Die „Straßburger Gespräche“: Migrationspolitik und Themen grenzüberschreitender Mobilität gewinnen an Bedeutung

, von  Laura Mercier, Lorène Weber, übersetzt von Teresa Jasmin Geyer

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Die „Straßburger Gespräche“: Migrationspolitik und Themen grenzüberschreitender Mobilität gewinnen an Bedeutung
Foto: JEF

Vom 17. bis 19. November fanden die 29. „Straßburger Gespräche“ („Entretiens de Strasbourg“) statt. Bei dem Format handelt es sich um das älteste Seminar der JEF Europe, welches jährlich von den JEF Sektionen Strasbourg und Freiburg organisiert wird. Mehr als 60 Jugendliche aus Frankreich, Deutschland und Europa trafen sich zu diesem Anlass und diskutierten über die europäische Grenz- und Migrationspolitik.

Während der Eröffnungskonferenz, mehrerer Workshops, informeller Diskussionsrunden und einer pro-europäische Demonstration von Strasbourg nach Kehl konnten sich die Teilnehmer dabei über die wichtigsten Aspekte der Migrations- und Grenzpolitik in Europa austauschen: Entsandte Arbeitskräfte, Arbeiter mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten - wer hat welche Rechte, wo liegen die Unterschiede? Vor allem aber: Welche Grenzen brauchen wir innerhalb Europas und welche Migrationspolitk?

Das Kernthema der Migrationspolitik wurde bei der Eröffnungszeremonie von vier Experten diskutiert:

 Alexis Vahlas, Direktor des Masterstudiengangs European Security an der Science Po Universität in Strasbourg und politischer Berater des Joint Operation Commandos
 Edouard Martin, französischer Abgeordneter der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament
 Penelope Denu, Sekretariatsassistentin des Ausschusses für Migration, Geflüchtete und Vertriebene der parlamentarischen Versammlung des Europarates
 Wolfgang Grenz, Mitglied des Ausschusses für Asyl von Amnesty International Deutschland.

Das „Management“ der Migrationskrise in Europa: „Eine doppelte Schande“ für die EU und ihre Mitgliedstaaten

Es war vorherzusehen, dass sich während der Konferenz das Management der Migrationskrise durch die EU als „doppelte Schande“ herausstellen würde. Zum einen starben seit 2014 über 15.000 Migranten auf dem "Friedhof des Mittelmeers"(https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean). Zum anderen hat sich im Krisenmanagement selbst eine Krise der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der EU offenbart, die Ihresgleichen sucht. Alexis Vahlas betonte während seiner Ausführungen, dass genau die Länder, die am stärksten von den Migrationsströmen betroffen sind (Italien und Griechenland) gleichzeitig jene Länder sind, die sich mit den größten ökonomischen Herausforderungen konfrontiert sehen. So befinden sich auf griechischem Territorium im Moment eine Million Geflüchtete - würde man dies äquivalent dazu auf die französische Bevölkerung übertragen, müsste man von 7 Millionen Menschen sprechen, die in Frankreich Zuflucht suchten. Ein Zustand, der nicht als nachhaltig oder tragbar bezeichnet werden kann.

Im Angesicht dieser beispielosen humanitären Krise forderte die EU von ihren Mitgliedstaaten nicht mehr und nicht weniger, als Solidarität mit Griechenland und Italien zu zeigen und 160 000 Geflüchtete zwischen den 28 Staaten aufzuteilen. Diese Zahl ist nicht nur vergleichsweise gering, sie berücksichtigt bei der Aufschlüsselung auf Länderebene gar die Größe des Aufnahmelandes, seine Arbeitslosenquote, sein Bruttoinlandsprodukt und andere relevante Parameter und wäre damit leicht umsetzbar für die EU-Staaten. Trotz dieser Proportionalitätsgarantien wurde der Vorschlag vom Rat der Europäischen Union abgelehnt. Damit wäre erneut bewiesen, dass Krisenmanagement im Rahmen zwischenstaatlicher Strukturen selten eine gut funktionierende Lösung darstellt. Frankreich beispielsweise erklärte sich zwar dazu bereit 36.000 Geflüchtete pro Jahr aufzunehmen (das entspricht einem Geflüchteten pro französischer Kommune!); bis Ende des Jahres werden jedoch nicht einmal 12.000 Zuflucht im Land finden.

Afrika: „Polizist Europas“?

Nachdem die EU darin versagt hat ein Zuteilungssystem nach Quoten für alle EU-Mitgliedstaaten durchzusetzen und ein effizientes, faires und einheitliches Asylsystem zu schaffen [Die quotenmäßige Zuteilung lief am 26. September 2017 aus; Während der ursprüngliche Vorschlag eine Neuverteilung von 160.000 Asylsuchenden unter den EU-Mitgliedstaaten vorsah, konnten bis dato nur 27.965 davon profitieren, d.h. weniger als 30% der anfänglich vorgesehenen Personenzahl.], wandte sie sich einer anderen Migrationspolitik zu, die auf einem System der Externalisierung von Asylanträgen basiert. Um diese zu illustrieren, stellten die Diskussionsteilnehmer der Konferenz zwei Beispiele vor: Edouard Martin legte den EU-Türkei-Deal, der im März 2016 getroffen wurde, als finanziellen Handel dar, im Zuge dessen 3 Millarden Euro in die Türkei fließen. Diese sorgt im Gegenzug dafür, dass die Asylsuchenden in ihren Staatsgrenzen gehalten werden. Es scheine zudem, als ob sich die EU mitnichten für die Aufnahmebedingungen vor Ort interessiere - die Zustände sind teilweise so schlimm, dass man sogar soweit gehen und von Haftbedingungen sprechen könnte. Penelope Denu hob inbesondere die Herauforderungen hervor, vor denen der Libanon und Jordanien stehen: Deren Bevölkerungen bestehen seit Beginn der Migrationskrise aus 25% bzw. 50% Geflüchteten und das bei deutlich niedrigeren Lebensstandards als in der EU. Diese Auslagerung der Krise nimmt darin zunehmend besorgniserregende Ausmaße an.

