das Austauschen eines einzigen Wortes kann unser Standpunkt eine ganz neue Bedeutung bekommen und sehr viele neue Nuancen offenlegen, die ohne diese Änderung verloren wären. Worte können eine bestimmte Geisteshaltung ausdrücken, denn sie transportieren eine Vielzahl an Gefühlen, die bei deren Gebrauch mitschwingen. Diese Gefühle lassen sich leicht an andere vermitteln und können dann wiederum beim Gegenüber verschiedene Reaktionen auslösen. Ein Satz wie “Stranger things will happen” (“Es werden merkwürdige Dinge geschehen”) lässt euch vielleicht für einen kurzen Moment einen Schauer den Rücken herunterlaufen.
Es gibt noch viele weitere Probleme, die von der Sprachstruktur ausgehen. Die reine Existenz von geschlechterbasierter Kennzeichnung ist eines der häufigsten Probleme. In vielen Sprachen der Welt werden Berufe mit weiblichen oder männlichen Substantiven bezeichnet. Deutsch, Spanisch, Italienisch oder Rumänisch sind nur ein Teil der Sprachen, die diese alte Struktur beibehalten: “Profesor/ profesoara” im Rumänischen, “Lehrer/ Lehrerin” im Deutschen, “Maestro/ Maestra” im Spanischen. Es gibt absolut keinen Grund, weshalb das Geschlecht einer Person Einfluss auf deren Berufsausrichtung haben sollte, aber verschiedene Wortbenennungen suggerien uns, dies spiele eine Rolle.
Zusätzlich findet man in der rumänischen Sprache ein besonders eindruckvolles Beispiel. Im Rumänischen wird das Word “om”, das so viel wie “Mensch” bedeutet, als neues Wort angesehen, das aus dem Französischen ins Rumänische übernommen wurde (solche Wörter nennt man „Neologismen“). Der Hintergrund für diese Entwicklung liegt darin, dass es zuvor schlicht kein Wort für ein menschliches Wesen gab und die Menschen andere Personen geschlechterbasiert benennen mussten: „Barbat” für männlich, „Muiere” für weiblich. Umso rätselhafter, wenn man bedenkt, dass “muiere” heutzutage eher abfällig verwendet wird, etwa dem alten Muster entsprechend, nach dem Frauen zu Männern gehören.
Dies alles sind nicht nur theoretische Überlegungen. Sprache hat einen direkten Effekt auf unsere Handlungen. Viele Studien legen nahe, dass Mädchen einen Beruf als schwerer zu erreichen ansehen, wenn er lediglich mit einem männlichen Substantiv beschrieben wird, als wenn er mit einem neutralen oder sowohl weiblich als auch männlichen Ausdruck bezeichnet wird.
Auch wenn es sich hier um isoliert betrachtete Beispiele handelt, sind sie nicht zufällig ausgewählt worden. Sie wurden ausgewählt, weil sie die semantische Familie dieser Artikelidee bilden, der Idee, dass wir den Kampf gegen Diskriminierung noch auf einem ganz anderen Feld angehen müssen. Selbstverständlich beschränkt sich die Problematik nicht auf Wörter mit doppelter Bedeutung oder geschlechterbasierte Benennungen.
Das Problem hat eine viel größere Tragweite. Es beinhaltet auch, eine Frau in einem Streit „Hure“ oder „Schlampe“ zu nennen. In den meisten Fällen bedeutet diese Wortwahl nicht, dass die Betreffende mit vielen Personen schläft, sondern es geht lediglich um eine allgemeine Beleidigung. Ganz offenkundig ist es nicht gerechtfertigt, jemanden danach zu beurteilen, mit wem oder wie vielen Personen er oder sie schläft. Es ist aber außerdem außerordentlich wichtig zu verstehen, dass der häufige Gebrauch als Schimpfwort mehr auslöst als „nur“ zu verletzen. Es bestärkt die stereotype Ansicht, dass Frauen die Anzahl ihrer Partner beschränken sollen. In ihm schwingt als Last die Vorstellung mit, dass Frauen Zugang zu ihrer eigenen Sexualität verwehrt wird. Das verletzt nicht nur, sondern vernichtet auch den Fortschritt, für den in der jüngsten Vergangenheit gekämpft wurde, insbesondere wenn man bedenkt, dass die männlichen Pendants „Hurenbock” oder „Player“ manchmal sogar mit Stolz getragen werden und damit nur die Ansicht verstärkt, dass ein Mann, der viele “Frauen erobert“, besonders männlich ist.
Ein ähnliches Muster ist zu erkennen, wenn ein abwertendes Wort gewählt wird, um über jemandes Rasse oder Ethnie zu sprechen. Bei der genauen Absicht mag es sich nur um einen Witz oder um eine absichtlich verletztende Bemerkung handeln, gewiss geht aber das Ergebnis bei weitem über die Person hinaus, um die es geht.
Die Wahl jedes einzelnen Wortes zählt, denn Worte können uns helfen, alte Ansichten aufzubrechen; oder sie können noch eine weitere Barriere zu dem Kampf hinzufügen, den wir alle führen sollten. Der erste Schritt ist, sich der Implikationen der Worte, die wir verwenden, bewusst zu werden. Worte zählen.
Dieser Text ist zuerst auf Meeting Halfway erschienen. Meeting Halfway ist ein mehrsprachiges europäisches Magazin mit Schwerpunkt Kultur und Gesellschaft.
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