Um die afrikanischen Länder zu unterstützen, richtete die Europäische Kommission im November 2015 einen Nothilfe Treuhandfonds für Afrika ein, der die Ursprungsländer stabilisieren soll und mit dessen Hilfe es möglich sein soll Fluchtursachen zu bekämpfen. Der Fonds versucht also die Migrationsströme durch finanzielle Unterstützung der Ursprungsländer zu reduzieren.

Niemand kann die Augen davor verschließen, dass in Zukunft weiterhin Menschen aus ihren Herkunftsländern flüchten werden (sei es aus wirtschaftlichen, politischen oder klimatischen Gründen heraus oder weil Krieg herrscht), wenn diese Länder es nicht schaffen, ihnen würdige und stabile Lebensbedingungen zu garantieren. Die Unterstützung der Entwicklung dieser Länder ist mithin ein logisches und gerechtfertigtes Ziel der Europäischen Union. Wenn dessen Umsetzung in der Praxis aber bedeutet, dass eine Unterstützung sich auf eine Auslagerung des Managements der eigenen Außengrenzen reduziert, dann kann man - wie es einige NGOs wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte tun - zurecht von einer „Europäischen Erpressung“ sprechen: Vom Fonds gestützte Projekte konzentrieren sich vor allen Dingen auf Sicherheits- und Grenzschutzmaßnahmen, denen oftmals eine Verwechslung von Themen der Migration, Sicherheit und Terrorismus zugrunde liegt. Europäische Staats- und Regierungschefs scheitern schon dabei Migration und Terrorismus auf europäischem Territorium probat zu betrachten. Warum exportieren sie diese Problematik dann noch auf die andere Seite des Mittelmeeres?

Ein Migrationsmanagement durch die EU ist notwendig: Das Dublin-System muss reformiert werden

Angesichts des desaströsen Missmanagements der Migrationskrise seitens der EU, darf man sich fragen, ob es überhaupt regulatorische Rahmenbedingungen gibt. Die Dublin-Verordnung (im Moment Dublin III) scheint völlig ungeeignet dafür, die heutigen Probleme zu lösen. Die Europäische Kommission hat deshalb einen Reformvorschlag - die Dublin IV Verordnung - vorgelegt. Diese Reform würde besonders Griechenland und Italien entlasten und - hoffentlich - dazu beitragen, dass der Externalisierung der Asylproblematik ein Ende gesetzt wird, indem sie ein gerechtes System der Bearbeitung von Asylanträgen in den EU-Mitgliedstaaten schafft. Das erste Dublin-System war tatsächlich nicht dazu gedacht für eine nachhaltige Verteilung der Verantwortung für Asyssuchende innerhalb der EU zu sorgen. Die Migrationskrise hat dies nun deutlich gezeigt und so erklärt sich auch, warum sich der Druck aktuell auf die Staaten der Erstankunft konzentriert [Der geltenden Dublin III-Verordnung nach liegt die Verantwortung für die Bearbeitung der Asylanträge beim Staat der Erstankunft - also hauptsächlich in Griechenland und Italien.].

Die Dublin IV-Reform schlägt folgende Regelung vor: Bei einer sehr großen Zahl an Asylanträgen in einem Mitgliedstaat, erlaubt das System eine Umverteilung von Asylsuchenden zwischen all jenen Mitgliedstaaten, die sich nicht einem exzessiven Zuwanderungsdruck ausgesetzt sehen. Dabei sollen wiederum Faktoren wie Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Ein weiteres Ziel der Reform ist außerdem die Harmonisierung der Aufnahmebedingungen innerhalb der EU. Im Zentrum stehen dabei vor allem die Achtung der Menschenrechte und die Schaffung würdiger Aufnahmestandards, aber auch die Vermeidung sekundärer Flüchtlingsströme ist ein Anliegen. Denn natürlich wollen die Asylsuchenden vorrangig in jene Länder, die die besten Lebensbedingungen und Asylstandards versprechen.

Dieser Artikel konzentriert sich auf die Migrationskrise der EU. Das Seminar jedoch beinhaltete auch Workshops zum Thema der grenzüberschreitenden Mobilität in Europa - unter anderem mit Bezügen zu entsandten Arbeitskräften oder dem Erasmus-Programm der EU. Wer sich für diese Themen interessiert und mehr darüber erfahren möchte, dem empfehlen wir folgende Artikel des The New Federalist:
 “The posted workers directive: right battle, wrong timing
 “During Erasmus Days, let’s celebrate the ‘concrete Europe’!

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